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Hin­ter Dis­ne­ys Gar­di­nen
Der Standard

Kon­zern­chef statt Bürg­er­meis­ter. Ein Re­gel­buch fürs Bau­en und Woh­nen. Und 100 Dol­lar Stra­fe für den fal­schen Vor­hangs­toff im Fens­ter. Zu Be­such in Walt Dis­ne­ys to­tal über­wach­ter Re­tor­tens­tadt Ce­le­brat­ion, Flo­ri­da.

27. Juni 2015 - Wojciech Czaja
„Es ist gut, hier zu le­ben“, sagt Kat­hy Carl­son. „Die Stadt ist fuß­gän­ger­freund­lich und sehr si­cher, es gibt vie­le Kir­chen, ei­nen hüb­schen See in der Mit­te und ei­ne wun­der­ba­re At­mo­sphä­re in den Stra­ßen. Doch am meis­ten schät­ze ich un­se­ren aus­ge­präg­ten Ge­mein­schafts­sinn, der uns al­le ver­bin­det.“ Erst un­längst ha­be die Com­mu­ni­ty ei­ner Be­wohn­erin zum 100. Ge­burts­tag ein elek­tri­sches Vier­rad ge­schenkt. Die La­dy sei ganz au­ßer sich ge­we­sen. Jetzt kön­ne sie end­lich wie­der ak­tiv am All­tag teil­ha­ben.

Ce­le­brat­ion, nur we­ni­ge Mei­len von der Walt Dis­ney World Or­lan­do ent­fernt, ist ei­ne Bil­der­buch­klein­stadt, ein So­zi­al­ex­pe­ri­ment, ei­ne uto­pi­sche Re­tor­te aus der Fe­der des Trick­film­kon­zerns Dis­ney. Wer hier woh­nen möch­te, der muss sich den Spiel­re­geln des pri­vat­wirt­schaft­li­chen Gi­gan­ten un­ter­ord­nen. Und die­se se­hen nicht nur vor, in wel­cher Far­be das Haus gest­ri­chen ge­hört, son­dern auch, wie hoch der Ra­sen ge­mäht sein muss und wie die Vor­hän­ge und Gar­di­nen aus­zu­se­hen ha­ben. Schließ­lich sind auch die­se Teil der un­er­bitt­lich nach­hal­ti­gen, op­ti­schen Har­mo­nie. Dem­nächst be­geht Ce­le­brat­ion sein 20-Jahr-Ju­bi­lä­um. Die Fei­er­lich­kei­ten sind be­reits in Pla­nung.

„Wis­sen Sie, das ist kei­ne Stadt für je­den Ge­schmack“, sagt Kat­hy, die in der Ce­le­brat­ion Ave­nue ein Mak­ler­bü­ro be­treibt. Ima­gi­na­ti­on Re­al­ty heißt ih­re Im­mo­bi­lien­welt. Sie ist kurz an­ge­bun­den. In we­ni­gen Mi­nu­ten muss sie wie­der los, um ih­rer Kun­din ein Haus auf­zu­sper­ren. „Wer hier­her­zieht, der weiß ganz ge­nau, wo­rauf er sich ein­lässt. Und das ist auch gut so, denn so bleibt der schö­ne Cha­rak­ter der Stadt, so blei­ben die tra­di­tio­nel­len Wer­te er­hal­ten. Sa­gen Sie selbst! Sieht es hier nicht aus wie in Sa­van­nah oder wie in Charles­ton?“

Un­kraut ent­fernt?

Über der Mar­ket Street, der zen­tra­len, wie­wohl nur 100 Me­ter lan­gen Fuß­gän­ger­zo­ne in der Downt­own, hän­gen Dut­zen­de von Ka­me­ras. Ver­trau­en ist gut, Vi­deoü­ber­wa­chung ist bes­ser. Täg­lich rückt ein so­ge­nann­tes Com­pli­an­ce Te­am aus, um in den Stra­ßen und Vor­gär­ten nach dem Rech­ten zu se­hen: Ist das Haus sau­ber? Ist das Un­kraut ent­fernt? Sitzt die Lat­te wie­der pro­per im Zaun? Ist die Fass­ade, nach­dem die Süd­sei­te so stark aus­ge­bli­chen war, nun end­lich frisch gest­ri­chen?

Die Da­men und Her­ren, die mit Ar­gu­sau­gen durch die eng ge­kurv­ten Stra­ßen rol­len, sind Teil der Ce­le­brat­ion Re­si­den­ti­al Ow­ners As­so­cia­ti­on (CROA). Sie no­tie­ren Auf­fäl­lig­kei­ten, do­ku­men­tie­ren Schä­den und for­dern im Be­darfs­fall die Be­wohn­er­in­nen und Be­woh­ner zur In­stands­et­zung auf.

Wer die­ser Ein­la­dung bis zu ei­ner ver­trag­lich fest­ge­setz­ten Frist nicht Fol­ge leis­tet, wird zur Kas­se ge­be­ten. Pro Tag in Ver­zug sind 100 Dol­lar Stra­fe fäl­lig. Nach 50 Ta­gen und er­go 5000 Dol­lar Schul­de­nan­häu­fung ist Schluss. Dann wird das Ge­richt ein­ge­schal­tet.

„Kei­ne Sor­ge, das pas­siert nicht oft“, meint Scott Nelms, Ar­chi­tekt im ört­li­chen Bü­ro Loo­ney Ricks Kiss (LRK). Er ist ei­ner der Ma­cher der Häu­ser im vik­to­ria­ni­schen, fran­zö­si­schen, me­di­ter­ra­nen, ko­lo­nia­len oder ein­fach nur klas­si­schen Stil. Die­se fünf Bau­kas­ten­sys­te­me sind es, die dem Käu­fer zur Wahl ste­hen. Fass­ade, Holz­lat­ten­brei­te und Fens­ter­rah­men­de­sign sind im Ce­le­brat­ion Pat­tern Book, ei­ner Art Bau­bi­bel, ge­nau fest­ge­hal­ten. „Na­tür­lich ist der Gar­ten manch­mal nicht sehr ge­pflegt, na­tür­lich tanzt mal je­mand aus der Rei­he, in­dem er sein Haus pink oder blau streicht, aber mei­ne Er­fah­rung ist, dass man sich in der Re­gel zu ei­ni­gen ver­sucht. Die Aus­brü­che hal­ten sich in Gren­zen.“

In der Mar­ket Street rie­seln idyl­li­sche Spa- und Kla­vier­klän­ge aus den Bo­xen. Der mu­si­ka­li­sche Schlei­er soll da­rü­ber hin­weg­täu­schen, dass die Stadt seit der Fi­nanz­markt­kri­se 2008 kon­ti­nui­er­lich schrumpft. Es wa­ren schon mal 11.000 Ein­woh­ner, jetzt sind es 7000. Rea­ding Trout Books, der ein­zi­ge Buch­la­den weit und breit, hat be­reits dicht­ge­macht. Auch das Ki­no, das sich wie die ge­sam­te In­nens­tadt seit 2004 in Be­sitz der New Yor­ker Be­treib­er­fir­ma Le­xin Ca­pi­tal LLC be­fin­det, muss­te schlie­ßen. Man schaut sich be­reits nach ei­ner lu­kra­ti­ven Al­ter­na­tiv­nut­zung um, heißt es auf An­fra­ge bei Ima­gi­na­ti­on Re­al­ty.

Je­des Mit­tel ist recht, um neue Kon­su­men­ten nach Ce­le­brat­ion zu lo­cken. Von Be­wohn­ern kann man in ei­ner Stadt, die kei­nen Bürg­er­meis­ter hat, son­dern von De­le­gier­ten des Dis­ney-Kon­zerns ge­lenkt und über­wacht wird, kaum spre­chen. Zu Weih­nach­ten schneit es über der Fuß­gän­ger­zo­ne Flo­cken von Ra­sier­schaum auf den Bo­den. Der ein­zi­ge Schnee weit und breit. „Ce­le­brat­ion. Der Ort, nach dem Ih­re See­le ge­sucht hat“, steht auf ei­ner Im­mo­bi­lien­schau­ta­fel an der Stadt­ein­fahrt. Un­wei­ger­lich fühlt man sich an Die Frau­en von Step­ford und an den all­mäh­lich Ver­dacht schöp­fen­den, Un­bill ah­nen­den Jim Car­rey ali­as Tru­man Bur­bank in der Tru­man Show er­in­nert.

„Na­tür­lich han­delt es sich da­bei um ei­ne Il­lu­si­on“, schreibt Nao­mi Klein in ih­rem 500-sei­ti­gen Best­sel­ler No Lo­go! . „Die Fa­mi­li­en, die Ce­le­brat­ion zu ih­rem Wohn­ort er­ko­ren ha­ben, sind die Er­sten, die ein Le­ben im Zei­chen der Mar­ke füh­ren.“ Und die Wie­ner So­zio­lo­gin An­et­te Bal­dauf meint gar, Ce­le­brat­ion sei das „wahr­schein­lich in­fams­te Stadt­pla­nungs­ex­pe­ri­ment des aus­lau­fen­den 20. Jahr­hun­derts“. Doch wa­rum seh­nen sich so vie­le Men­schen nach ei­nem Le­ben in der Lü­ge? In der Hand der Mäch­ti­gen? Im Dik­tat der om­ni­prä­sen­ten US-ame­ri­ka­ni­schen und längst schon glo­bal agie­ren­den Pri­vat­wirt­schaft?

„Die kom­mer­ziell über­wach­ten Mo­nos­truk­tu­ren sind nichts an­de­res als die lo­gi­sche Fol­ge der Sub­urbs und der jahr­zehn­te­lan­gen Stadt­pla­nung, die je­de kul­tu­rel­le Iden­ti­tät der Pe­ri­phe­rie in den Or­bit des Plu­to ver­bannt hat“, sagt der ka­li­for­ni­sche So­zio­lo­ge und His­to­ri­ker Mi­ke Da­vis im Ge­spräch mit dem Stan­dard . „Wir sind es schon längst ge­wohnt, uns der Kon­trol­le und Über­wa­chung durch an­de­re un­ter­zu­ord­nen. Das macht die Kom­ple­xi­tät der Stadt sim­pler und leich­ter ver­ständ­lich.“

Die ei­gent­li­che Ge­fahr der Di­gi­ta­li­sie­rung, der Ro­bo­ti­sie­rung und der zu­neh­men­den Da­ten­spei­che­rung welt­weit, so Da­vis, sei nicht die künst­li­che In­tel­li­genz oder der Kampf zwi­schen Mensch und Ma­schi­ne. „Um das zu glau­ben, bin ich wohl zu alt und zu stark im ver­gan­ge­nen Jahr­hun­dert ver­haf­tet. Die ei­gent­li­che Ge­fahr näm­lich, der wir aus­ge­lie­fert sind, ist die Dua­li­tät der im­mer mäch­ti­ger wer­den­den Me­dien und Kon­zer­ne und der im­mer schwä­cher wer­den­den per­sön­li­chen po­li­ti­schen Stim­me.“

Vom Über­wa­chungs­kon­zern zum Über­wa­chungs­staat ist es nur ein klei­ner Schritt. Die welt­weit höch­ste Dich­te an Vi­deo­ka­me­ras gibt es in Lon­don. Die meis­ten Au­gen lau­ern im vir­tu­el­len Raum. Ce­le­brat­ion ist über­all. „Ach, die Ka­me­ras da oben … Nein, da ma­che ich mir kei­ne Sor­gen. Die die­nen nur zu un­se­rer per­sön­li­chen Si­cher­heit“, meint ei­ne Mut­ter, die ih­ren Kin­der­wa­gen durch die Mar­ket Street schiebt. „Das ist es, was ich an die­ser Stadt schät­ze. Man ist un­ter sich, und es ist al­les in Ord­nung.“

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