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TEC21 2016|35
Dynamisches Licht
TEC21 2016|35
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Morgen in Blau

Nach zwei Jahren Betrieb tritt eine Schreinerwerkstatt den Beweis an: Biologisch wirksame Beleuchtung ist schon heute umsetzbar, ohne den räumlichen Entwurf oder die monatlichen Fixkosten massgeblich zu ­beeinflussen. Die Bedeutung der richtigen Materialwahl aber erstaunt.

Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben teilhaben zu lassen ist das Leitbild einer Firma im bayerischen Landsberg am Lech. Weil jedoch die gewachsene Betriebsstruktur den Anforderungen an eine moderne Produktion nicht mehr genügte, fiel im Jahr 2012 die Entscheidung für einen Neubau. Der Auftrag für die neue Produktionsstätte beinhaltete, die positive Wirkung von Licht auf das Wohlbefinden zu berücksichtigen und gezielt mit einzuplanen. Für den 2500 m² grossen Neubau wurden daher die Erkenntnisse über die nichtvisuelle Wirkung[1] von Licht (vgl. «Licht spüren») Grundlage für die Entwicklung des Tages- und Kunstlichtkonzepts.

Da diese Thematik für die Baupraxis hochrelevant ist, förderte die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) die integrale Planungsphase ebenso wie die anschliessende Evaluation. Unterstützt wurde unter anderem die Entwicklung eines erweiterbaren Holzbaus, eines zukunftsorientierten Energiekonzepts und eines Tages- und Kunstlichtkonzepts, das sich an den Erkenntnissen über biologisch wirksames Licht orientierte.

Im Februar 2014 nahm die Schreinerei den Betrieb wieder auf. Seitdem evaluieren die Hochschule München und die Lichtplaner von 3lpi die Kunstlichtanlage und die erwarteten positiven Effekte. Erste Erkenntnisse aus dem vom Planungsbüro im Juni 2016 abgeschlossenen technischen Monitoring liegen nun vor.

Schritt 1: maximales Tageslicht

Für die Planung von melanopischen Lichtwirkungen gab es keine dezidierten Hilfsmittel. Stattdessen mussten die bestehenden Lichtsimulationsprogramme mit Parametern aus der Radiometrie (Spektraldaten) angepasst werden. Die dafür notwendigen Daten wiederum wurden im Projekt mithilfe von spektral aufgelösten Reflexionsmessungen erhoben. Anhand der verfügbaren Vorgaben[2] untersuchten die Lichtplaner, ob eine melanopisch wirksame Lichtanlage in der Werkstätte mit den bestehenden Planungswerkzeugen und den erhobenen Daten konzipiert werden kann und ob die anschliessende Umsetzung mit den Zielwerten übereinstimmt.

Bei der Planung des Tageslichts ermittelten die Lichtplaner das Potenzial des Architekturkonzepts. Die Studie beschränkte sich dabei nicht nur auf die Raumgeometrie sowie auf die Grösse, Anordnung und Beschaffenheit der Tageslichtöffnungen. Auch die Oberflächengestaltung des Innen- und unmittelbaren Aussenraums und die Qualität der transparenten Bauteile beeinflussen das Tageslichtangebot.

Die Oberflächenreflexion der Innenkonstruktion wurde iterativ optimiert, im sheddachnahen Bereich wurden flächige Wärmestrahlplatten angebracht, und die Transparenz der Sheddachverglasungen wurde erhöht – dafür wurde, um den sommerlichen Wärmeschutz einzuhalten, die Transparenz der grossflächig verglasten Südfassade verringert. So liess sich die mittlere Tageslichtmenge im Neubau gegenüber dem ursprünglichen Entwurf um fast 40 % steigern, ohne das räumliche Konzept signifikant zu beeinflussen.

Die Verglasung wurde insbesondere im Hinblick auf ihre Lichtdurchlässigkeit im biologisch wirksamen Bereich ausgewählt. Bei einer der zur Auswahl stehenden Verglasungen lag die Lichtdurchlässigkeit im melanopisch wirksamen Bereich des Spektrums bei 490 nm um 14 % höher, wobei die bauphysikalischen Daten ansonsten vergleichbar waren.

Schritt 2: Kunstlicht, mehr als normgerecht

Unabhängig vom Tageslicht musste die Kunstlichtanlage die Anforderungen an die melanopische Wirksamkeit erfüllen. Hierfür wurde ein Mehrkomponentenkonzept entwickelt. Am Tag wird zur biodynamischen Wirksamkeit mehr Licht benötigt, als die Norm fordert. Eine LED-Direktkomponente an einem Schienensystem mit einer Farbtemperatur von 4000 K stellt die normgerechte Beleuchtung energieeffizient sicher. Diese Komponente allein erfüllt die Anforderungen an eine biologisch wirksame Beleuchtung jedoch nicht.

Eine Indirektkomponente auf Grundlage einer T16-Leuchtstoffröhre ergänzt daher die LED-Beleuchtung. Sie ist auf den Decken- und Sheddachbereich ausgerichtet, um einen möglichst grossen Raumwinkel für den Nutzer auszuleuchten. Das Leuchtmittel hat eine Farbtemperatur von 17 000 K. Die Farbtemperatur bestimmt die nichtvisuelle Wirkung pro eingestrahlter Leistung. Erst zusammen mit der Intensität («Helligkeit») und einer Bestrahldauer ergibt sich eine melanopisch wirksame Dosis.

Vereinfacht ausgedrückt: Je höher die Farbtemperatur, umso weniger Energie muss eine Anlage aufwenden, um eine melanopische Wirkschwelle zu erreichen. Durch den sehr hohen Blauanteil ist die eingesetzte Leuchte in hohem Mass melanopisch wirksam. Die Steuerung des Kunstlichts folgt sowohl ergonomischen (Erfüllung der Sehaufgabe, nichtvisuelle Lichtwirkungen, visuelle Komfortkriterien) als auch energetischen Zielvorgaben.

Zu festgelegten Tageszeiten wird das Lichtangebot gezielt verändert, um eine biologische Wirkung sicherzustellen und damit den circadianen Rhythmus der Nutzer zu unterstützen. Im Rahmen der Inbetriebnahme wurde der aktivierende und synchronisierende Zeitraum zwischen 8 und 11 Uhr gelegt. Reicht in dieser Phase das Tageslichtangebot ganz oder in Teilen aus, um das Niveau der Sehaufgabe und die gewünschte melanopische Wirkung sicherzustellen, werden die Kunstlichtkomponenten zur Energieeinsparung gezielt gedimmt bzw. ausgeschaltet. Konkret bedeutet das: Neben einer tageslichtabhängigen Steuerkomponente ist eine parallele, tageszeitabhängige Komponente implementiert.

Schritt 3: Überprüfen

Im Rahmen einer wissenschaftlichen Evaluation überprüft die Hochschule München aktuell mit Fragebögen und Interviews, inwieweit sich die erwarteten positiven Effekte derartiger Lichtlösungen auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter auswirken. Im ergänzenden technischen Monitoring erfassten die Planer thermische und elektrische Energieverbräuche und untersuchten den Betrieb der Kunstlichtanlage über ein Jahr hinweg intensiv. Dieses Monitoring wurde im Juni 2016 abgeschlossen.

Die Hauptaufgabe des Monitorings war es, den prognostizierten mit dem eingetretenen Kunstlichtstrombedarf zu vergleichen und mögliche Abweichungen zu analysieren. In der Jahressimulation wurde für die realisierte Anlage 7.7 kWh/m2a berechnet. Der tatsächliche Verbrauch stellte sich um ca. 9 % niedriger ein. Bei der umfangreichen Nachmessung im Frühjahr 2016 bemerkten die Lichtplaner jedoch, dass der durch Alterung und Verschmutzung erwartete Lichtstromrückgang von der Steuerung nicht ausreichend kompensiert wurde.

Die Vor-Ort-Messungen umfassten auch die Oberflächenreflexion und die Auswirkung von Leuchtenreinigung. Die Reflexionsmessung der Holzoberflächen an den Innenwänden machte deutlich, wie stark diese über bereits kurze Zeiträume nachdunkeln. Die OSB-Wandbeplankung hatte seit dem Einbau 19 % an Reflexion im sichtbaren und sogar 28 % im melanopisch relevanten Spektralbereich verloren. Das zeigt die grosse Bedeutung, die der Materialwahl zukommt – denn diese Reduktion muss die Kunstlichtanlage kompensieren, um die nichtvisuellen Wirkungen sicherzustellen.

Auch der Einfluss der Verschmutzung der Leuchten war Bestandteil der Untersuchung. Mit nur 5% Lichtstromreduktion über zwei Betriebsjahre ist die Verunreinigung für einen Holzverarbeitungsbetrieb jedoch als gering einzustufen.

Schritt 4: Dazulernen

Im Rahmen des Projekts sowie des anschliessenden Monitorings konnte gezeigt werden, dass die Planung und Überwachung einer melanopisch wirksamen Beleuchtung grundsätzlich möglich ist. Der zusätzlich notwendige Energieverbrauch einer solchen Anlage ist nicht unerheblich, aber – entsprechende Planung vorausgesetzt – akzeptabel.

Die zusätzlichen Energiekosten stehen in keinem Verhältnis zu Mitarbeiterkosten oder den zu erwartenden Vorteilen einer wirksamen Lichtlösung. Die Mitarbeiterkosten liegen sogar bei einer solchen Arbeitsstätte um ein Hundertfaches (hier: Faktor 800) höher als die zusätzlichen Kosten für Kunstlichtstrom, wenn man beides auf den Quadratmeter herunterrechnet. Die Evaluation zur Nutzerzufriedenheit ist noch im Gang. Die Befragung der Mitarbeiter erwies sich als aufwendiger als ursprünglich gedacht. Bislang zeigt sich die Tendenz, dass die zusätzliche Beleuchtung am Tag im Winter zu signifikanter Verbesserung beim Einschlafen sowie für die Zeit nach dem Aufstehen führt.

Bauherrschaften, Architekten und Planer sollten im Vorfeld unbedingt prüfen, ob bzw. inwieweit Tageslicht bereits die melanopische Wirksamkeit erfüllen kann, und erst im zweiten Schritt – auf Basis dieser Erkenntnisse – eine Kunstlichtanlage projektieren. Die Einhaltung der «nichtvisuell» wahrnehmbaren Parameter über die Anlagenlebensdauer ist eine der wichtigsten Fragen, denen sich Anlagenerrichter und -betreiber nicht nur in diesem Projekt, sondern künftig allgemein stellen müssen.


Anmerkungen:
[01] Melanopische Lichtwirkungen sind nichtvisuelle Lichtwirkungen, die über das Auge vermittelt werden. Sie umfassen u. a. die Melatoninsuppression bei Nacht, die Vigilanz/Aufmerksamkeit sowie die Synchronisation an den Tag-Nacht-Rhythmus.
[02] DIN SPEC 5031-100:2015-08 und 67600:2013-04. Derzeit gibt es sehr wenige offizielle Richtlinien, die Planungsempfehlungen für melanopische Lichtwirkungen geben. Die DIN SPEC (mögliche Basis für eine zukünftige Norm) sind erste Ausläufer. In der Schweiz und international wird viel dazu geforscht, doch im breiten Normenmarkt wird sich dieses Thema erst in den kommenden Jahren festigen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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