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Frisch­luft statt Habs­burg
Der Standard

Zeit­ge­bun­den und zeit­los, re­gio­nal und all­um­fas­send: Der slo­we­ni­sche Ar­chi­tekt Jo­sef Plečnik ist ein ste­ter Quell der Fas­zi­na­ti­on. Ei­ne Aus­stel­lung und ein Buch wid­men sich jetzt zwei sei­ner Schlüs­sel­wer­ke in Prag und Wien.

27. August 2016 - Maik Novotny
Es soll­te sein lu­kra­tivs­ter Auf­trag wer­den, doch am am An­fang woll­te der Ar­chi­tekt ihn gar nicht ha­ben: „Ich ha­be mich mit Zäh­nen und Klau­en ge­wehrt, auf die Burg zu kom­men“, schrieb der Ar­chi­tekt Jo­sef Plečnik spä­ter rück­bli­ckend. „Heut­zu­ta­ge be­reue ich es nicht. Gott weiß, was mit mir oh­ne das wä­re.“ Die Bau­auf­ga­be, ge­gen die er sich so sträub­te, war nicht ir­gend­ei­ne, und der Bau­herr nicht ir­gend­wer: To­máš G. Ma­sa­ryk, er­ster Prä­si­dent der eben ge­grün­de­ten Tsche­chos­lo­wa­kei, er­nann­te den Slo­we­nen Plečnik 1920 zum Ar­chi­tek­ten, der die Pra­ger Burg zum Zen­trum der jun­gen Re­pu­blik um­bau­en soll­te.

Na­ti­on-Brand­ing wür­de man die­ses Vor­ha­ben heu­te nen­nen, und nicht we­ni­ge Pra­ger dürf­ten sich da­mals ge­wun­dert ha­ben, dass kein Lands­mann da­für zum Zu­ge kam. Plečnik, 1872 in Lai­bach ge­bo­ren, hat­te sich in Wien als ei­ner der be­gab­tes­ten Schü­ler Ot­to Wag­ners mit Bau­ten wie der Hei­lig-Geist-Kir­che in Ot­ta­kring (1911–1913) ei­nen Na­men ge­macht. 1911, nach­dem ihm Thron­fol­ger Franz Fer­di­nand, der den Ot­ta­krin­ger Kir­chen­bau ver­ab­scheu­te, die Er­nen­nung zum Nach­fol­ger Wag­ners an der Hoch­schu­le ver­wei­ger­te, zog Plečnik nach Prag, um dort zu leh­ren.

Es ist ei­ne heu­te oft ver­ges­se­ne Tat­sa­che, dass die Tsche­chos­lo­wa­kei in der Zwi­schen­kriegs­zeit ei­nes der fort­schritt­lich­sten und hoch­tech­no­lo­gi­sier­tes­ten Län­der Eu­ro­pas war. Lud­wig Mies van der Ro­hes mit da­mals ge­ra­de­zu fu­tu­ris­ti­scher Haus­tech­nik aus­ge­stat­te­te Vil­la Tu­gend­hat in Brünn oder die Fa­brik­stadt, die für den Schuh­pro­du­zen­ten To­máš Bat’a in Zlín er­rich­tet wur­de, ge­hör­ten in den 1920er-Jah­ren zum Mo­dern­sten, was der Kon­ti­nent zu bie­ten hat­te. Auf dem Hrad­schin zähl­ten je­doch an­de­re Din­ge. Hier soll­te der Grund­stein zur de­mo­kra­ti­schen Staats­iden­ti­tät nicht mit­tels Hight­ech, son­dern mit der Rück­be­sin­nung auf ewi­ge Wer­te le­gi­ti­miert wer­den.

„Fort­schritt und Funk­tio­na­lis­mus gab es un­ten in der Stadt. Auf der Burg soll­te nur das Be­ste vom Be­sten, die edel­sten Baum­ate­ria­lien, zur An­wen­dung kom­men“, er­klärt der slo­we­ni­sche Plečnik-Ex­per­te Dam­jan Pre­lo­vš­ek, des­sen Groß­va­ter als Lai­ba­cher Bau­amts­di­rek­tor dem Ar­chi­tek­ten vie­le sei­ner dor­ti­gen Pro­jek­te er­mög­licht hat­te.

Prä­zi­se Ein­grif­fe

Nicht zu­letzt soll­te die Burg­an­la­ge durch die Um­bau­ten qua­si „ent­habs­bur­gi­siert“ wer­den, und der me­di­ter­ran ge­präg­te Slo­we­ne Plečnik war da­für die idea­le Wahl. Für sei­ne prä­zi­se ge­setz­ten Ein­grif­fe, die 14 Jah­re in An­spruch neh­men soll­ten, griff Plečnik vor al­lem auf das For­men­vo­ka­bu­lar der An­ti­ke zu­rück: Py­ra­mi­den und Obe­lis­ken, ei­ne mas­si­ve Gra­nit­scha­le und ei­ne ge­ra­de­zu lust­vol­le Vor­lie­be für Säu­len, ob in Hal­len, Stie­gen­häus­ern, Sa­lons oder in den von ihm de­zent me­di­ter­ra­ni­sier­ten Gar­ten­an­la­gen. Und als die für ein an­de­res Pro­jekt in Lai­bach vor­ge­se­he­nen Säu­len nicht ver­wen­det wer­den konn­ten, wur­den sie kur­zer­hand nach Prag ex­por­tiert und aus Platz­grün­den ganz prag­ma­tisch zu mi­noi­schen Säu­len um­ge­formt. „Für Plečnik galt die Säu­le als das Grund­ele­ment al­ler Zi­vi­li­sa­tio­nen“, so Dam­jan Pre­lo­vš­ek. „Er sag­te einst, er fän­de es trau­rig, in ei­ner Stadt oh­ne Säu­len zu le­ben.“

„Plečnik bracht den fri­schen Wind der Re­nais­san­ce ins herr­schaft­li­che Bar­ock“, er­klärt Ar­chi­tekt Bo­ris Po­drec­ca, der seit 1967 meh­re­re Plečnik-Aus­stel­lun­gen kon­zi­piert hat. „Er dach­te Ar­chi­tek­tur in al­len Maß­stä­ben: Er be­zog die Aus­bli­cke auf die Stadt Prag mit ein und ent­warf Sitz­mö­bel, die so­wohl mo­dern als auch wür­de­voll und be­quem sind.“ An­ge­sichts der Fül­le an his­to­ri­schen Be­zü­gen ist es kein Wun­der, dass es die Post­mo­der­nen wa­ren, die Plečnik in den 1980er-Jah­ren als Er­ste welt­weit wie­der­ent­deck­ten. War er wo­mög­lich selbst ein frü­her Post­mo­der­ner? „Auf kei­nen Fall!“, so Po­drec­ca. „Er war nie iro­nisch, und man kann ihn nicht auf ei­nen Stil fest­na­geln. Es ging im nicht um das Eta­blie­ren ei­ner Mar­ke, son­dern um den Aus­druck und das to­ta­le Hand­werk der Ar­chi­tek­tur.“ Viel­leicht ist es die­se Nicht­greif­bar­keit, die dem Werk des slo­we­ni­schen Ar­chi­tek­ten ei­ner­seits ei­ne Zeit­lo­sig­keit ver­leiht, ihn an­de­rer­seits aber nie zur leicht iden­ti­fi­zier­ba­ren Be­rühmt­heit wer­den ließ.

Ge­kränk­ter Rück­zug

Den Lu­xus von Zeit, Geld und Ver­trau­en, den er auf der Pra­ger Burg ge­noss, hat­te schließ­lich ein Ab­lauf­da­tum: 1934, zu Be­ginn von Ma­sa­ryks letz­ter Amts­zeit, stie­ßen Plečniks Plä­ne für die Burg-Um­ge­bung auf har­ten Wi­ders­tand der Pra­ger Bür­ger­schaft. Er zog sich ge­kränkt nach Lai­bach zu­rück. Erst 1996 hol­te ihn ei­ne Pra­ger Re­tro­spek­ti­ve wie­der am Ort sei­nes Schaf­fens ins Be­wusst­sein zu­rück. Aus gu­tem Grund, wie Bo­ris Po­drec­ca an­merkt: „Ich ken­ne in ganz Eu­ro­pa kei­nen bes­se­ren Um­bau als die­sen. Punkt!“

Wem der Weg nach Prag zu weit ist, der kann sich ei­nes der frü­hen Meis­ter­wer­ke Plečniks je­der­zeit di­rekt ums Eck vom Ste­phans­dom an­schau­en: das heu­te noch fast ganz ori­gi­nal­ge­treu er­hal­te­ne Za­cherl­haus (1903–1905). Mit sei­ner ver­ti­kal rhyth­mi­sier­ten Stein­ta­pe­te aus Gra­nit­plat­ten, ge­krönt von ei­ner Rei­he dun­kel-mus­ku­lö­ser At­lan­ten, und dem schwung­voll um die Stra­ßen­e­cke sau­sen­den kan­ti­gen Fries ist es da­mals wie heu­te per­fekt maß­ge­schnei­dert für den Ort, an dem es steht.

Ge­samt­kunst­werk

Für den neu­gie­ri­gen Be­su­cher gibt es jetzt ei­nen aus­führ­li­chen Rei­se­füh­rer: Die er­ste Mo­no­gra­fie des Ge­bäu­des, her­aus­ge­ge­ben von den Nach­folg­ern des Bau­herrn, zeigt Plä­ne aus der Ent­ste­hungs­zeit, we­ni­ger be­kann­te De­tails aus dem In­nen­raum wie die heu­te noch avant­gar­dis­tisch an­mu­ten­de Ver­wen­dung von Bo­den­par­kett als Wand­ver­klei­dung und macht deut­lich, welch durch­dach­tes Ge­samt­kunst­werk der Bau ist, der zu­dem aus ei­ner ge­lun­ge­nen Sym­bio­se von Ar­chi­tekt und Bau­herr ent­stand. Ob in Wien oder Prag: Die Wie­der­ent­de­ckung die­ses zeit­lo­sen und im be­sten Sin­ne un­mo­di­schen Ar­chi­tek­ten lohnt sich im­mer wie­der.
Die Pra­ger Burg & Plečnik,

Ar­chi­tek­tur im Ring­turm, Wien, noch bis 23. 9.; zur Aus­stel­lung ist ein Ka­ta­log er­schie­nen.

Jo­sef Plečnik – Za­cherl­haus, Hrsg.: Ni­ko­laus, Pe­ter und Ul­rich Birk­häu­ser, Ba­sel, 2016; 288 Sei­ten, € 39,95

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