Wo sich alle Enden treffen

Friedrich Kiesler verband Architektur, Kunst und Design zu einem Gesamtkunstwerk. Aus Anlass des Friedrich-Kiesler-Gedenkjahrs finden nun von Wien bis New York zahlreiche Ausstellungen statt.

Patricia Grzonka
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Der Architekt als forschender Künstler – Friedrich Kiesler bei der Arbeit am Drahtmodell des Endless House im Jahre 1959 in New York. (Bild: Friedrich Kiesler Stiftung)

Der Architekt als forschender Künstler – Friedrich Kiesler bei der Arbeit am Drahtmodell des Endless House im Jahre 1959 in New York. (Bild: Friedrich Kiesler Stiftung)

Er war eine der faszinierendsten Künstlerfiguren des 20. Jahrhunderts, Friedrich Kiesler, der im kommenden September seinen 125. Geburtstag feiern könnte. Kaum ein Genre, kaum eine künstlerische Disziplin liess er unerprobt. Visionäres Denken, die Verbindung von Gestaltungstheorien, angewandter Forschung und ein unerschöpflicher Ideenreichtum prägten sein transdisziplinäres Werk. Sowohl Architektur als auch Bühnenbilder, Zeichnungen, Ausstellungsgestaltungen und Schriften machen sein Schaffen aus, aber auch ein skulpturales Spätwerk mit raumgreifenden Environments oder sogenannten «Shell Sculptures».

Produktiver Autodidakt

Kiesler, der 1890 in der östlichsten Provinz der alten Habsburgermonarchie in Czernowitz geboren wurde und vor fünfzig Jahren, im Dezember 1965, in New York starb, gilt gemeinhin als Architekt. In seinem umfangreichen Werk befinden sich aber vor allem Skizzen und Zeichnungen von utopischen architektonischen Entwürfen, mit denen er sich theoretisch beschäftigte, die jedoch ausser in Form von Modellen nie realisiert wurden. So entstanden Anfang der 1920er Jahre konstruktivistisch anmutende Entwürfe für horizontale Wolkenkratzer oder die Idee, eine Stadt auf hohe Pfeiler zu stellen. Bis zu seinem Lebensende beschäftigte ihn das Projekt des «Endless House», einer amorphen, in einer loopförmigen Schale angelegten Behausung, in der «sich alle Enden treffen». In Wien begann Friedrich Kiesler 1908 Architektur zu studieren, wechselte nach einem Jahr zur Malerei, aber auch dieses Studium schloss er nicht ab. Er blieb ein lebenslang produktiv tätiger Autodidakt.

Bald schon wandte sich Kiesler dem Theater zu – und hier begann seine eigentliche Karriere als Bühnenbild- und Raumgestalter. 1924 entwickelte er das Gesamtkonzept für die «Internationale Ausstellung neuer Theatertechnik» im Wiener Konzerthaus – vom inhaltlichen Konzept über die Ausstellungsgestaltung bis zur Typografie und zu der Grafik. Die Veranstaltung erwies sich als ein bis heute ungemein modern anmutendes Ereignis. Für die stark beachtete Schau entwarf er die berühmte «Raumbühne», die wesentlich auf Dynamik und beweglichen Bühnenelementen basierte, sowie ein freies Stellwandsystem (und sprach selbst dabei vom «Träger- und Legersystem»), das Flexibilität und freie Anordnung der Exponate ermöglichte. Kiesler suchte früh den Kontakt zu den europäischen Kunstavantgarden der 1920er Jahre – zu den Konstruktivisten, Futuristen oder zur holländischen De-Stijl-Gruppe, mit deren Gründer Theo van Doesburg er lebenslang verbunden blieb.

Dank einigen wegweisenden Ausstellungen in den 1980er und 1990er Jahren ist Friedrich Kiesler in Österreich, vor allem aber in Wien auch einem grösseren Publikum bekannt geworden. Diese Präsentationen in seinem ehemaligen Heimatland nach der frühen Emigration 1926 über Paris in die USA waren die ersten in Zusammenarbeit mit verschiedenen Museen entstandenen Aktivitäten der Österreichischen Friedrich-und-Lillian-Kiesler-Privatstiftung. Die Stiftung an der Wiener Mariahilfer Strasse ist nicht nur konzeptuelles Zentrum der vielen heuer zum Kiesler-Gedenkjahr organisierten Ausstellungen, sondern vor allem auch eine Forschungsstätte für Wissenschafter und Kuratoren. Ihr ist ein Schauraum angegliedert, in dem regelmässig Ausstellungen stattfinden. Durch private Initiative und unbürokratische staatliche Unterstützung gelang es, 1997 den Nachlass mit rund 2500 Arbeiten auf Papier und 15 000 Fotos und weitere Archivalien von der Witwe Lillian Kiesler in New York zu erwerben und in eine Stiftung einzubringen, die alle zwei Jahre auch einen mit 55 000 Euro dotierten Kunstpreis verleiht. Diese «Heimholung» Kieslers war ein Glücksfall für den Kunststandort Wien, der damit über das eindrückliche Werk einer der wenigen genuin avantgardistischen Künstlerfiguren Österreichs aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfügt.

In Jerusalem konnte vor fünfzig Jahren, am 20. April 1965, das einzige realisierte Gebäude Friedrich Kieslers eröffnet werden. «The Shrine of the Book» wurde für die spezielle Aufgabe konzipiert, die 1947 beim Toten Meer gefundenen Bibeltexte zu beherbergen. Den ikonischen Entwurf des teilweise unterirdisch angelegten Museums dominieren zwei symbolträchtige skulpturale Motive, die zeichenhaft auf die Bestimmung des Baus verweisen. Einerseits ist die zentrale Museumskuppel einem Tonkrug nachgebildet – die Schriftrollen wurden in Gefässen gefunden. Andererseits ragt ein Quader als Hinweis auf die dort befindliche Bibliothek meterhoch über das Terrain hinaus. Das heute das Herzstück des Israel-Museums bildende Gebäude hat Kiesler in den letzten Lebensjahren beschäftigt. Ausführen konnte er den Schrein gemeinsam mit seinem Büropartner Armand Bartos. Dieser Kooperation ist die konzentrierte, sehenswerte Ausstellung «Kiesler and Bartos. The Shrine of the Book» in der Kiesler-Stiftung gewidmet. Aus dem reichen Fundus des Archivs werden Originalzeichnungen, Pläne sowie historische Fotos und Briefe gezeigt. Vor allem beeindrucken einige originale, meterbreite Sepiadrucke mit Grundriss und Schnitt des Gebäudes, deren braunrote Färbung eine besondere Patina aufweist.

Parallel zur Friedrich Kiesler Stiftung stellt die Kunsthalle Wien den Designer und Bühnenbildner Kiesler ins Zentrum ihrer Ausstellung «Function Follows Vision, Vision Follows Reality». Ausgehend von Zeichnungen mit Raumentwürfen und Bühnendesign wird hier vor allem der Bezug der für den Zeitpunkt der Entstehung visionären Gestaltungsansätze von Friedrich Kiesler zu Werken der zeitgenössischen Kunst hervorgehoben.

Von Czernowitz bis New York

Aber der grosse Friedrich-Kiesler-Reigen ist damit noch nicht abgeschlossen. Kleinere Präsentationen seines vielgestaltigen Schaffens finden in Budapest, Bratislava und Czernowitz statt. Im New Yorker Museum of Modern Art werden zurzeit das Endless House und verwandte architektonische und künstlerische Entwürfe präsentiert, in Princeton widmet man sich der «Magic Architecture» unter dem Einfluss des österreichisch-amerikanischen Architekten, und in der Tensta-Kunsthalle in Stockholm liegt der Fokus auf Kieslers Ausstellungsdisplays. Das Jubiläum ist schliesslich auch Anlass für zwei grosse Retrospektiven, die – allerdings erst 2016 – in Kooperation mit der Kiesler-Foundation stattfinden. Wie der erst seit Dezember 2013 amtierende Leiter Peter Bogner im Gespräch erklärte, sind diese Retrospektiven im Wiener MAK sowie in Berlin im Martin-Gropius-Bau geplant. Grosse Resonanz also, auf die das vielfältige Werk des Raumkünstlers trifft. Die Aktivitäten ermöglichen eine Neubewertung von Kieslers wegweisenden Ansätzen, die enge funktionale Korsetts abwarfen, jedoch zu ihrer Entstehungszeit nur geringe Beachtung fanden.

Die Ausstellung «Kiesler and Bartos. The Shrine of the Book» ist bis zum 3. Oktober in der Friedrich-Kiesler-Stiftung in Wien zu sehen. Die Kunsthalle Wien am Karlsplatz zeigt die Ausstellung «Function Follows Vision, Vision Follows Reality» bis zum 23. August.