Riss durch die Geschichte

Aufgrund massiver Schäden, die durch eine Grossüberbauung in unmittelbarer Nachbarschaft verursacht wurden, musste die Friedrichswerdersche Kirche 2012 schliessen. Nun droht ihr weiteres Ungemach.

Jürgen Tietz
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Schinkel-Kirche in Berlins historischer Mitte am Werderschen Markt (Aufnahme: Oktober 2015). (Bild: Imago)

Schinkel-Kirche in Berlins historischer Mitte am Werderschen Markt (Aufnahme: Oktober 2015). (Bild: Imago)

In ihrem leuchtenden Backsteinrot bot die Friedrichswerdersche Kirche mit der prägnanten Doppelturmfassade viele Jahre lang einen rundum gut sichtbaren Blickpunkt in der Mitte Berlins. Gleich gegenüber dem ehemaligen Aussenministerium gelegen, präsentierte sich der als Museum genutzte einstige Sakralbau als eines der wenigen auch im Inneren gut erhaltenen Hauptwerke des grossen preussischen Baumeisters Karl Friedrich Schinkel (1781–1841). Zwischen 1824 und 1830 errichtet, gilt die Friedrichswerdersche Kirche neben dem kurz davor vollendeten Schinkel-Denkmal für die Befreiungskriege auf dem Berliner Kreuzberg als ein frühes Beispiel für die Gotik-Rezeption im Werk des eminenten Klassizisten. Sie ist ein architektonisches Kleinod mit besonderer Atmosphäre, in dem die Staatlichen Museen lange Zeit bedeutende Skulpturen der Berliner Bildhauerschule aus dem frühen 19. Jahrhundert ausgestellt hatten.

Weitere Schäden befürchtet

Doch aufgrund massiver Bauschäden musste die Kirche bereits 2012 schliessen, während gleich nebenan auf einer zweigeschossigen Tiefgarage ein Konglomerat neuer Luxuswohnungen emporwuchs. Dem bereits 1999 vom Berliner Senat verabschiedeten «Planwerk Innenstadt» zur «kritischen Rekonstruktion» des Berliner Zentrums folgend, rückt der banale Neubau dabei schmerzhaft dicht an das Baudenkmal heran und raubt ihm – trotz einer halbherzigen Abtreppung in der Mitte des Neubaus – viel Licht und noch mehr Wirkung. Inzwischen wird auch östlich der Schinkel-Kirche gebaut, wo nicht weit entfernt eine bedruckte Plane an Schinkels berühmte Bauakademie erinnert, die 1961 von den Machthabern in der DDR abgerissen wurde.

Auf Nachfrage schliesst die Berliner Bauverwaltung derzeit nicht aus, «dass durch das Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück der Friedrichswerderschen Kirche weitere Schäden an dem Gebäude entstehen». Man habe daher «die vom Denkmalschutz geforderten Messsysteme installiert», um die Auswirkungen auf das Baudenkmal zu überwachen. Angesichts dieser akuten Gefährdung des herausragenden Gebäudes haben die drei Berliner Baugeschichtsprofessoren Kerstin Wittmann-Englert, Kai Kappel und Christian Freigang in einem offenen Brief energisch gegen eine «Stadtplanung, die ohne schöpferischen Impetus allein den Vorkriegsgrundrissen verpflichtet ist» protestiert und eine «unverzügliche, sachkundige und bestandserhaltende Sanierung» des Baudenkmals gefordert. Es wäre die dritte Sanierung seit dem Jahre 1979. Die baupolitische Sprecherin der Partei Die Linke, Katrin Lompscher, ging im Berliner Abgeordnetenhaus sogar noch einen Schritt weiter, indem sie selbst einen Totalverlust der Kirche nicht ausschliessen wollte.

Unvernünftige Verdichtung

Tatsächlich erscheinen der Umgang mit der Kirche und die Rekonstruktion des Stadtgrundrisses an dieser Stelle höchst fragwürdig, nimmt doch allein schon durch die westlichen Neubauten, die so aufdringlich eng an den Sakralbau rücken, der Denkmalwert Schaden. Darüber hinaus haftet der Planung besonders deshalb ein fader Beigeschmack an, weil hier im Namen der Wiederherstellung eines historischen Stadtgrundrisses in Kauf genommen wird, dass das tatsächlich erhaltene Erbe Berlins beschädigt wird. So fügt sich die Stadtentwicklung auf dem Berliner Friedrichswerder in die fragwürdige Tendenz zu einer hemmungslosen Verdichtung europäischer Innenstädte ein, die mit einem dramatischen Wandel für Lebensqualität und Stadtgestalt einhergeht – und dies vor allem auf Kosten des historischen Erbes.