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Rast­lo­se Den­ker aus ei­ner rast­lo­sen Stadt
Der Standard

Kaum ein Ar­chi­tek­tur­bü­ro steht mehr für New York als Dil­ler, Sco­fi­dio + Ren­fro. Ob der High Li­ne Park oder das Mo­MA, im­mer be­we­gen sie sich an der Gren­ze von Kunst und Ar­chi­tek­tur. Eli­za­beth Dil­ler er­klärt, wa­rum.

11. Juli 2015 - Maik Novotny
Sie sind die Tau­send­sas­sas der Ar­chi­tek­tur: Bü­cher, Kunst­in­stal­la­tio­nen, Thea­ter, und mil­lio­nen­schwe­re Mu­se­en wie das ICA in Bos­ton oder die Er­wei­te­rung des Mu­se­um of Mo­dern Art in New York. Welt­be­rühmt mach­te das Bü­ro Dil­ler, Sco­fi­dio + Ren­fro aber ein Park: Der 2006 bis 2014 rea­li­sier­te High Li­ne Park auf ei­ner auf­ge­ge­be­nen Bahn­tras­se in Man­hat­tan wur­de bin­nen kur­zem zum heiß­ge­lieb­ten ur­ba­nen Treff­punkt mit Sel­fie-auf dem-Laufs­teg-Mehr­wert und zum um­strit­te­nen Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt für den Im­mo­bi­lien­boom in New York.

En­de Ju­ni war Eli­za­beth Dil­ler zu ei­nem Vor­trag an der Kunst­uni Linz ge­la­den. Mit dem STAN­DARD sprach sie über das al­te und das neue New York, die Welt zwi­schen Kunst und Ar­chi­tek­tur und die Ge­fahr des Er­folgs.

Stan­dard: Der High Li­ne Park in New York, des­sen drit­ter Ab­schnitt En­de 2014 er­öff­net wur­de, wur­de so­fort zu ei­nem Rie­sen­er­folg. Hat Sie das über­rascht?

Dil­ler: Ja. Wir hät­ten nie da­ran ge­dacht, dass der Park auch nur in New York selbst be­liebt sein wür­de. Wir schätz­ten die Be­su­cher­zahl auf 300.000 pro Jahr. Im er­sten Jahr wa­ren es vier­mal so viel, und 2014 wa­ren es sechs Mil­lio­nen. Von der Re­so­nanz in der Pop­kul­tur ganz zu schwei­gen: So­gar bei den Sim­psons kam die High Li­ne schon vor! Ich glau­be, wir ha­ben da ei­nen Nerv ge­trof­fen, nicht nur lo­kal, son­dern glo­bal.

Stan­dard: Wel­cher Nerv ist das?

Dil­ler: Es geht um nach­hal­ti­ge Stra­te­gien, um neue Kon­zep­te für die Res­te, die wir hin­ter­las­sen. Und es gibt ei­nen gro­ßen Wunsch nach mehr öf­fent­li­chem Raum, ge­ra­de in ei­ner von di­gi­ta­len Wel­ten do­mi­nier­ten Zeit. Die Ent­wi­cklung, die die High Li­ne los­trat, ging al­ler­dings viel schnel­ler vo­ran, als wir es ver­mu­tet hat­ten.

Stan­dard: Es wur­de kri­ti­siert, dass die High Li­ne die Gen­tri­fi­zie­rung vo­ran- und die Im­mo­bi­lien­prei­se hoch­ge­trie­ben hät­te. War der Park al­so zu er­folg­reich?

Dil­ler: Ich fürch­te, ja. Man fragt sich, ob zu viel Er­folg nicht auch schäd­lich sein kann. Wenn ein Stadt­vier­tel in we­ni­ger als zehn Jah­ren von ei­ner ver­ges­se­nen, von Kri­mi­na­li­tät ge­präg­ten Ge­gend zu ei­nem der teu­ers­ten Im­mo­bi­liens­tan­dor­te in New York wird, dann muss man sich Sor­gen ma­chen. Al­ler­dings wä­re das auch oh­ne die High Li­ne pas­siert. Schließ­lich wa­ren dies die letz­ten Brach­flä­chen in Man­hat­tan. Wir ha­ben selbst un­ser Bü­ro dort und wer­den es uns wohl nicht mehr lan­ge leis­ten kön­nen.

Stan­dard: Vie­le an­de­re Städ­te ha­ben ver­sucht, die Idee ei­nes li­nea­ren, er­höh­ten Parks zu ko­pie­ren, und in New York selbst gibt es die Idee ei­ner un­ter­ir­di­schen „Low Li­ne“: Lässt sich das Er­folgs­re­zept so ein­fach ko­pie­ren?

Dil­ler: Es ging uns vor al­lem da­rum, dass man die Stadt auf neue Art er­fährt. Die High Li­ne war ei­ne still­ge­leg­te, ab­bruch­rei­fe Bahn­tras­se vol­ler He­ro­in­sprit­zen und ka­put­ter Mö­bel. Ein schwar­zes Loch, ei­ne Ge­gend vol­ler Me­lan­cho­lie. Wir ha­ben ver­sucht, et­was von die­sem New Yor­ker Cha­rak­ter, die­ser Rau­heit zu be­wah­ren. Der Er­folg hat al­so mit dem zu tun, was schon da war. An­de­re Städ­te müs­sen ih­re ei­ge­nen Qua­li­tä­ten fin­den.

Stan­dard: Sie ar­bei­ten seit über 30 Jah­ren in New York. In­wie­fern hat Sie die Stadt ge­prägt?

Dil­ler: Was mich sehr be­ein­flusst hat, ist das New York der 1970er-Jah­re. Es war ei­ne un­glau­bli­che Zeit: sehr wild, rau und le­ben­dig. Kunst, Thea­ter, In­stal­la­tio­nen, bil­li­ge Mie­ten, In­dus­tri­el­ofts. Al­le Ar­ten von Kul­tur ver­misch­ten sich. Schon da­mals hat mich die Kunst mehr be­ein­flusst als die Ar­chi­tek­tur. Und ich war schon als Kind süch­tig nach Mu­se­en. In­so­fern: Ja, ich bin ein Pro­dukt New Yorks, auch wenn ich selbst nie da­ran den­ke.

Stan­dard: Auch ei­nen gro­ßen An­teil Ih­rer Pro­jek­te ha­ben Sie in New York rea­li­siert.

Dil­ler: Sehr un­üb­lich für Ar­chi­tek­ten! Die meis­ten kom­men wo­an­ders zum Ruhm, und wer­den am En­de ih­res Le­bens ein­ge­la­den, in ih­rer Hei­mat­stadt et­was zu bau­en. Wir hat­ten da­ge­gen vie­le Ge­le­gen­hei­ten, zu un­se­rer Stadt et­was bei­zu­tra­gen.

Stan­dard: Un­ter die­sen Pro­jek­ten ist die Er­wei­te­rung des Mu­se­um of Mo­dern Art das ak­tu­ell­ste und um­strit­tens­te. Wa­rum hat das Pro­jekt so viel Staub auf­ge­wir­belt?

Dil­ler: Das Mo­MA platzt aus al­len Näh­ten. Als Näch­stes be­kommt es ei­nen neu­en Turm von Je­an Nou­vel. Wir be­ka­men den Auf­trag für den Raum da­zwi­schen. Ge­nau dort, wo sich das Folk Art Mu­se­um be­fand, das wir auf je­den Fall er­hal­ten woll­ten. Nach sechs Mo­na­ten Ana­ly­se war uns klar, dass das nicht funk­tio­niert. In­zwi­schen wur­de es ab­ge­ris­sen. Das hieß, dass wir und das Mo­MA plötz­lich al­le ge­gen uns hat­ten. In den 1970er-Jah­ren hieß es: Macht die Kunst we­ni­ger eli­tär! Heu­te ist den Leu­ten die Kunst zu po­pu­lär: Zu vie­le Tou­ris­ten! Wir ha­ben all das er­dul­det, weil wir letz­tend­lich das Mo­MA zu ei­nem bes­se­ren Mu­se­um ma­chen wol­len. Es ist in je­der Hin­sicht ein Ex­trem­fall un­ter un­se­ren Pro­jek­ten. Am an­de­ren En­de pla­nen wir ge­ra­de, ei­ne ganz an­de­re Art Mu­se­um in New York zu eta­blie­ren.

Stan­dard: Wo­rum geht es da?

Dil­ler: 2008 such­te die Stadt nach ei­ner kul­tu­rel­len Nut­zung, di­rekt an der High Li­ne. Na­tür­lich hat­te da­mals, im Jahr der Kri­se, nie­mand Geld für so et­was üb­rig. Wir wa­ren die Ein­zi­gen, die sich be­war­ben. Jetzt sind wir mit­ten in der Pla­nung. Es wird ein brand­neu­es Start-up na­mens „Cul­tu­re Shed“. Oh­ne Re­geln, oh­ne Kunst­samm­lung, ein völ­lig of­fe­ner Raum.

Stan­dard: Mu­se­en als Mit­tel zur Stadt­ent­wi­cklung hat­ten Sie sich schon beim Neu­bau des ICA im Ha­fen von Bos­ton ge­wid­met. Vor kur­zem wur­de der Sie­ger des Wett­be­werbs für das Gug­gen­heim Hel­sin­ki be­kannt­ge­ge­ben, für den über 1700 Pro­jek­te ein­ge­reicht wur­den. Ist der „Bil­bao-Ef­fekt“ im­mer noch ei­ne gül­ti­ge Er­folgs­for­mel?

Dil­ler: Es ist ir­re: Beim Gug­gen­heim Hel­sin­ki hoff­ten Tau­sen­de auf ih­ren ei­ge­nen Frank-Geh­ry-Mo­ment. Was mit Geh­rys Mu­se­um in Bil­bao pas­sier­te, war ma­gisch: ein Ge­bäu­de, das mit ei­ner Stadt iden­ti­fi­ziert wird. Für ei­nen sol­chen Er­folg braucht man die rich­ti­ge Ar­chi­tek­tur am rich­ti­gen Ort zur rich­ti­gen Zeit. Auch bei un­se­rem ICA-Mu­se­um in Bos­ton war das so. Wenn man die­sen Ef­fekt aber im­mer wei­ter ko­piert, ver­liert er an Kraft. Mu­se­en als Mo­tor der Stadt­ent­wi­cklung sind kei­ne schlech­te Idee, aber wenn es nur da­rum geht, die im­mer glei­che skulp­tu­ra­le Ar­chi­tek­tur hin­zu­stel­len, funk­tio­niert das nicht. Man muss sich den Ort sehr ge­nau an­schau­en, be­vor man zu pla­nen be­ginnt.

Stan­dard: Sie sag­ten ein­mal, Sie hät­ten nie die Ab­sicht ge­habt, Ar­chi­tek­tur zu pro­du­zie­ren. Heu­te füh­ren Sie ein Bü­ro mit dut­zen­den Mit­ar­bei­tern. Was ist da­zwi­schen pas­siert?

Dil­ler: Ich den­ke, wir sind ir­gend­wann rechts ab­ge­bo­gen, wo wir links hät­ten ab­bie­gen sol­len. Ri­car­do Sco­fi­dio und ich be­gan­nen mit Kunst­in­stal­la­tio­nen. Das wa­ren rich­ti­ge Gue­ril­la-Ak­tio­nen. Nach und nach wur­den wir von den Mu­se­en ein­ge­la­den. Dann gab uns Ara­ta Iso­za­ki ei­nen Auf­trag für ei­nen Wohn­bau in Ja­pan. Weil er ei­ne Aus­stel­lung von uns über das The­ma Bü­geln ge­se­hen hat­te! Da­mals hat­ten wir viel­leicht vier Mit­ar­bei­ter. Dann wa­ren es ir­gend­wann zehn, dann 20, dann 40. Heu­te füh­le ich mich sehr wohl in die­ser ver­schwom­me­nen Welt zwi­schen Ar­chi­tek­tur, Kunst und Per­for­man­ce.

Stan­dard: Ge­hen Sie an Ar­chi­tek­tur- und Kunst­pro­jek­te völ­lig ver­schie­den he­ran, oder gibt es Über­schnei­dun­gen?

Dil­ler: Die Un­ter­schie­de sind gar nicht so groß. Es be­ginnt im­mer mit ei­ner kri­ti­schen Ana­ly­se, egal ob es ein Mu­se­um oder ei­ne Per­for­man­ce ist. Wir stel­len uns vor, wir wä­ren ge­ra­de auf der Er­de ge­lan­de­te Aliens, die et­was zum er­sten Mal tun. Wir schau­en, was es schon gab und wel­cher Lo­gik es folgt, und den­ken dann wei­ter.

Stan­dard: Apro­pos Wei­ter­den­ken: Gibt es ei­ne Bau­auf­ga­be, von de­ren Um­set­zung Sie noch träu­men?

Dil­ler: Im Mo­ment ist mein Traum die „Mi­le Long Ope­ra“, die wir für die High Li­ne kon­zi­pie­ren. Ei­ne Oper, die gleich­zei­tig Ur­ba­nis­mus, Kunst, Ar­chi­tek­tur und Mu­sik ist. Das Pu­bli­kum und die Sän­ger sind da­bei per­ma­nent in Be­we­gung.

Stan­dard: Wann wird der Traum in Er­fül­lung ge­hen?

Dil­ler: Un­ser Ziel ist Herbst 2017. Die Or­ga­ni­sa­ti­on ist furcht­bar kom­pli­ziert, im­mer­hin ist es ein Ge­samt­kunst­werk! Na­tür­lich funk­tio­nie­ren Ge­samt­kunst­wer­ke nie so wie ge­plant, aber wir muss­ten das ein­fach tun. Wir ha­ben die High Li­ne ge­plant, und das ist der näch­ste Schritt. Un­se­re rast­lo­sen Ge­mü­ter brin­gen uns al­so wie­der in auf­re­gen­de Schwie­rig­kei­ten!
[ Eli­za­beth Dil­ler, 1954 in Łódź als Toch­ter pol­nisch-tsche­chi­scher El­tern ge­bo­ren, wuchs in New York auf. Seit 1979 Bü­ro mit Ri­car­do Sco­fi­dio, seit 2004 Dil­ler, Sco­fi­dio + Ren­fro. Pro­fes­sur u. a. an der Prin­ce­ton Uni­ver­si­ty. ]

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