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db deutsche bauzeitung 01-02|2016
Produktion
db deutsche bauzeitung 01-02|2016

Mit Präzision

Hydraulikteile-Werk in Kaufbeuren

Die neue Produktionsstätte eines Hydraulikspezialisten in Kaufbeuren bietet weit mehr als nur attraktive Fotomotive mit saftig grünen Wiesen und dem Blick zu den Allgäuer Alpen. Die für ihre Industriebauten bekannten Architekten Barkow Leibinger schufen ein Gebäudeensemble, bei dem die Architektur und die Bedürfnisse des Bauherrn und der Mitarbeiter gleichberechtigt nebeneinanderstehen.

31. Januar 2016 - Roland Pawlitschko
Vermutlich hat kaum je ein Leser dieses Artikels von Proportional-Wegeschiebern gehört – kleinen kompakten Bauteilen zur Steuerung hydraulischer Komponenten, die z. B. in Bau- und Werkzeugmaschinen, Kränen und Erdölbohrgeräten unerlässlich sind. Dass es sich hierbei um Präzisionsbauteile handelt, zeigen u. a. die Vorgaben des Hydraulikspezialisten HAWE, der bei der Fertigung lediglich Maßtoleranzen von maximal 0,002 mm zulässt. Allein angesichts dieses Werts erscheint es fast selbstverständlich, dass in dem in Kaufbeuren eigens und ausschließlich zur Produktion solcher Bauteile errichteten Werk funktional und räumlich absolut klar strukturierte Produktionsabläufe im Mittelpunkt stehen.

Bis zur Eröffnung des Neubaus im Sommer 2014 wurden die Proportional-Wegeschieber in einem Münchner Werk gefertigt, das wegen der in den letzten Jahren stetig steigenden Produktionszahlen zu klein wurde. Im Rahmen einer Analyse, bei der rund 200 bayerische Standorte in Gewerbegebieten im Umkreis von München untersucht wurden, erwies sich das Grundstück am östlichen Rand von Kaufbeuren als ideal. Direkt an der viel befahrenen B12 zwischen Landsberg am Lech und Kempten gelegen, bot es bei einem guten Kaufpreis die Aussicht sowohl auf ein rasch abgewickeltes Genehmigungsverfahren als auch auf ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte aus der Umgebung. Insbesondere jedoch war es groß genug – nicht nur für die heutige Produktion, sondern auch für potenzielle Erweiterungen.

Prozessoptimiert

Nach dem Kauf des Grundstücks lobte HAWE einen Architektenwettbewerb aus, der den teilnehmenden Büros zwar reichlich Informationen zu den Produktionsprozessen bot, dabei aber große Spielräume bei der Gestaltung der Produktionsgebäude ließ. Das letztlich siegreiche Konzept des Architekturbüros Barkow Leibinger überzeugte den Bauherrn von Beginn an durch das tiefe Verständnis für die Betriebsabläufe, das eine Vereinbarkeit von Produktion und Architektur ermöglichte: Auf der einen Seite finden sich vollkommen pragmatisch organisierte Produktionshallen mit effizientem Tragsystem, die unverkennbar ganz im Zeichen wirtschaftlicher und funktionaler Zwänge stehen; auf der anderen Seite kommen spannungsvolle Fassaden sowie das sorgfältig komponierte Zusammenspiel von Holz, Sichtbeton und Profilglas zum Einsatz, insbesondere in den Büro- und Aufenthaltsbereichen.

In einem Überarbeitungsprozess entwickelten Architekten und Bauherr gemeinsam aus dem Wettbewerbsbeitrag mit sieben Gebäuden das heutige Konzept der windmühlenartig um einen begrünten Innenhof angeordneten Produktionshallen. Von diesem geschützten Bereich ist von außen jedoch zunächst einmal nichts zu sehen. Was bei der Annäherung an das Werksgelände hingegen sofort auffällt, ist ein feinsinnig gestaltetes Gebäudeensemble. Dessen weithin sichtbares Charakteristikum sind mit transparenter Wärmedämmung gefüllte Profilglasfelder in Form stehender und an der unteren Ecke gekappter Dreiecke, die nahtlos in ein sich nach Norden öffnendes Sheddach übergehen. Im Wechsel mit großflächig in Aluminiumtrapezbleche gehüllten Fassaden tragen diese prägenden Großformen dazu bei, die bis zu 120 m langen Baukörper optisch zu gliedern. Zugleich sorgen sie für sehr gute Lichtverhältnisse im Innern der Hallen und ermöglichen dank der transparenten Glasfelder im unteren Bereich den Blickkontakt von fast jedem der derzeit rund 350 Arbeitsplätze ins Freie. Umgekehrt erhalten Passanten und Autofahrer auf der B12 durch diese Glasfelder v. a. am Abend, wenn die Hallen gleichsam wie riesige Schatzkästchen zu leuchten beginnen, Einblicke in die Produktion.

Besucher, die auf diese Weise beim Rundgang um die Hallen neugierig geworden sind, werden beim Betreten der Eingangshalle erneut überrascht. Hier herrscht nämlich keineswegs nüchterne Fabrikhallenatmosphäre. Vielmehr erscheint dieser leicht aus der Flucht der Produktionshalle gerückte, zweigeschossige Gebäudeteil mit raumhoher Verglasung, ausladendem Empfangstresen, Loungesesseln und skulpturaler Holzlamellenwandbekleidung wie eine Hotellobby. Im EG befinden sich temporäre Büroarbeitsplätze für externe Mitarbeiter, im OG liegen die Büros der Geschäftsleitung sowie Besprechungsbereiche.

Attraktivität und Flexibilität

Vom EG führt ein ganz in samtigem Sichtbeton und transluzentem Profilglas gehaltener Gang – vorbei am nördlichen Mitarbeitereingang – direkt in eine der vier, 8 m hohen Produktionshallen. Obwohl hier keineswegs nur montiert, sondern auch produziert wird, steigt einem lediglich ein leichter Geruch von Maschinenschmierstoffen in die Nase. Der Grund hierfür sind u. a. Anlagen, die unter Schutzabdeckungen vernebelte Kühlmittel absaugen, abscheiden und am Ende gesäuberte Luft entlassen. Eine wesentliche Rolle für die hohe Luftqualität spielt aber auch das Quelllüftungssystem, das für einen dreifachen Luftwechsel pro Schicht sorgt und im Winter (gespeist von einem Blockheizkraftwerk) die Beheizung der Halle übernimmt. Zur angenehmen Atmosphäre tragen zudem die relative Ruhe (sämtliche lärmemittierende Maschinen sind akustisch wirkungsvoll abgeschirmt) und das dank der Sheddächer hohe und blendfreie Tageslichtniveau bei. Energieeffizientes LED-Kunstlicht wird bedarfsweise mithilfe intelligenter Lichtsteuerungssysteme automatisch zugeschaltet.

Diese Arbeitsplatzqualitäten bilden eine Einheit mit den allgegenwärtigen ordnenden räumlichen Strukturen. So erfolgt die gesamte Versorgung der Maschinen und Arbeitsplätze u. a. mit Frischluft, Strom und Medien über die Decke, sodass der hochbelastbare und vollkommen leitungsfreie Boden vollkommen flexibel einteilbar bleibt und veränderte Produktionsabläufe jederzeit problemlos umsetzbar sind. Zur Flexibilität trägt nicht zuletzt auch das Betonfertigteil-Tragwerk bei, dessen Stützenraster (12 x 24 m) maximale Freiheit in der Grundrissgestaltung schafft. Aussparungen in den Betonbindern reduzieren dabei nicht nur das Gewicht und ermöglichen die Durchführung von deckengeführten Leitungen. Sie lassen auch das durch die Sheddächer einfallende Tageslicht bis tief in die Hallen strömen.

Treffpunkt in der Mitte

Grundsätzlich sind die hinsichtlich ihrer Abmessungen unterschiedlichen, strukturell aber identischen Hallen so angeordnet, dass die Produktion ausgehend von der Anlieferung der Rohmaterialien in der südlichen Halle über die Bohr- und Feinbearbeitung bis hin zur Endmontage und Auslieferung der fertigen Proportional-Wegeschieber im Uhrzeigersinn abläuft. Dazwischen ordneten die Architekten jeweils einen verbindenden Bereich an. Hier befinden sich Durchgänge zum Transport der teilbearbeiteten Werkstücke mittels personengeführter Routenzüge, v. a. aber dienende, unmittelbar der jeweiligen Hallennutzung zugeordnete Bereiche wie etwa Toiletten, Umkleiden, Materiallager, Werkstätten, Mess- und Technikräume sowie Büros und Besprechungsbereiche. Letztere orientieren sich insbesondere zum zentralen Innenhof, der zugleich das soziale Herz des Produktionsstandorts bildet – nicht zuletzt wegen der im 1. OG situierten Kantine. Die Innenhoffassaden erinnern dank der raumhohen Verglasung und der dunklen Blechbekleidung an den bereits erwähnten Eingangsbereich, und ähnlich wie das Eingangsgebäude versprüht auch der Innenhof einen geradezu urbanen Charme.

Es gelingt, den im Hof für kurze Pausen, informelle Gespräche oder zum Mittagessen aus den Industriehallen auf der »grünen Wiese« zusammenkommenden Mitarbeitern eine wirklich regenerative Auszeit zu verschaffen. Ein zur Umgebung orientierter Pausenbereich wäre im Gegensatz hierzu überdies nie in der Lage gewesen, die Belegschaft im gleichen Maße als Gemeinschaft zu zelebrieren.

Dass beim Produktionswerk in Kaufbeuren am Ende jedes Planungsdetail in irgendeiner Weise als Baustein dazu beiträgt, die Gesamtqualität zu heben, hat zum einen mit einem hohen architektonischen Anspruch zu tun, den HAWE auch an all seine anderen Firmenstandorte stellt. Zum anderen ist sich das Unternehmen aber auch bewusst, dass es als Hersteller von Präzisionsprodukten unerlässlich ist, den Begriff Qualität und eine gewisse Detailverliebtheit – für die Kunden gut sichtbar – auch in den Firmengebäuden fest zu verankern. Nicht zu unterschätzen ist darüber hinaus die Wirkung auf die derzeitigen und zukünftigen Mitarbeiter, die sich letztlich stets für den attraktivsten Arbeitgeber entscheiden.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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