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Hier baut das Kol­lek­tiv!
Der Standard

Die Zeit der ge­nia­lis­ti­schen Ein­zel­kämp­fer in der Ar­chi­tek­tur geht dem En­de zu. Das mit dem Tur­ner Pri­ze aus­ge­zeich­ne­te bri­ti­sche Te­am As­sem­ble bringt fri­schen Wind in die Bran­che. Sie sind nicht die Ein­zi­gen, die auf die In­tel­li­genz des Kol­lek­tivs set­zen.

6. Februar 2016 - Maik Novotny
Der ri­tu­el­le Auf­schrei hat­te in die­sem Jahr ei­nen be­son­ders schril­len Sound: Als im De­zem­ber der wich­tigs­te Preis der bri­ti­schen Kunst­welt, der mit 25.000 Pfund do­tier­te Tur­ner Pri­ze, an das Ar­chi­tek­ten­te­am As­sem­ble ver­ge­ben wur­de, war die Kul­tur­welt der In­sel in Auf­ruhr: Das En­de des Tur­ner Pri­ze, ei­ne Bank­rot­terk­lä­rung, ein Aff­ront! Was hat­te Ar­chi­tek­tur denn mit Kunst zu tun? Selbst für die an Skan­da­len und auf­ge­reg­ten „Ist das noch Kunst?“-Dis­kuss­io­nen nicht ge­ra­de ar­me Ge­schich­te des Prei­ses (von Da­mien Hirsts ein­ge­leg­tem Hai über Tra­cey Emins zer­wühl­tes Bett, ko­pu­lie­ren­de Sex­pup­pen und pro­tes­tie­ren­de Ei­er­wür­fe bis zu den un­ver­meid­li­chen Wort­mel­dun­gen von Prin­ce Char­les) war das ein No­vum.

Da­bei ist die ei­ne aka­de­mi­sche, von reich­lich Be­triebs­ei­tel­kei­ten ge­präg­te Fra­ge, ob Ar­chi­tek­tur Kunst sei, der bei wei­tem unin­te­res­san­tes­te Aspekt an der Wahl der Ju­ry. Statt­des­sen könn­te man fra­gen: Wa­rum gibt es die­se Art Ar­chi­tek­tur ge­ra­de jetzt? As­sem­ble ist ein jun­ges, 15-köp­fi­ges Kol­lek­tiv, bunt ge­mischt aus Ar­chi­tek­ten, Künst­lern und De­sig­nern. Mit ih­rem er­sten Pro­jekt Ci­ne­ro­leum ver­wan­del­ten sie 2010 ei­ne leers­te­hen­de Tank­stel­le mit­ten in Lon­don in ein tem­po­rä­res Ki­no. Wie vie­le As­sem­ble-Pro­jek­te wur­de es vom Te­am selbst, ganz oh­ne Auf­trag­ge­ber, ent­wi­ckelt.

In­ter­dis­zi­pli­när, kol­lek­tiv, selbst­be­stimmt und schnell: ei­ne Sel­ten­heit in der Ar­chi­tek­ten­welt, die von über­kom­pli­zier­tem Nor­mie­rungs­we­sen, ju­ris­ti­schen Mi­nen­fel­dern und jah­re­lan­gem Kampf um Mil­lio­nen­pro­jek­te ge­prägt ist. Ein Ge­gen­mo­dell auch zum Ima­ge des Ar­chi­tek­ten als ein­zel­nes Ge­nie, das sich in Denk­er­po­se ab­lich­ten lässt, wäh­rend er sei­ne „sig­na­tu­re build­ings“ über de­mo­kra­tisch zwei­fel­haf­te Staa­ten aus­streut. Ein Sig­nal auch für die bri­ti­sche Ar­chi­tek­tur: Denn As­sem­ble be­ka­men den Preis ex­pli­zit für ihr Pro­jekt Gran­by Four in Li­ver­pool: ein her­un­ter­ge­kom­me­nes, zum Ab­riss be­stimm­tes Vier­tel, be­rüch­tigt durch die Tox­teth Ri­ots im Jahr 1981, des­sen letz­te Be­woh­ner sich stand­haft wei­ger­ten, auf­zu­ge­ben. Ge­mein­sam mit ih­nen ent­wi­ckel­ten As­sem­ble ei­ne Ret­tungs­ak­ti­on für das Vier­tel. Zehn Häu­ser wur­den ge­ret­tet, zwei wei­te­re, von de­nen nur noch die Au­ßen­mau­ern üb­rig ge­blie­ben wa­ren, wur­den zu ei­nem rie­si­gen Win­ter­gar­ten um­ge­baut.

Tap­fe­res Über­bleib­sel

Im da­zu­ge­hö­ri­gen Gran­by Works­hop, in dem die Be­woh­ner Hand­werks­stü­cke an­fer­ti­gen, die das In­ne­re der aus­ge­wei­de­ten Häu­ser wie­der er­gän­zen: vom Ka­min­sims zum ge­drech­sel­ten Ge­län­der. Der Er­lös wird wie­der ins Ge­samt­pro­jekt in­ves­tiert: Ar­chi­tek­tur als so­zia­les Ge­samt­kunst­werk. Bei den Men­schen in Li­ver­pool kam das her­vor­ra­gend an: „As­sem­ble wa­ren die Er­sten und Ein­zi­gen, die uns je­mals zu­ge­hört ha­ben“, sagt ei­ne der Be­wohn­er­in­nen.

„Un­se­re Ar­beit um­fasst vie­le Rol­len: Wir sind De­sig­ner, Hand­wer­ker, Künst­ler und Or­ga­ni­sa­to­ren“, er­klärt das Te­am sein Selbst­ver­ständ­nis. „Uns in­te­res­siert, wie die Men­schen den öf­fent­li­chen Raum in Be­sitz neh­men kön­nen und wie sie durch das Selbst­ma­chen ler­nen, wie Din­ge zu­sam­men­ge­fügt sind. Un­se­re Um­ge­bung ist form­bar und ver­än­der­bar: Un­se­re Auf­ga­be ist es, krea­ti­ve Mög­lich­kei­ten zu fin­den, wie die Men­schen ih­re Um­ge­bung be­ein­flus­sen kön­nen“, sagt As­sem­ble-Mit­glied Pa­lo­ma Stre­litz.

Im Pro­jekt Fol­ly for a Flyo­ver bau­ten As­sem­ble ge­mein­sam mit Frei­wil­li­gen aus bun­ten Zie­gel­stei­nen ein tem­po­rä­res Haus zwi­schen zwei Brü­cken ei­ner Lon­do­ner Stadt­au­to­bahn: Wie ein ein­sa­mes, aber tap­fe­res Über­bleib­sel aus ei­nem vik­to­ria­ni­schen Ku­rio­si­tä­ten­ka­bi­nett reckt es sei­nen Spitz­gie­bel zwi­schen den Fahr­bah­nen em­por, wäh­rend es un­ter der Brü­cke Raum für Ki­no- und Thea­ter­auf­füh­run­gen bie­tet.

All das kann man als sym­pa­thi­sche, aber harm­lo­se Welt­ver­bes­se­rungs­bas­te­lei se­hen. Doch an­ge­sichts der dra­ma­ti­schen Ent­wi­cklung des Woh­nungs­markts in Groß­bri­tan­nien sind das mehr als nur klei­ne In­ter­ven­tio­nen. Wäh­rend der öf­fent­li­che Raum im­mer mehr pri­va­ti­siert wird, wird die­ser Ta­ge der Hou­sing Bill der Ca­me­ron-Re­gie­rung vom Ober­haus ge­prüft: Mit der Be­grün­dung, die aku­te Woh­nungs­kri­se zu be­wäl­ti­gen, sol­len dank die­ses neu­en Wohn­bau­ge­set­zes die so­zia­len Wohn­bau­ten der Nach­kriegs­zeit ab­ge­ris­sen, re­no­viert und ver­kauft und ge­för­der­te „star­ter ho­mes“ auf den Markt ge­bracht wer­den: Die Bri­ten woll­ten eben kau­fen, nicht mie­ten, heißt es bei den To­ries. Kri­ti­ker wen­den ein, dass die­se „star­ter ho­mes“ nach we­ni­gen Jah­ren auf dem frei­en Markt zu er­wart­bar hor­ren­den Prei­sen wei­ter­ver­kauft wer­den kön­nen. Selbst die Mit­tel­klas­se wird sich dann in Lon­don kei­ne Woh­nun­gen mehr leis­ten kön­nen, von den Är­me­ren ganz zu schwei­gen.

Ak­tio­nen wie die von As­sem­ble, die Bür­ger da­bei un­ter­stüt­zen, sich den Woh­nungs­be­stand und den öf­fent­li­chen Raum an­zu­eig­nen, sind po­li­tisch zu se­hen. Deut­lich macht das ein an­de­res Kol­lek­tiv: Die Grup­pe Ar­chi­tects for So­ci­al Hou­sing for­mier­te sich im Pro­test ge­gen die Plä­ne der Re­gie­rung, den so­zia­len Wohn­bau zu eli­mi­nie­ren. Auf die Be­mer­kun­gen Ca­me­rons, die Wohn­an­la­gen der 1960er-Jah­re sei­en nichts wei­ter als trist und von Kri­mi­na­li­tät ge­präg­te Slums, rea­gier­ten sie die­se Wo­che mit Bil­dern des tat­säch­li­chen Zu­stands des vom Ab­riss be­droh­ten Cen­tral Hill Es­ta­te im Lon­do­ner Stadt­teil Lam­beth: üp­pi­ges Grün, ge­pfleg­te Haus­ein­gän­ge, spie­len­de Kin­der, ei­ne le­ben­di­ge Nach­bar­schaft.

In­no­va­ti­ves Mi­lieu

Schnell rea­gie­ren, vor Ort sein, mit den Be­wohn­ern ar­bei­ten: Das ge­lingt im Kol­lek­tiv am ef­fek­tivs­ten. Die­ser Ge­ne­ra­ti­on der Ar­chi­tek­ten steht das Ma­chen nä­her als das Pla­nen – denn das Ma­chen ist oft drin­gend ge­bo­ten. Wie das selbst ge­mein­sam mit In­ves­to­ren er­folg­reich funk­tio­nie­ren kann, zeigt das Te­am Plan­bu­de aus Ham­burg. Als die viel­ge­lieb­ten „Es­so-Hoch­häu­ser“ mit­ten in St. Pau­li zum Ab­riss frei­ge­ge­ben wur­de, wa­ren die streit­ba­ren Ree­per­bahn-Be­woh­ner in Sor­ge um ih­ren Kiez. Al­so er­öff­ne­te die nord­deutsch-sa­lopp be­nann­te Grup­pe aus Ar­chi­tek­ten, Stadt­pla­nern, Künst­lern und Stadt­teil­ar­bei­tern ein Bü­ro vor Ort, in dem sie über 2000 Ide­en für die Neu­be­bau­ung sam­mel­ten. Ge­mein­sam mit Stadt­ver­wal­tung und In­ves­to­ren wur­de so ein Nut­zungs­mix ge­fun­den, der dem Cha­rak­ter des Vier­tels ent­spricht: ge­för­der­te Woh­nun­gen, klei­ne Lä­den, Spiel­flä­chen, ei­ne Klet­ter­wand auf dem Dach. Den städ­te­bau­li­chen Wett­be­werb, der auf die­ser Ba­sis aus­ge­schrie­ben wur­de, ge­wan­nen im Sep­tem­ber 2015 das nie­der­län­di­sche Bü­ro NL Ar­chi­tects und das Köl­ner Bü­ro BeL.

Der Künst­ler Bri­an Eno er­fand den Be­griff des „Sce­ni­us“ als Be­zeich­nung für ein in­no­va­ti­ves Mi­lieu, das von der Ge­nia­li­tät des Kol­lek­tivs vor­an­ge­trie­ben wird. Der Sce­ni­us ist in der Ar­chi­tek­tur an­ge­kom­men. Oder, in den Wor­ten des As­sem­ble-Mit­glieds An­tho­ny En­gi Mea­cock: „Vie­le den­ken, Kul­tur dür­fe nur von ei­ner ta­len­tier­ten Eli­te pro­du­ziert wer­den. Das glau­ben wir nicht. Die Tat­sa­che, dass wir hier sind, ist ein Zei­chen, dass et­was Neu­es pas­siert.“

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