Santiago Calatrava – Kosmopolit der Künste

Santiago Calatrava ist einer der markantesten Künstler unter den Gegenwarts-Architekten. Doch in New York steht er unter Beschuss.

Andrea Köhler
Drucken
Wie die Skulpturen auf der Park Avenue, nur weiss – ein Dachflügel von Calatravas Transportation Hub beim World Trade Center in New York. (Bild: Mark Lennihan / AP / © Pro Litteris)

Wie die Skulpturen auf der Park Avenue, nur weiss – ein Dachflügel von Calatravas Transportation Hub beim World Trade Center in New York. (Bild: Mark Lennihan / AP / © Pro Litteris)

Santiago Calatrava lebt expansiv, nicht nur in Zürich, New York und Connecticut, sondern auch im übertragenen Sinn: Der spanische Stararchitekt ist in neun Sprachen, zig Kulturen und etlichen Disziplinen daheim, ein Kosmopolit der Künste. Ob er von Rodins Buch «Die Kathedralen Frankreichs» erzählt, über Mondrians Abstraktionen philosophiert oder seiner Verehrung für Henry Moore Ausdruck gibt, ob er die Gesetze der Hydraulik erläutert oder von der «Enthusiasmus-Kapazität» der Amerikaner und den Bäumen auf seinem Anwesen in Connecticut schwärmt – seine Begeisterung ist genuin: Hier ist einer mit Leib und Seele von Welt erfüllt.

Zürich - New York

Sein Bezug zur Schweiz sei viel zu wenig im öffentlichen Bewusstsein präsent, sagt er, als er mich in seinem New Yorker Reich empfängt, dabei hat er nicht nur viel in der Schweiz gebaut, sondern dort auch einen beträchtlichen Teil seines weitgereisten Lebens verbracht. Er liebt Zürich. Er liebt auch New York, wo seine vier Kinder am glücklichsten sind und er mit seiner Frau und der jüngsten Tochter an der vornehmen Park Avenue lebt – in zwei zusammenhängenden Stadtpalais, in denen auch eines seiner Büros, eine Werkstatt, sein Studio und eine Art Calatrava-Museum untergebracht sind, mehrere Räume mit seinen Skulpturen und Bildern, eingerichtet von seiner Frau. Kennengelernt hat er sie während des Studiums des Bauingenieurwesens an der ETH Zürich, wo er 1981 promovierte, über «Die Faltbarkeit von Fachwerken», was immer man sich darunter vorstellen mag. Dass er mit Gebäuden die erstaunlichsten Dinge anstellen kann, hat er ja hinlänglich unter Beweis gestellt.

Seine frühen Skulpturen sind der Ästhetik des Ingenieurs-Wesens noch verpflichtet, die Schwerkraft überlistenden Gebilde aus Stahlseilen und Granit. Eine in die Schräge gelegte Skulptur aus dieser Serie sei entstanden, als das erste Kind zwei Jahre alt gewesen sei und er gesehen habe, wie schwer der aufrechte Gang zu erlernen sei. Calatrava nimmt seine Anschauung aus der Natur, nicht nur sein berühmtes ästhetisches Vokabular, Feder und Flügel, Gerippe und Blätter, sondern auch die Konstruktion seiner atemberaubenden Bauwerke leitet sich aus der Anschauung des Organischen her. Und schon steht er am Reissbrett, nimmt den Stift und erklärt mit energischen Strichen, wie die Ingenieurskunst aus der Beobachtung und Abstraktion natürlicher Gesetze entstanden ist.

Auf die technisch inspirierten Skulpturen folgte eine musikalische Phase, vor allem Gitarren-Plastiken aus herrlichem (inzwischen gefährdetem) Ebenholz. Den grössten Raum aber nehmen die Aquarelle ein, von seinen frühesten Studien des menschlichen Körpers bis zu den jüngsten grossformatigen Tuschbildern, Aquarelle von mächtigen Baumkronen, in denen der Wind durch die Äste fegt. Im unteren Stockwerk, in Calatravas Studio, stehen Modelle der Skulpturen, die gerade auf dem Mittelstreifen der Park Avenue zu sehen sind. Mein Besuch scheint einer sorgfältigen Dramaturgie zu folgen, vom Werkstatt-Besuch bis zur Diaschau, begleitet von einer entwaffnenden Liebenswürdigkeit. Man kann verstehen, dass Calatrava es schafft, seine Bauherren um den Finger zu wickeln – mit Charme und einer Konzilianz, die mit Kompromissbereitschaft nicht zu verwechseln ist.

In New York hat er diese Gabe in letzter Zeit nötig gehabt, ist ihm doch wegen der sich seit Jahren hinziehenden Fertigstellung des Transportation Hub am World Trade Center die Hölle heissgemacht worden. Besonders die explodierenden Kosten werden ihm vorgeworfen, dabei, sagt er, habe er selber gar keine Kostenvoranschläge gemacht. «Die Finanzierung wird von einer Kommission aus mindestens 25 Parteien zusammengestellt», verteidigt er sich. Hinzu kommen die Sicherheitsvorkehrungen an Ground Zero, die nicht nur die Kosten des mit fast vier Milliarden Dollar zum «teuersten Bahnhof der Welt» avancierten Gebäudes, sondern die der Gesamt-Bebauung des Areals rasant in die Höhe getrieben hat; das One World Trade Center kam sogar auf das Dreifache seines Budgets. Der Hub gilt nicht nur als der teuerste, sondern auch als der schwierigste Bau der Welt. Gleichwohl ist die Stimmung gegen den Architekten aufgeheizt, weshalb es ein wenig verwundert, dass ihm das Komitee von NYC Parks den Mittelstreifen der Park Avenue eingeräumt hat.

Für den Abschnitt zwischen der 52. und der 55. Strasse in Midtown Manhattan hat Calatrava sieben Aluminium-Skulpturen kreiert, die sein organisches Formenrepertoire – Blätter, Fontänen oder den gebogenen Rücken eines Stachelschweins – mit den Farben und Elementen der urbanen Umgebung verbinden. Statt Farben aus der Natur hat er hier die Lackierung von Autokarosserien aufgegriffen – rot, schwarz und silber –, nicht zuletzt, weil ihm diese Kolorierung ein attraktives Zusammenspiel mit dem leuchtenden Gelb der New Yorker Taxis versprach. Die Skulpturen, sagt er, seien «eine Art Celebration» – die rein ästhetische Kür nach den Strapazen des U-Bahnhof-Baus, bei dem, wie wohl bei kaum einer andren Gebäudeart, das Funktionelle im Vordergrund steht.

Nun ist es durchaus nicht so, als falle die Ästhetik eines Gebäudes von Calatrava je hinter seine Funktion zurück, nicht umsonst ist der Hub – vom 9/11-Memorial abgesehen – der einzige Bau auf dem von architektonischen Kompromissen geprägten WTC-Areal, der sich der symbolischen Fracht mit seiner kühnen Formensprache gewachsen zeigt. Der spektakuläre, schneeweisse Bau, der Ende des Jahres fertig sein soll, erinnert an ein Vogelgerippe im Flug, dessen ausgebreitete Schwingen von Wind und Wetter ausgebleicht wurden. Dass sich dessen Flügel nun nicht mehr, wie ursprünglich vorgesehen, bewegen werden, gehört zu den Zugeständnissen, die der Architekt – wie Andrew Rice in einer ausführlichen Hintergrund-Reportage im «New York Magazine» beschreibt – offenbar nach zähem Ringen mit den diversen Autoritäten gemacht hat.

Ob er enttäuscht sei über die teilweise harschen Reaktionen, habe ich ihn gefragt. Doch Calatravas sonniger Grundzug scheint nicht so leicht zu erschüttern zu sein; besonders auf seine Geldgeber – die Port Authority – lässt er nichts kommen. «New York war mir gegenüber immer eine grosszügige Stadt», sagt er und führt all die Angebote, realisierten Projekte und ihm gewidmeten Ausstellungen auf. Es sei so viel möglich in diesem Land; und wenn man sich all die in den letzten Jahren in den USA realisierten Bauten ansieht – zuletzt etwa die gleichfalls auf Ground Zero entstehende St.-Nikolaus-Kirche –, versteht man, warum. Mag die «New York Times» auch unlängst zwei Breitseiten gegen ihn abgefeuert haben, mögen Kollegen wie Michael Graves und Peter Eisenman ihn im Internet wüst beschimpfen – in den zwei Stunden, in denen er mich durch sein Reich geführt hat, habe ich kein böses Wort vernommen.

Schon wahr, er hat Abstriche machen müssen. Die Rippen der an ein Riesen-Skelett gemahnenden Transit Hall mit ihrer 45 000 Quadratmeter fassenden Einkaufsmall mussten aus Sicherheitsgründen verdoppelt werden, zwei bombensichere Säulen kamen hinzu. Doch an den majestätischen Dimensionen und dem offenen Raumgefühl hat er nichts ändern müssen; er will, dass der Ort etwas Erhebendes hat. «Schauen Sie sich Grand Central an, einen der schönsten Bahnhöfe der Welt. Der war ursprünglich für einen Personenverkehr von etwa 40 000 Passagieren täglich gedacht, doch weil er von Anfang an so grosszügig angelegt war, kann er heute problemlos eine halbe Million verkraften.» Vor allem aber ist es die detailversessene Schönheit des bestirnten Deckengewölbes, die Calatrava am Grand Central liebt und die ihm die Hoffnung einflösst, dass die zu ihren Zügen eilenden Passagiere auch in seiner Halle innehalten und den Blick nach oben richten werden, wo sie durch die Öffnung im Dach die spiegelnde Hochhausarchitektur Manhattans in perfekter Konstellation wahrnehmen können.

Transportation und Transzendenz

Ja, was Calatrava mit jeder Faser seines Wesens anstrebt, ist Schönheit. Eine Schönheit, die Andacht erweckt und uns – und sei es für einen Moment – über die Banalität des Alltags erhebt. In früheren Zeiten hätte dieser Mann Kathedralen gebaut. Man schaue sich nur seine Brücken an – beispielsweise die Margaret Hund Hill Bridge in Dallas, ein federleichtes Gebilde, das nicht an ein anderes Ufer, sondern in den Himmel zu führen scheint. Es bleibt nicht aus, dass Calatrava mit diesem Impuls auch auf den beinharten Pragmatismus der Amerikaner trifft. «He's one of the great designers», sprach etwa der Direktor des NYU Rudin Center for Transportation dem Reporter des «New York Magazine» ins Mikrofon. «But this is a fucking train to Jersey.» Calatrava nimmt's mit Humor. Sein Freund Woody Allen habe, als sie nach einer Privatführung durch die halbfertigen heiligen Hallen wieder in den Höllenlärm von Downtown Manhattan getreten seien, einen Stossseufzer gen Himmel geschickt: «Ahhh! Back to real life!»