Glosse

Hier pfuscht man gern

Kein Pfusch wird so oft beklagt wie der Pfusch am Bau. Auch Repräsentationsbauten der öffentlichen Hand unterliegen dem Pfusch. Warum ist das so?

Joachim Güntner
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Nach nur 15 Jahren Betriebszeit ist das Kanzleramt in Berlin ein Sanierungsfall. (Bild: Sven Simon)

Nach nur 15 Jahren Betriebszeit ist das Kanzleramt in Berlin ein Sanierungsfall. (Bild: Sven Simon)

Pfusch gibt es überall, aber nichts ist so sprichwörtlich wie der Pfusch am Bau. Sachverständige wissen Bücher darüber zu schreiben. Darin können Bauherren lesen, worauf sie achten müssen, damit ihr Haus fachgerecht errichtet wird, und was ihnen andernfalls droht. Glücklich, wer beim Einzug nur über ein paar schlecht gesetzte Steckdosen zu klagen hat. Es kann viel dicker kommen: ein schiefes Fundament, feuchte Keller, falsch gedämmte und darum nicht atmende Wände, undichte Dächer – zahlreich sind die Möglichkeiten, Dinge beim Bau so gründlich falsch zu machen, dass sie hinterher richtig teuer werden.

Private Häuslebauer wird es nicht trösten, dass auch Repräsentationsbauten der öffentlichen Hand dem Pfusch unterliegen. Angela Merkel etwa gilt als mächtigste Frau der Welt, was sie aber nicht vor einem Regierungssitz bewahrt, in dem es modrig riecht. Der «Spiegel» hat jüngst daran erinnert. «Nach nur 15 Jahren Betriebszeit ist das Kanzleramt ein Sanierungsfall», berichtete das Hamburger Magazin unter Berufung auf Haushaltsexperten des Bundestages. «Geschätzter Mittelbedarf allein 2017: rund dreieinhalb Millionen Euro.»

In der Tiefgarage müsse bei starkem Regen das durch die Decke tröpfelnde Wasser abgepumpt werden, über die Dachkante des Amtes wuchere Moos, die Fassade trage vom herunterlaufenden Wasser hässliche Streifen, und auch im Innern der Machtzentrale sei es feucht, weil das Dach schadhaft sei. Hinzu kommen eine zu sanierende Belüftungsanlage (gegen den Modergeruch), reparaturbedürftige Stromleitungen, vergammelte Waschtischarmaturen und technisch veraltete Ölöfen.

So viele Beanstandungen nach so kurzer Zeit, wie kann das sein? Dem Architekturkritiker der «Süddeutschen Zeitung» fielen zum Kanzleramt weitere Sündenfälle ein, schnell alternde Neubauten in jeder deutschen Stadt. Früher seien Häuser, ihrer Lebensdauer entsprechend, auf hundert Jahre abgeschrieben worden. Heutige Baulichkeiten hingegen hielten «kaum länger als ein etwas anspruchsvollerer Toaster». Starker Spruch! Und da er nun einmal in Schwung war, packte der Kritiker auch gleich noch drei eklatant aus dem Kosten- und Planungsrahmen fallende Grossprojekte in seine Bilanz, Stuttgarts neuen Bahnhof, Hamburgs Elbphilharmonie und Berlins Grossflughafen. Sein Urteil unterm Strich: «Deutschland hat das Bauen verlernt.»

Das ist fraglos eine grobe Übertreibung. Es gibt schon noch ordentliche Architektur. Wir sprechen ja auch nicht der Industrie die Fähigkeit ab, Smartphones, Autos oder Kühlschränke zu bauen, nur weil Firmen wegen brennender Akkus, fehlerhafter Airbags oder loser Bauteile allein in diesem Jahr millionenfach Produkte zurückrufen mussten. Aber ein schlecht gebautes Haus lässt sich nicht einfach zurückgeben, und was Baumängel im Besonderen so tückisch macht, ist ihr Zeitbombencharakter: Man sieht eben oft erst spät, dass wieder einmal am Material oder an der Sorgfalt gespart wurde. Hat der Bauherr Pech, so sind dann die Haftungsfristen des Architekten und der Ausführenden längst verjährt.

Ein Schelm, wer vermutet, eben deshalb sei Pfusch am Bau so weit verbreitet. Frau Merkel musste wegen der Mängel im Kanzleramt schon 2008 und 2010 aus ihrem Büro ausziehen; damals ging die Rede von einem Haus «voller Risse». An fünf weiteren Regierungsgebäuden in Berlin-Mitte wurden schwere Schäden entdeckt. Zu spät. Zur Übernahme der Sanierungskosten liessen sich die Baufirmen nur bedingt heranziehen. Das Gros der Millionen blechte der Bund. Da pfuscht man gern.