Frankreich, Vandalenstaat?

Aus Anlass der «Journées du patrimoine» beklagen ein Architekturhistoriker und ein engagierter Journalist, der Staat sei selten mehr Schützer, häufiger passiver Zeuge, immer öfter gar aktiver Täter.

Marc Zitzmann, Paris
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Vandalismus - In diesem Falle wohl nicht die Arbeit des französischen Staats. (Bild: Michel Euler / Keystone)

Vandalismus - In diesem Falle wohl nicht die Arbeit des französischen Staats. (Bild: Michel Euler / Keystone)

Gady und Rykner haben wieder zugeschlagen! Für bauwütige Bürgermeister, unsensible Architekten, profitgierige Betonierer, instrumentalisierte «Experten» und inkompetente Kulturminister(innen) bildet das Duo eine Mischung aus Nemesis und Harpyie. Ebenso gründlich wie grausam geisseln die beiden die politischen Kalküle und kulturellen Defizite, die verborgenen Feigheiten und offenen Selbstüberhebungen, vor allem jedoch den flagranten Mangel an Geschichtsbewusstsein und an ästhetischer Sensibilität der Entscheidungsträger, denen tagtäglich Vandalenakte gegen Frankreichs Bauerbe entspringen.

Sie tun das kraft ihrer Fachkompetenz. Alexandre Gady, Jahrgang 1968, ist Architekturhistoriker, Professor an der Université Paris-Sorbonne, Autor von Standardwerken über den Louvre, Versailles oder das Marais-Viertel und Kurator vielbeachteter Ausstellungen. Didier Rykner, 1961 geboren, gründete 2003 die Webzeitung «La Tribune de l'Art», die sich mit westlicher Kunst und Architektur vom Mittelalter bis zu den 1930er Jahren befasst und mit investigativen Hintergrundberichten in diesem Bereich eine klaffende Marktlücke füllt.

Missachtung der Gesetze

Jüngst gaben die beiden in Paris eine gemeinsame Pressekonferenz, Gady als Präsident der Société pour la protection des paysages et de l'esthétique de la France, des ältesten hiesigen Denkmalschutzvereins, Rykner als engagierter Journalist. Anlass war die letztes Wochenende abgehaltene 33. Ausgabe der «Journées européennes du patrimoine», der Mutter aller Denkmaltage.

Das heurige Thema, «Patrimoine et citoyenneté», nahmen Gady und Rykner beim Wort, um es kritisch zu hinterfragen. Wie kommt es, wunderten sich die beiden, dass der Staat in Sachen Denkmalschutz allzu oft das eigene Gesetz missachtet, wo nicht gar bewusst bricht? Weswegen werden Reiche und Mächtige auch hier anders behandelt als einfache Bürger? Ist der Gesetzgeber auf dem ästhetischen Auge blind? Und warum sind Rekurse gegen Bauvorhaben schwierig bis unmöglich?

Beispiele illustrierten jede dieser Problematiken. In Nancy etwa gab das Kulturministerium sein Plazet für den im Rahmen eines Ausbaus des Kunstmuseums geplanten Abriss von Stallgebäuden aus dem Jahr 1766, die unter Denkmalschutz stehen, in einem geschützten Viertel liegen und direkt an eine Unesco-Welterbe-Zone angrenzen.

Derlei Fälle von «Staats-Vandalismus» mehren sich seit gut zehn Jahren. Zu den grössten Sündern gehört die Stadt Paris, die ihre Kirchen verrotten lässt – die Pflege des religiösen Bauerbes der Gemeinde ist mit jährlich 12 Millionen Euro für 96 Kultgebäude krass unterdotiert. Neben dem Abriss und der Preisgabe an den Verfall führten Gady und Rykner auch Fälle an, wo Kleinode der Baukunst mit dem Segen befangener oder auch bloss feiger «Experten» zu Tode restauriert wurden, so der Staat sie nicht kurzerhand zum Verkauf anbot – darunter Bauten von Jules Hardouin-Mansart und Ange-Jacques Gabriel.

Ästhetische Blindheit

Dass die Reichen und Mächtigen über dem (Denkmalschutz-)Gesetz stehen, zeigen die Beispiele von Tours, wo der ehemalige erzbischöfliche Palast durch einen Anbau entstellt werden soll, um die Sammlung eines Textilindustriellen zu beherbergen. Von der ästhetischen Blindheit der Regierenden zeugt aber auch ihre Gleichgültigkeit gegenüber der Errichtung von Windturbinen in Sichtweite von Baudenkmälern und der Verschandelung pittoresker Fassaden durch Aussendämmung. Mehr als alles andere beklagen Gady und Rykner die freiwillige Abdankung des Kulturministeriums. Dieses sei nur mehr selten Schützer, häufiger passiver Zeuge, immer öfter gar aktiver Täter.