Bau und Gegenbau

Trotz einer bilderfeindlichen Staatsreligion wurden im Emirat Katar in den vergangenen Jahren zehn Museen realisiert. Nun soll als Antwort auf die neue Hauptmoschee das weltgrösste Museum entstehen.

Wolfgang Kemp
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Bauen im Kontext – unweit des Islamischen Museums von I. M. Pei (rechts) soll das neue Artmill-Museum in die alten Getreidesilos vorne am Hafen integriert werden. (Bild: PD)

Bauen im Kontext – unweit des Islamischen Museums von I. M. Pei (rechts) soll das neue Artmill-Museum in die alten Getreidesilos vorne am Hafen integriert werden. (Bild: PD)

Im Moment wird das weltweit grösste Museum geplant – in Doha. Das Projekt befindet sich in Phase zwei eines dreistufigen Wettbewerbs; die Willenserklärung ist da, das Geld auf jeden Fall auch. Was fehlt, sind Kleinigkeiten wie Funktionsvorgabe, Budget, Strukturkonzept usw. Dafür steht der Name fest, und er ist ebenso überraschend wie die veranschlagten 80 000 Quadratmeter Nutzfläche (im Moment liegt der Rekord bei 41 000 Quadratmeter für das geplante Guggenheim Museum Abu Dhabi). Der Name des Projekts in Doha lautet: «The Art Mill», die Kunstmühle. Das ist keine symbolische Verbeugung vor dem Wirbel des zeitgenössischen Kunstbetriebs, er leitet sich von den Getreidemühlen Dohas ab, deren Silos mit in den Komplex einbezogen werden sollen.

Ikonische Architektur

Doha hat bereits neun Museen, die eigentlich schon alle Sammelgebiete von islamischer Kunst über Orientalismus und Fotografie bis hin zu zeitgenössischer Kunst abdecken. So darf sich der Ort selbst als «a global art destination» würdigen, aber die Autoritäten scheinen irgendwie enttäuscht zu sein, dass das grosse Planen und Bauen der letzten zehn Jahre so schnell ein Ende gefunden haben soll und dass in Abu Dhabi die Museen hochgezogen werden, die derzeit die grosse Beachtung auf sich ziehen: der Louvre Abu Dhabi (Architekt: Jean Nouvel), das Guggenheim Abu Dhabi (Architekt: Frank Gehry), das Zayed National Museum Abu Dhabi (Architekt: Norman Foster).

So schreibt nun Katar das finale Bauvorhaben aus, das Hyperprojekt, zu dem keine eigene Bestimmung oder gar Sammlung gehört – ausser dass es den (bildenden) Künsten gewidmet ist. Es folgt nicht dem Franchise-Konzept der Konkurrenten in Abu Dhabi. Sein Bau wurde auch nicht gleich an einen Stararchitekten vergeben, sondern als freier Wettbewerb ausgelobt, an dem in Phase eins 489 Büros teilnahmen. In die zweite Runde gehen jetzt 26 Bewerber; unter ihnen David Chipperfield, Renzo Piano oder Eduardo Souta de Moura. Wenn ich mit Hoffnung den Blick auf das Atelier Bow-Wow aus Japan richte, könnte das vielleicht schaden, ich lasse es und merke stattdessen an, dass das Projekt Meganom mit seinem Namen dem Charakter der Ausschreibung schon ziemlich nahekommt.

Den Laien erstaunt eine Ausschreibung, die ohne nähere Spezifikation in die Welt gesetzt wird. Gefordert ist ein Bau, der höchsten Werten wie «architectural integrity, dynamism and memorability» gerecht wird. Vor der internationalen Sprache der Architektur kommt die internationale Corporate Language der Mission-Statements und Jahresberichte: «Die Art Mill wird dynamisch, nachhaltig, zeitgenössisch sowie dem Sozialen und Kulturellen gegenüber verpflichtet sein. Sie wird zudem das Erbe und den Kontext eines historischen Ortes im Herzen des Hafens und der Stadt respektieren.» Dabei sind die Silos und Hafenanlagen frühestens in den 1960er Jahren entstanden. Was man haben will und allein haben kann, ohne alle Funktionsvorgabe, ist die Figur, die Silhouette, die zeichenhafte Prägnanz, wie sie sich an der Wasserkante abzeichnen muss. «Ikonische Architektur» heisst das heute, die Forderung nach «memorability» weist in diese Richtung. In Doha beging man den Fehler, zu früh anzufangen, und muss jetzt nachrüsten. Das Nationalmuseum wurde bereits 1975 im ehemaligen Herrscherpalast eröffnet, und das Museum für Islamische Kunst von Ieoh Ming Pei ist das erste seiner Art am Golf, eine Institution, die sich auf eine mittlerweile 15 Jahre lange Geschichte berufen kann und sich 2008 als erste mit einer «ikonischen Architektur» umgab. Die «Essenz islamischer Architektur» verdichtete Pei zu einer kubischen Komposition, die immer noch wie ihr Modell aussieht und Assoziationen an den profanen Hausbau, aber auch an Festungen und Moscheen zulässt. Nichts davon war einst in dem kleinen, von Perlenfischern bevölkerten Städtchen am Golf anzutreffen: weder die ausgestellten Objekte noch die Modelle einer islamischen Architektur, abgesehen von zwei Festungen.

Die Güter dieser Kultur ballen sich nun nicht in Ägypten oder Andalusien, wo der Islam Grosses hervorbrachte. Als Empfänger islamischer Kunstgüter stehen im Moment die Museen in Doha und in Abu Dhabi bereit. Pei sagte: «Doha ist in vieler Hinsicht jungfräulich. Es gibt da keinen wirklichen Kontext, kein nennenswertes Leben, ausser man geht in den Souk. Ich musste meinen eigenen Kontext kreieren. Ich war sehr egoistisch.» Der eigene Kontext war in diesem Fall eine künstliche Insel, auf die Pei sein Museum placieren liess, um es von dem abzusetzen, was auch immer auf der Corniche genannten nahen Uferstrasse entstand – z. B. die Kunstmühle, die nun sein Nachbar wird.

Simulacrum einer Weltstadt

Neben Tourismusförderung, Konkurrenz mit Abu Dhabi und viel Geld gibt es noch einen weiteren Grund für die Museumslandschaft und ihre materielle Krönung in Gestalt der Kunstmühle. Katar hat 1,8 Millionen Einwohner, und davon sind nur 13 Prozent Katarer. An einer Zwischenstation nomadischen und maritimen Lebens ist in kurzer Zeit das Simulacrum einer Weltstadt erwachsen, die ganz neu und doch ohne Novum ist. Sie erfüllt die von Marc Augé geprägte Kategorie des Non-Lieu, des Ortes ohne Identität, Beziehung und Geschichte.

Aber Katar unterstützt die Muslimbrüder, die Hamas, die Taliban, die Jihadisten in Libyen und Tunesien und lässt es zu, dass Spendensammler im Emirat für den IS trommeln – weshalb Katar von Kritikern als Financier des Jihad betrachtet wird. So ist es nur konsequent und ehrlich, dass die katarischen Kulturinstitutionen einen Gegenbau in der 2011 eröffneten Imam-Muhammad-Ibn-Abdul-Wahhab-Moschee erhalten haben, die bis zu 30 000 Gläubigen Platz bietet. Die Moschee ist benannt nach dem Gründer der wahhabitischen Bewegung des sunnitischen Islam, der Staatsreligion Katars. Einen Blick in die Moschee kann man dank einem Filmchen auf Youtube werfen und sehen, wie Tausende weissgekleideter Männer in langen Reihen unter den 28 Kuppeln und zahllosen Kronleuchtern auf roten Teppichen sitzen und zuhören, wie ein Mann in eine Hasspredigt ausbricht: «Allah, zerstöre die Juden und diejenigen, die sie zu Juden machten, Allah, zerstöre die Christen und diejenigen, die sie zu Christen machten.» Der Sermon wurde vom katarischen Ministerium für islamische Angelegenheiten auf Twitter gestellt; die ganze Predigt übertrug das Staatsfernsehen Katar TV.

Ein jihadistisches Credo wie dieses hört man aber nicht jeden Tag in der Staatsmoschee; die Autoritäten mischen – auf der Kanzel nicht anders als im Äther und in der Realpolitik. Al-Jazeera ist im Grunde das Modell für ganz Katar: Eine politische Position wird gegen die andere gestellt und dort stehen gelassen. Al-Jazeera und Katar TV gehören dem Staat, aber während al-Jazeera für knallharte Reportagen und kontroverse Gesprächsrunden westlichen Stils bekannt ist (ohne jemals die offizielle Politik Katars kritisch zu kommentieren), bringt Katar TV Regierungsamtliches und im religiösen Programm die wahhabitische Heilslehre.

Unversöhnliche Extreme

So stehen sich in diesem kleinen Land die Extreme unvermittelt gegenüber: eine bilderfeindliche Religion und neun Kunstinstitutionen, eine riesige Moschee und bald auch das weltgrösste Museum, eine fremdenfeindliche Religionsdoktrin und die stärkste amerikanische Marinebasis der Golfregion. Da trifft es sich gut, dass der Emir von Katar sie zur Schwester hat, Scheicha Al Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al Thani. Als Vorsteherin der Museen von Doha ist sie die schönste, reichste und bezauberndste Museumsdirektorin weltweit. Die Kunstszene – widergespiegelt in der «Art Review 100 Power List» – hat sich von ihr bezirzen lassen. 2013 führte die Scheicha diese Liste an, galt sie also als die mächtigste Frau im Reich des schönen Scheins und der hohen Preise. Sie hat «das grösste Budget der Welt, wenn es um den Kauf westlicher Kunst geht». Es beläuft sich pro Jahr auf nahezu 900 Millionen Franken.

Die Scheicha holte mit diesem Geld auf ihre von Staats wegen bilderfeindliche Halbinsel Paul Cézannes «Kartenspieler» (160 Millionen Pfund), elf Gemälde Mark Rothkos (310 Millionen Pfund), zahlreiche Warhols, Lichtensteins, Bacons und Hirsts. 50 Millionen Pfund hatte sie schon für Picassos «Kind mit der Taube» bezahlt, als die britische Regierung ein Exportverbot verhängte, aber nicht durchsetzen konnte, weil in England kein Museum, kein Sammler das nötige Geld aufbringen konnte. Ein Verbot wäre ja auch nicht sehr freundlich gewesen: Erstens stand Katar bis 1971 unter britischem Schutz, und zweitens hat die Scheicha neun Museen und bald weitere geplante 80 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zu bespielen.