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db deutsche bauzeitung 05|2016
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db deutsche bauzeitung 05|2016

Große Geste am Meer

Schiffsterminal in Porto (P)

Mit diesem Gebäude ist dem Architekten Luís Pedro ­Silva zweifellos ein großer Wurf gelungen: ein ästhetischer Fels in der Brandung der Belanglosigkeit, aber auch ein eng mit seiner Umgebung vernetztes, funktionales Bauwerk, das sich mühelos gegenüber den »schwimmenden Hochhäusern« am Landungssteg behaupten kann.

1. Mai 2016 - Roland Pawlitschko
Gegründet vor gut zwei Jahrtausenden an einem Ort am Atlantik, der schon von Steinzeitmenschen und Kelten bewohnt war, zählt Porto zu den ältesten Städten Europas. Sie ist die namensgebende Stadt des Landes und des Portweins, ihre Altstadt gehört zum Weltkulturerbe, zugleich ist sie aber auch ein wissenschaftliches, kulturelles und industrielles Zentrum von internationalem Rang. Kein Wunder also, dass Porto längst auch ein wichtiges touristisches Ziel ist. Während der weitaus größte Teil der Touristen immer noch mit dem Flugzeug anreist, stieg in den letzten Jahren auch die Zahl derer, die die Stadt mit großen Kreuzfahrtschiffen ansteuern. Bis Mitte 2015 stand hierfür eine Anlegestelle im Industriehafen Porto de Leixões zur Verfügung. Die relativ schlechte Anbindung an die Innenstadt, die unattraktive Lage zwischen Frachtschiffen, Kränen und Containern, und nicht zuletzt fehlende Platz­reserven führten dazu, dass die Stadt und die Hafenverwaltung im Jahr 2004 erste städtebauliche Überlegungen für eine Neuordnung anstellten.

Empfang und Verbindung

Den kurz darauf ausgelobten Wettbewerb zur Ausarbeitung eines Strategieplans für das Hafengelände konnte der Architekt Luís Pedro Silva für sich entscheiden. Zu seinen Aufgaben zählte u. a., den neuen Standort für ein Kreuzfahrtschiffsterminal zu finden, das er schließlich an einem funktionslos gewordenen, geschwungenen Pier aus dem 19. Jahrhundert an der Hafeneinfahrt vorsah. Was zu dieser Zeit noch kaum mehr als ein schriftlicher Eintrag auf einem Plan war, entwickelte sich im Laufe von zehn Jahren zu jenem einzigartigen Gebäude, das heute von ca. 80 000 Kreuzfahrtreisenden jährlich frequentiert wird. Für die Architekten stand der Wunsch nach einem ebenso einprägsamen wie einladenden Gebäude im Mittelpunkt, das den Hafen nicht als hermetisch abgeschlossenes Areal begreift, sondern wie selbstverständlich in die Stadt integriert ist, indem es sich ihr gegenüber wörtlich und im übertragenen Sinn öffnet.

In einer ersten Realisierungsphase wurde der alte Pier seitlich um einen rund 340 m langen und 18 m breiten Landungssteg erweitert, der zugleich als An­legestelle für ein großes Kreuzfahrtschiff und als Umfassung eines neuen Yachthafens für bis zu 170 Boote dient. Der Bau der entsprechenden Anlege­stege sowie eines kleinen Gebäudes mit Café und Räumen des Hafenmeisters stehen noch aus. Unmittelbar dort, wo sich die Straße vom Festland in den ­alten Pier und den Landungssteg gabelt, befindet sich das neue Terminal. Ganz gleich, ob sich Besucher nun vom Schiff, vom Yachthafen oder vom Festland aus annähern, der erste Eindruck ist aus allen Richtungen fast der­selbe.

Das Gebäude erscheint zunächst nicht als »Haus« mit Wänden, Fenstern und Dach, sondern vielmehr als kunstvoll drapierte Struktur aus ineinander verschlungenen, weißen Bändern, zwischen denen horizontale Glasstreifen liegen. Um die Geometrie dieses eleganten Knäuels zu verstehen (tatsächlich handelt es sich um zwei lange »Schlaufen«, die sich von außen ins Gebäude hinein und wieder hinaus winden), bräuchte man ein Architekturmodell – oder einen Helikopterrundflug. In beiden Fällen würde man in dem opulent geschwungenen Körper unwillkürlich einen riesigen Oktopus erkennen, der drei seiner weichen Tentakeln von sich streckt. ­Bilder wie die des Tintenfischs spielten für Luís Pedro Silva überall im Gebäude eine wichtige Rolle – einfach nur Selbstzweck sind sie dennoch nirgendwo. Die Tentakeln beispielsweise bieten Fußwege ins Gebäudeinnere: von der Straße, vom alten Pier bzw. vom Landungssteg.

Glasierte Schuppen

Beim Näherkommen wird deutlich, dass die Oberflächen der weißen Bänder nicht aus einem Guss sind, sondern sich aus glänzend glasierten Keramikfliesen zusammensetzen, die die Form von flachen, oben schräg »abgeschnittenen« Sechsecksäulen haben. Natürlich erinnern sie sofort an Fischschuppen, aber auch an die in Porto an fast allen älteren Bauten vorzufindenden blau-weißen Azulejo. Nach vielen Voruntersuchungen und Diskussionen mit dem Bauherrn fiel die Wahl aber letztlich aus ganz praktischen Gründen auf die Fliesen – schlicht weil es der verantwortlichen Baufirma nicht gelang, die zuvor favorisierten Lösungen aus Sichtbeton oder weißem Glas fristgerecht zu kalkulieren. Die gegen Wind, Wetter und die aggressive Seeluft unempfindlichen Fliesen hatten den Vorteil, dass sich ihre Herstellung und das Verkleben mit Spezialkleber relativ einfach in Quadratmeterpreisen errechnen ließen. Dass dies dennoch eine besondere Herausforderung bedeutete, zeigt die Tatsache, dass auf einer Fläche von 16 000 m² (Innenräume und Fassade) insgesamt rund 900 000 Fliesen zu verlegen waren, ein Arbeiter pro Tag aber lediglich 5 m² Fläche bewältigte. Verlegepläne gab es nicht, wohl aber die Vorgabe, dass direkt nebeneinander liegende Fliesen mit ihrer schrägen Oberfläche nicht in dieselbe Richtung zeigen durften. Das Ergebnis zeigt sich als unregelmäßige, aber homogene Oberfläche, die durch die schillernden Lichtreflexionen von jedem Standpunkt aus anders anmutet.

Reisen und Forschen

Die fensterlosen Bänder lassen von außen kaum erkennen, wie üppig das Terminal eigentlich dimensioniert ist. Wer z. B. von dem teilweise unter der Tentakel zur Straße situierten Busparkplatz in die Empfangsebene im EG gelangt, steht in einem runden, überraschend großen und hohen Atrium. Von hier aus windet sich, verknüpft mit einem der weißen Bänder, eine Rampe nach oben – in Richtung eines flach geneigten Glasdachs. Im 1. OG befinden sich ins­besondere die Räumlichkeiten zur Abfertigung der ankommenden und abreisenden Kreuzfahrtschiffspassagiere (Zollkontrollen, Gepäckausgabe, Wartebereiche, Cafeteria etc.). Eine der Tentakeln bietet von hier als lang gestreckter Steg die witterungsgeschützte Verbindung zum Schiff. Im 2. OG waren ­ursprünglich Shopflächen vorgesehen, die im Planungsverlauf den Labor- und Büroflächen des »Interdisciplinary Centre of Marine and Environmental Research« der Universität Porto gewichen sind. Insgesamt 250 Forscher widmen sich hier in zweigeschossigen, zum Atrium vollverglasten Raumeinheiten der meeresbiologischen Forschung – im UG sind deshalb, neben einer Tiefgarage, zusätzlich noch etliche Fischzuchtbecken eingerichtet worden. Im 3. OG schließlich liegt ein 600 m² großer Ausstellungs- bzw. Multifunktionsbereich, ein Vortragssaal und ein Restaurant.

Brandschutztechnisch konnten die ­Architekten das sämtliche Bereiche flankierende Atrium wie einen Außenraum behandeln, weil im Dach eine mechanische Rauchabzugsanlage installiert wurde, und zudem hohe Unterzüge an den Geschossdecken den Brandüberschlag zum Atrium hin verhindern. So wurden sämtliche Erschließungsbereiche offen und durchlässig ausgeführt, gänzlich ohne spezielle Brandschutzverglasungen der zum Atrium orientierten Räume.

Detailreich und komplex

Der räumlichen Komplexität und dem im Wesentlichen aus Deckenplatten und unregelmäßig gesetzten, teils geneigten Stützen bestehenden Tragwerk stehen einheitlich weiße Oberflächen gegenüber: Böden mit weißem Industrieestrich, weiß verputzte Wände (teilweise mit dunklen Wischspuren), ­weiße Glaspaneele, weiße Möbel und Theken sowie die auch im Innern prägenden weißen Fliesenbänder. Farbakzente bieten z. B. die knallig roten, in abstrahierter Form als Fische gestalteten Kästen, die zur Unterbringung des Feuermelders, eines Wasserschlauchs und des Feuerlöschers dienen. Aus all dem Weiß stechen einige Räume mit besonderen Funktionen hervor: der Vortragssaal gänzlich mit tiefblauem Samt ausgeschlagen oder das Restaurant mit einer Wand- und Bodenbekleidung aus goldbraunen Alupaneelen.

Noch ist das neue Kreuzfahrtschiffsterminal nicht vollständig in Betrieb. Zwar legen bereits Kreuzfahrtschiffe an, doch sind längst nicht alle ­Labore bezogen und auch das Restaurant ist noch nicht eröffnet. Und weil die Straße zum Festland immer noch als Teil des Hafengeländes gilt, also nicht ­öffentlich zugänglich ist, bleibt auch die in Form eines Amphitheaters angelegte Dachterrasse bislang weitgehend ungenutzt. Das ist nicht nur wegen des atemberaubenden Blicks über den Atlantik, die Strände und den Hafen bedauerlich, sondern weil sie als quasi öffentlicher Raum den bildhaften krönenden und opulenten Abschluss des Gebäudes bildet. Hier können Stadt­touristen, Reisende, Anwohner und Universitätsmitarbeiter gemeinsam ein vielfältiges Stück Stadt leben: sonnenbaden, picknicken, entspannen, sich besprechen, arbeiten. Wie gut die Idee der Vernetzung mit der Stadt aufgeht, zeigte ein letzten September veranstalteter Tag der offenen Tür, an dem 16 000 Besucher gezählt wurden. Der Grund für die bislang fehlende Anbindung an die Stadt ist einfach: für die letzten Umstrukturierungsmaßnahmen (z. B. Yachthafen, Straßenneubau, Verlängerung einer Tramlinie bis direkt zum Terminal) fehlt es schlicht an den nötigen öffentlichen Geldern. In diesem Zusammenhang hat Luís Pedro Silva seinen Beitrag bereits geleistet. Statt der ursprünglich veranschlagten 28,5 Mio. Euro kostete das Terminal am Ende nur 26 Mio. Euro – und das, obwohl es mit großem Detailreichtum als ganzheitlich durchdachtes Baukunstwerk ausgeführt ist.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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