Ein Meister der weichen Form

Skulpturale, organisch anmutende Möbel machten den dänischen Möbeldesigner Finn Juhl berühmt. Eine neue Monografie widmet sich nun seinen vor Kreativität sprühenden aquarellierten Entwürfen.

Karin Leydecker
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Organische Formen prägen dieses 1951 mit spielerischer Eleganz konzipierte Sofa. (Bild: Dänisches Designmuseum, Kopenhagen / Pemille Klemp)

Organische Formen prägen dieses 1951 mit spielerischer Eleganz konzipierte Sofa. (Bild: Dänisches Designmuseum, Kopenhagen / Pemille Klemp)

Finn Juhl war ein Zauberer: Er schuf grosse weiche Formen, so soft gepolstert wie ein rosa Marshmallow. Und das zu einer Zeit, als das skandinavische Design die Haut-und-Knochen-Entwürfe des Funktionalismus feierte. Darüber hinaus sei der Däne Finn Juhl (1912 bis 1989) der «Dandy schlechthin» gewesen, sagt der Architekturkritiker Henrik Steen Moller, und als «einen Meister des körpernahen Massstabs» sieht ihn der Innenarchitekt Dominic Haag-Walthert von der Hochschule Luzern. Fakt ist: In der Reihe der grossen dänischen Designer wird Finn Juhl in einem Atemzug mit Hans J. Wegner und Arne Jacobsen genannt. Und dennoch gilt er bis heute als ein Paradiesvogel, der sich in keine Stilschublade pressen liess.

Eigenwilliger Gestalter

Nun ist eine neue Monografie zum Œuvre des dänischen Designers erschienen. Hinter dem lapidaren Titel «Watercolours by Finn Juhl» erstrahlen ein Kosmos gestalterischer Leidenschaft und das schöpferische Talent eines genialen Koloristen, der mit wolkiger Wasserfarbe seinen organischen Möbelentwürfen einen unverwechselbaren Charakter schenkte. Die Autorin Anne-Louise Sommer, Direktorin des dänischen Designmuseums in Kopenhagen, beschreibt souverän und kenntnisreich den Werdegang dieses eigenwilligen Gestalters und dokumentiert an über einhundert wunderschönen Papierarbeiten seine ganz spezielle Kunst, mit Aquarellfarben zu entwerfen.

Eigentlich wollte Finn Juhl Kunsthistoriker werden. Aber weil seine Eltern die Kunstgeschichte als einen brotlosen Beruf sahen, begann er im Jahre 1930 mit dem Studium der Architektur an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen. Nebenher arbeitete er im Büro des Baumeisters Vilhelm Lauritzen (1894–1984). Was als Ferienjob begann, entwickelte sich zu einer elfjährigen Zusammenarbeit. Obwohl Juhl sein Studium an der Akademie nie abschloss, nahm ihn der Berufsverband dänischer Architekten 1942 als Mitglied auf. Seine ersten skulptural wirkenden Möbelentwürfe – zum Beispiel der berühmte «Pelican Chair» (1940) – entstanden in Zusammenarbeit mit dem Kunsttischler Niels Vodder. Handwerkliche Qualität und konstruktionstechnischer Komfort waren Trumpf, nicht die «Ästhetik der Masse».

Mit 33 Jahren eröffnete Finn Juhl ein eigenes Atelier und entwickelte nun sein artistisches, von den unterschiedlichsten Kulturen inspiriertes Möbeluniversum, das sehr schnell den amerikanischen Markt eroberte und auf Ausstellungen Furore machte. Seine Möbelgeschöpfe waren im MoMA zu sehen, auf der Triennale in Mailand und im Kunstgewerbemuseum Zürich. Finn Juhl hatte keine Angst vor der Farbe: Seine Sessel und Sofas sind Diven in Rot, Gelb und Grün. Manche wie knuffige Wolken im Raum schwebend, andere – wie der in Teak und Nussbaumholz gefertigte «Chieftain Chair» (1949) – charaktervolle Persönlichkeiten. Stilvoll und irgendwie gemütlich – ein Vorbild für Generationen skandinavischer Designer.

Eine Wiederentdeckung

Das Buch illustriert anschaulich den ungewöhnlichen Entstehungsprozess von Finn Juhls Entwürfen: Er begann meistens mit einer schnellen Bleistift-Skizze auf einem winzigen Stück Papier. Dann kam die Zeichnung und mit ihr die Aquarellfarbe. Diese krönte den Schöpfungsakt: Sie liess Materialien changieren, schenkte Atmosphäre und transportierte Emotionen.

Jedes Rendering von heute verblasst vor der nuancierten Farbbrillanz dieser Aquarelle. Ganz wichtig bei der Entstehung der Blätter war die Zusammenarbeit mit der farbsensiblen Designerin Marianne Riis-Carstensen. Bei seinen Innenräumen – etwa einem Sitzungssaal des Uno-Hauptsitzes in New York (1950) – spielt die Farbe im ganzheitlich orientierten Konzept eine wichtige Rolle. Ebenso beim Branding-Projekt der SAS (Scandinavian Airlines System), 1957: Hier besann sich Juhl auf Goethes «sinnlich sittliche Wirkung der Farbe» und schuf ein weich gerundete Formen in Blau und Orange als Markenzeichen von Seriosität und Geborgenheit. Ende der 1960er Jahre verblasste das Interesse an Finn Juhl. Inzwischen sind einige seiner Meisterstücke neu aufgelegt. Nun kann man Finn Juhl anhand seiner Aquarelle und einem zuvor schon im gleichen Verlag erschienenen Buch über sein eigenes Haus neu entdecken.

Anne-Louise Sommer: Watercolours by Finn Juhl (englisch). Hatje-Cantz-Verlag, Berlin 2016. 190 S., 200 Farbabb., € 39.80.