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db deutsche bauzeitung 01-02|2016
Produktion
db deutsche bauzeitung 01-02|2016

Zeichen der Kontinuität

Uhrenmanufaktur in Glashütte

Das Sortiment der sehr teuren Luxusuhren der Manufaktur A. Lange & Söhne ist auf eine gut betuchte Kundschaft ausgerichtet. Der Erfolg, den das Unternehmen damit hat, ist für das Städtchen Glashütte im Erzgebirge ein großes Glück – auch baukulturell, wie der Neubau eindrücklich zeigt.

31. Januar 2016 - Arnold Bartetzky
In den vergangenen Jahrzehnten haben die meisten Industriebetriebe den Städten den Rücken gekehrt, um rentabler produzieren zu können. Seither befördern sie – meist als gesichtslose Großcontainer auf günstigem Bauland – die Zersiedlung und verunstalten die Landschaft. In letzter Zeit aber entdecken einige Industriezweige die Stadt wieder, als Standort für die Produktion und zugleich als Bühne für die Inszenierung einer Marke. Produktionsgebäude werden zunehmend zu Orten der Unternehmensrepräsentation und Produktwerbung. Damit steigt einerseits ihr architektonischer Anspruch, andererseits drohen aber Egozentrik und protziges Gehabe auf Kosten des gewachsenen Stadtbilds.

Dass sich ein Produzent mit seinem Platzbedarf und Repräsentationsanspruch auch ganz unaufgeregt in den Dienst der Stadtentwicklung stellen kann, zeigt der Erweiterungsbau der Uhrenmanufaktur A. Lange & Söhne im sächsischen Glashütte. Nach Enteignung und Verstaatlichung in der DDR-Zeit war das Unternehmen 1990 von Walter Lange, einem Urenkel des Begründers der Glashütter Feinuhrmacherei, Ferdinand Adolph Lange, wiederbelebt worden. Nach kontinuierlichem Wachstum beschäftigt es in dem Erzgebirgsstädtchen mittlerweile rund 650 Mitarbeiter. In der Berufung auf die ehrwürdige, über eineinhalb Jahrhunderte zurückreichende Tradition konkurriert die Manufaktur, die heute dem Schweizer Luxusgüterkonzern Richemont gehört, mit fast einem Dutzend weiterer Betriebe in Glashütte. Mit den Preisen für ihre legendären Uhren, die den legendären Markennamen A. Lange & Söhne tragen, ist sie aber in nahezu konkurrenzlosen Gefilden unterwegs.

Zurückhaltung

Es gibt also allen Grund, selbstbewusst aufzutreten. Großspurigkeit gehört aber nicht zum Stil des Unternehmens, das bei der Gestaltung der überwiegend in Handarbeit gefertigten Uhren auf die Zeitlosigkeit schlichter Eleganz setzt. So markiert der Neubau des Basler Architekturbüros jessenvollenweider, der im August 2015 nach knapp dreijähriger Bauzeit von der Bundeskanzlerin eingeweiht wurde, unübersehbar den südlichen Stadteingang, verzichtet aber auf jede aufdringliche Geste. Mit seinem stattlichen Volumen, das 5 400 m² Produktionsfläche aufnimmt, übertrifft er zwar die beiden Altbauten der Firma aus dem frühen 20. Jahrhundert deutlich. Er marginalisiert seine denkmalgeschützten Nachbarn jedoch nicht, sondern bildet mit ihnen ein Ensemble, das ein Bild der Kontinuität hervorruft.

Der neue Baukörper hat die Gestalt zweier aneinanderstoßender Gebäude von unterschiedlicher Höhe. Das niedrigere nimmt die Traufhöhe des gegenüberliegenden Altbaus auf, an den es mit einem Verbindungsgang über eine Straße hinweg andockt. Für das Unternehmen hat diese verglaste Brücke zugleich die symbolische Funktion einer Verbindung von Tradition und Moderne. Entlang des Bahndamms und des Flusslaufs der Müglitz schließt sich der höhere Gebäudeteil an. Als lang gestreckter Fünfgeschosser wendet er seine markante Stirnseite der Stadt zu. Beide Teile des Neubaus tragen schiefergedeckte Walmdächer, die der örtlichen Bautradition huldigen und zugleich gebäudetechnische Aufbauten zum Verschwinden bringen.

Das Fassadenraster aus Sichtbetonteilen und die großen Fenster evozieren das Urbild einer Fabrik. So schlicht die Gebäudehülle auf den ersten Blick erscheint, so lassen sich bei genauerem Hinsehen viele raffinierte Details erkennen. Mit ihrem unterschiedlichen Maß an Offenheit und Geschlossenheit sind die Fassaden konsequent aus der Funktion der dahinterliegenden Innenräume abgeleitet, zugleich aber auf ihre städtebauliche Wirkung abgestimmt. Besonders transparent erscheint der Bau an seinen aus der Ferne von Osten und Norden wahrnehmbaren Seiten. Trotz des hohen Glasanteils vermittelt das kräftige Sichtbetonraster aber auch hier den Eindruck einer unerschütterlichen, ruhenden Massivität. Es besteht aus präzise gegossenen Fertigteilen, die akribisch zu differenzierten Fassadenkompositionen gefügt wurden. Die beiden unteren Geschosse bilden eine subtil abgesetzte Sockelzone aus. Gesimse und Lisenen setzen fein ausbalancierte horizontale und vertikale Akzente. Die Vor- und Rücksprünge erzeugen eine plastische Wirkung, durch die die Rigidität des Rasters gemildert wird. Dazu tragen auch die filigran reliefierten diagonalen Linien bei, die wie ein zarter Fries die Fensterbrüstungsfelder überziehen und dabei die betont tektonischen Fassaden in eine leichte Schwingung versetzen. Der Bau verdankt sie dem Basler Künstler Peter Suter. Entgegen verbreiteter Praxis in der »Kunst am Bau« wurden die »Taktstriche«, wie sie ihr Urheber nennt, nicht nachträglich appliziert, sondern im Zusammenwirken mit den Architekten von vornherein in den Entwurf einbezogen.

Dass der Bau bei aller Strenge nicht abweisend wirkt, liegt überdies an der freundlichen Wirkung der Sichtbetonoberflächen: Ein Weißzementzuschlag hellt den Ton auf, Glimmerzusätze erzeugen einen dezenten Schimmereffekt, und durch die abschließende Sandbestrahlung zeigt sich die Oberfläche mit einer lebendigen Struktur.

Nüchternheit und Raffinesse

Das Gebäude nimmt ein komplexes Raumprogramm auf, für das es in der Industriearchitektur keine Blaupause gibt. Fast alle Bestandteile der Uhren werden in der Manufaktur hergestellt, die meisten Fertigungsschritte erfolgen im Neubau. Daraus ergibt sich eine Vielzahl unterschiedlicher Anforderungen, von den hohen Bodenlasten für die im niedrigeren Gebäudeteil untergebrachten Dreh-, Fräs- und Bohrmaschinen über strenge sicherheitstechnische Bestimmungen bis zur ausgeklügelten Lichttechnik und dem besonderem Raumklima in den Ateliers der Feinuhrmacher. Letzteren sind die teilweise durch flexible Wände unterteilten, lichten Raumfolgen vorbehalten, die in den OGs an der Ostseite des höheren Gebäudeteils angeordnet sind. Um die Arbeitsplätze vor der direkten Sonneneinstrahlung zu schützen, haben die Architekten die Räume mit ihren großflächigen Fenstern, die einen grandiosen Blick auf die Berglandschaft bieten, leicht nach Norden verschwenkt. Für zusätzlichen Blendschutz sorgt eine Doppelfassade, die als vorgelagerte begehbare Raumschicht ausbildet ist. Sie dient dem Druckausgleich für die staubreduzierte Atmosphäre der Ateliers und verhindert zugleich deren Überhitzung im Sommer. Darüber hinaus können Besucher von hier aus den Uhrmachern durch die Glaswand bei ihrer Arbeit zuschauen. Die Idee, die Sonneneinstrahlung auf ein Minimum zu reduzieren, ohne auf die – durch die Lage des Grundstücks naheliegende – Nordsüdausrichtung des Gebäudes zu verzichten, dürfte den Ausschlag dafür gegeben haben, dass sich jessenvollenweider in der letzten Stufe des 2007 durchgeführten Wettbewerbs gegen das auf Unternehmens- und Industriebauten spezialisierte Büro Henn Architekten durchsetzen konnten.

Bei den im Innern verwendeten Materialien herrscht gediegene Nüchternheit. Die Wände sind zumeist in einem zurückhaltenden Grau gestrichen. Die Bodenbeläge bestehen, je nach Raumfunktion, aus Terrazzo, Kautschuk oder Hartbeton. Dem Charakter einer Manufaktur entsprechend, so erläutert Architektin Anna Jessen die Haltung, wird gewöhnliches, im Außenbau gebräuchliches Material leicht veredelt nach innen gezogen. Einen spielerischen Kontrast zur strengen Anmutung der Produktionsräume bietet die elliptisch geschwungene Treppenanlage mit einem wunderbar geschmeidigen Handlauf aus Chromstahl – eine Begegnungszone an der Schnittstelle zwischen den beiden Gebäudeteilen, die in ihrer Großzügigkeit zum Verweilen einlädt.

Ästhetische Haltbarkeit

Dass Unternehmensleitung wie Mitarbeiter mit dem Bau hochzufrieden sind, verdankt sich nicht zuletzt der besonders intensiven Abstimmung, die im Planungsprozess zwischen Werksvertretern und Architekten stattgefunden hat. Ohne die enge Zusammenarbeit mit den künftigen Nutzern, so Anna Jessen, wäre das Projekt nicht realisierbar gewesen.

Zu den Wünschen des Unternehmens gehörte auch ein ressourcenschonendes Energiekonzept. Dafür steht v. a. die große Geothermieanlage, die sowohl zur Beheizung als auch zur Kühlung des Gebäudes eingesetzt wird. Nachhaltig ist der Bau aber nicht nur und nicht in erster Linie aufgrund seiner Energiewerte.

Wichtiger noch ist, dass er als dauerhaftes Bekenntnis zum Produktionsstandort Glashütte nicht zu weiterer Zersiedlung beiträgt und eine ästhetisch dauerhafte Architektur bietet, die beste Chancen hat, in Würde zu altern.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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