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db deutsche bauzeitung 09|2015
Dächer
db deutsche bauzeitung 09|2015

Edles Dach für edlen Tropfen

Kellereigebäude in Margaux (F)

Eine feingliedrige Stahlkonstruktion mit zwölf organisch geformten Baumstützen trägt das Ziegeldach des neuen Kellereigebäudes auf dem Weingut Château Margaux. Ebenso ästhetisch überzeugend und mit Liebe zum Detail durchgeplant zeigt sich der darunter liegende Quader, der jene zurückhaltende Noblesse ausstrahlt, die seit Hunderten von Jahren auch die Weine der Kellerei prägt.

1. September 2015 - Roland Pawlitschko
Rund um den kleinen Ort Margaux, 30 km nördlich von Bordeaux mitten im Haut-Médoc, reichen die Weinreben in allen Himmelsrichtungen bis an den Horizont. Unterbrochen wird das grüne Blättermeer lediglich von vereinzelten Waldstücken und prachtvollen alten Châteaus, die von einer lange währenden Weinbautradition zeugen. Das Weingut Château Margaux zählt zu den weltweit renommiertesten und trägt aufgrund der herausragenden Qualität seiner Weine seit 1855 den Titel »Premier Grand Cru Classé«. Wie begehrt selbst die relativ jungen, nach eigenen Angaben aber bisweilen mehr als 100 Jahre lagerfähigen Rotweine sind, zeigt eine im Oktober 2013 für 195 000 Dollar verkaufte 12-Liter-Flasche »Balthazar 2009«.

Die heutige bauliche Form des gut 500 Jahre alten Weinguts entstand um 1815 und blieb seitdem nahezu unverändert: im Wesentlichen prägen das klassizistische Hauptgebäude, die südlich darum herum gruppierten Wirtschaftstrakte sowie die in einem weitläufigen Park situierte Orangerie das Bild. Ergänzt wurde vor 30 Jahren lediglich ein neuer unterirdischer Weinkeller für die Eichenfässer der drei hier erzeugten Rotweine. In den drei Qualitätsabstufungen »Château Margaux«, »Pavillon Rouge du Château Margaux« und »Margaux du Château Margaux« werden jährlich insgesamt 285 000 Flaschen abgefüllt. Weißweine werden im Vergleich hierzu in wesentlich geringerem Umfang erzeugt. ›

Behutsam neustrukturiert

Um das teilweise unter Denkmalschutz stehende Gebäudeensemble und die Weinproduktion besser an die Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts anpassen und dadurch die besondere Güte des Weinguts festigen zu können, entschied sich die Eigentümerin, Corinne Mentzelopoulos, im Jahr 2009 für eine umfassende und doch sehr behutsame Neustrukturierung. Persönliche Kontakte führten schließlich zur Direktbeauftragung von Sir Norman Foster, der sich die Konzeption und bauliche Umsetzung eines entsprechenden Masterplans zur eigenen Aufgabe machte – zahlreiche seiner Skizzen, Pläne und Arbeitsmodelle sind nun in einem Besucherbereich zu besichtigen. Ziel war die Renovierung und Modernisierung der eingeschossigen Wirtschaftsgebäude und der Orangerie, aber auch der Umzug der bestehenden Vinothek in einen unterirdischen Neubau. Die mit Abstand wichtigste Baumaßnahme bildete jedoch die Errichtung eines neuen Kellereigebäudes (Nouveau Chai), dem ersten und bislang auch einzigen oberirdischen Neubau seit 200 Jahren. Hier sollte insbesondere die auf mehrere Geländestandorte verteilte Produktion der 12 000 Flaschen Weißwein »Pavillon Blanc du Château Margaux« zusammengeführt werden. Darüber hinaus waren noch ein ebenerdiger Weinkeller, ein Forschungslabor, ein intern genutzter Verkostungsbereich sowie das Büro des Kellermeisters unterzubringen.

So wie Corinne Mentzelopoulos den Kellermeister dazu anhält, durch die perfekte Zusammensetzung der vier separat vinifizierten Rebsorten (Cabernet Sauvignon, Merlot, Petit Verdot und Cabernet Franc) jedes Jahr aufs Neue großartige und lang lagerfähige Rotweine zu komponieren, so erwartete sie von Foster einen Entwurf, der funktional und ästhetisch auch in Jahrzehnten noch Bestand haben würde. Hinzu kam der Wunsch nach einer Architektur, die sich zurückhaltend, aber selbstbewusst in das historische Gebäudeensemble einfügt und sich zugleich flexibel an leicht veränderte Nutzungen anpassen lässt. Weitreichende Umstrukturierungen – wie z. B. die Vervielfachung der Lagerkapazitäten oder gar weitere Ergänzungsbauten – standen dabei zu keinem Zeitpunkt zur Debatte, da sich das Weingut seit jeher nicht für Expansion, sondern eher für die Optimierung des Status quo interessiert.

Markthalle

Dank des einfachen Walmdachs mit farblich unregelmäßiger Deckung aus neuen und gebrauchten Mönch- und Nonnenziegeln und der sorgfältigen Bezugnahme auf die Firsthöhen der Altbauten, harmoniert das direkt neben dem Wirtschaftstrakt als Solitär platzierte neue Kellereigebäude ganz selbstverständlich mit der bestehenden Dachlandschaft. Dennoch wird auf den ersten Blick deutlich, dass es darüber hinaus keinerlei bauliche Verwandtschaften gibt. So ist sofort klar erkennbar, dass das aus großer Entfernung noch eher schwer wirkende Dach nicht auf einem Massivbau ruht, sondern von im Verhältnis absurd schlank aussehenden Baumstützen emporgehoben wird. Je weiter man sich dem Neubau nähert, desto deutlicher wird, dass die Dachflächen kein abgeschlossenes DG umschließen. Vielmehr legen sie sich als dünne Schicht über einen abgeschlossenen Hallenraum, der sich – umgeben von einer Holz-Stahl-Fassade mit darüber liegender Glaswand – wie die Cella eines griechischen Tempels zwischen den im Freien platzierten Baumstützen befindet. In dieser umlaufenden Freifläche werden zur Erntezeit Trauben zwischengelagert, gepresst, gefiltert und der Traubensaft zur Abfüllung in die innenliegenden Edelstahltanks vorbereitet. Dass diese Raumkonfiguration an eine Markthalle erinnert, unter deren Dach sich die Nutzungen frei anordnen lassen, ist kein Zufall: Der Gebäudetypus war eine der Inspirationsquellen für Fosters Entwurf – in Bezug auf Erscheinungsbild und Flexibilität, aber auch hinsichtlich der eleganten Konstruktion.

Wie aus einem Guss

Dass die – unterhalb der Dachuntersicht aus weiß lasierten Sperrholzplatten offen sichtbare – Stahlkonstruktion so grazil erscheint, liegt v. a. daran, dass die im Querschnitt rautenförmigen »Stämme« der zwölf identischen Baumstützen trotz des komplexen Verbindungsknotens vollkommen nahtlos in die I-Profile der jeweils vier »Äste« übergehen. So wirkt der gesamte Stahlbau wie aus einem Guss. Um diesen Effekt zu erreichen, verwendeten die Stahlbauer für die Äste keine herkömmlichen Walzprofile, sondern unterschiedlich große, unterschiedlich dicke und unterschiedlich gebogene Stahlbleche, die nach Vorgabe eines eigens erstellten 3D-Modells passgenau zusammengeschweißt wurden. Die Herausforderung lag dabei keineswegs nur in der Herstellung der einzelnen Formstücke, sondern auch in der Zugänglichkeit und Präzision der Schweißnähte sowie in der Verwendung der je nach Lage und statischen Anforderungen unterschiedlichen Blechdicken. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass das Innere der Stützen nicht einfach nur hohl, sondern voller aussteifender Stegplatten ist, und dass die Äste – anders als gewöhnliche I-Profile – über zwei Stege und einen in der Mitte liegenden Hohlraum verfügen.

Das Schneiden und Biegen der Bleche erfolgte unter geschützten Bedingungen in einer Werkstatt im tschechischen Pilsen, wo die gesamte Tragkonstruktion – auf dem Kopf liegend – vormontiert, mithilfe von Schablonen geschliffen und nachgefräst, anschließend gespachtelt und dann in Hellbeige deckbeschichtet wurde. Danach zerlegten die Stahlbauer das Ganze in kleinere Segmente, die schließlich per Lastwagen nach Margaux gelangten. Dort wurden die Teile fest verschweißt, die Nahtstellen ausgebessert und die ganze Konstruktion mit einer finalen Farbschicht überzogen – da es keine Brandschutzanforderungen gab, konnte auf unschöne Schutzanstriche verzichtet werden.

Sein statt Schein

Wie bei der Dachkonstruktion so ist auch jedes Detail des Innenraums von großer Sorgfalt geprägt. Im vorderen, nicht klimatisierten Südteil befinden sich jene linear aufgereihten Edelstahltanks, in denen der Traubensaft zur ersten Reifung eingefüllt wird. Von hier führt eine filigrane, geschwungene Edelstahlwendeltreppe nach oben auf einen Gitterrost über den Tanks bzw. auf die Fläche über Forschungslabor und Weinkeller, wo der vorvergorene Traubensaft in Eichenfässern zum Wein reift. Während das EG eher von antiseptischer Sauberkeit und weitgehend geschlossenen Außenwänden geprägt ist, bietet das OG des hinteren Bereichs flächenbündige Einbaumöbel und Böden in warmen Holztönen sowie fantastische Ausblicke auf die umliegenden Weinberge. Hier liegt, direkt unter dreieckigen Oberlichtern, der lichtdurchflutete Verkostungsbereich, in dem die jungen Weine beurteilt und deren spätere Zusammensetzungen festgelegt werden.

So gut sich die nördlich anschließende Terrasse, der sowohl der Park als auch das Hauptgebäude zu Füßen liegen, für rauschend Feste und eindrucksvolle Erinnerungsfotos eignen würde – für Besucher und Publikumsverkehr ist dieser Bereich tabu. Führungen (z. B. durch Weinkeller, Vinothek und auch das EG des neuen Kellereigebäudes) sind zwar grundsätzlich möglich, jedoch nur wochentags, nur in Kleingruppen und nur nach vorheriger Anmeldung. Im Gegensatz zu dem, was die Gäste von vielen anderen Weingütern der Region an Eventkultur und Architekturspektakel rund um das Thema Wein geboten bekommen, ist das Angebot des Château Margaux eher klein – hinzu kommt, dass Wein nicht hier, sondern ausschließlich bei ausgesuchten Weinhändlern gekauft werden kann. Der extravagant auf das Wesentliche reduzierte und dezidiert zeitgenössische Neubau fügt sich vielleicht gerade deshalb so gut in das historische Gebäudeensemble ein, weil er nichts anderes darstellen muss, als das, worum es hier im innersten Kern geht: die Fortsetzung einer von großer Sorgfalt und hoher Qualität geprägten Tradition der Weinherstellung.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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