Bauwerk

Stadtmuseum Aarau - Erweiterung
Diener & Diener Architekten, Martin Steinmann - Aarau (CH) - 2015
Stadtmuseum Aarau - Erweiterung, Foto: Yohan Zerdoun
Stadtmuseum Aarau - Erweiterung, Foto: Yohan Zerdoun

Menschenbilder

Vielfältig wie die städtische Bürgergemeinschaft sind auch die »Menschenbilder« an der Eingangsfassade der Museumserweiterung. Dem Besucher bietet sich im entstandenen Ensemble aus mittelalterlichem Wohnturm und seiner städtebaulich wie architektonisch qualitätvollen Erweiterung ein abwechslungsreiches Ausstellungs- und Raumerlebnis.

5. Dezember 2016 - Martin Höchst
Aarau, die Kantonshauptstadt des Aargau, liegt auf halber Strecke zwischen Zürich und Basel. Die nur gut 20 000 Einwohner zählende Kernstadt zeigt sich dem Besucher gut erhalten und umtriebig. Die überraschende Fülle kultureller Einrichtungen gründet sich auf das kleinteilig besiedelte Einzugsgebiet ringsum, in dem über 200 000 Menschen leben. Allein innerhalb der letzten rund 20 Jahre erfuhren gleich drei städtische Museen Erweiterungen durch zeitgenössische Anbauten namhafter Schweizer Architekten: Ende 2002 öffnete das durch den Züricher Architekten Arthur Rüegg erweiterte Naturkundemuseum wieder; die Kunsthauserweiterung von Herzog & de Meuron konnte 2003 bezogen werden; und im Sommer 2015 wurde schließlich das von Diener & Diener mit Martin Steinmann sanierte und deutlich vergrößerte Stadtmuseum am Rande der Altstadt eingeweiht.

Schlüssiger Seitenwechsel

Zusammen mit Diener & Diener aus Basel hatte Architekt Martin Steinmann aus Aarau den eingeladenen Wettbewerb unter den fünf Entwürfen zur Erweiterung des »Schlössli«, eines mittelalterlichen Wohnturms, in dem das Stadtmuseum seit 1938 untergebracht ist, gewonnen. »Wettbewerbe gewinnt man nicht mit Fassaden«, so erläutert Martin Steinmann. Vielmehr hätte das städtebauliche und organisatorische Konzept ihres Entwurfs die Jury überzeugt: Statt, wie in der Ausschreibung vorgesehen den Neubau östlich auf Abstand zum Turm zu positionieren, schlugen sie vor, im Westen unmittelbar an den Bestand anzubauen. Durch die bewusste Neuformulierung der Bauauf­gabe ergaben sich gleich mehrere Vorteile. So konnte durch die Verschmelzung von Alt und Neu die Erschließung über die meisten Geschosse zusammengefasst und somit auch im Turm weitgehend barrierefrei gestaltet werden. Zudem ergab sich eine schlüssige städtebauliche Neuausrichtung des Terrains, das vom Rand der Altstadt zum Aaretal hin stark abfällt. Östlich des erweiterten Stadtmuseums kann auch weiterhin der Blick über eine Grünanlage hinweg ins Tal und weiter zum Jura schweifen.

Im Westen des Bestands bildet der Anbau die Stirnseite des Schlossplatzes und rückt die scheunentorgroße Öffnung des neuen Haupteingangs in seiner ansonsten geschlossenen Fassade ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Zusammen mit dem benachbarten Saalbau des Kultur- und Kongresshauses ergibt sich ein städtischer Platz, umstanden von kulturellen Institutionen, der durch seine leichte Abschüssigkeit förmlich dazu einlädt, als Tribüne für Freiluftaufführungen genutzt zu werden.

Empfangskomitee

Das umsichtige in den Kontext eingepasste Volumen mit einem verglasten Staffelgeschoss und einem Knick in der Eingangsfassade weicht zu den beiden historischen Nachbarn hin vorsichtig zurück und bildet zudem noch einen geschützten Bereich vor den verglasten Eingangsschiebetüren aus. So umsichtig das Volumen modelliert in Erscheinung tritt, so plakativ und geradezu fordernd gibt sich die Gestaltung der vorgehängten Fassade aus vorgefertigten Betonelementen: 134 Menschen in Lebensgröße blicken dem Eintretenden entgegen. 134 individuelle Zeichnungen von Männern und Frauen in zeitgemäßer Kleidung, vermeintlich in den Beton eingraviert, konfrontieren den Betrachter mit einem in der zeitgenössischen Architektur kaum eingesetzten figürlichen Ornament. Dieser ungewöhnliche Anblick erzeugt die Aufmerksamkeit, die einem Museum gebührt. Nicht zuletzt rufen die figürlichen Darstellungen Erinnerungen an die Malerei der Neoexpressionisten aus den 80er Jahren hervor. Und dies nicht von ­ungefähr: Der St. Galler Künstler Josef Felix Müller, der die Vorlagen für die Abgüsse geschaffen hat, wurde in den 80er Jahren u. a. mit seinen rauen, ausdrucksstarken Holzskulpturen bekannt. Wie damals benutzte der Künstler auch beim Stadtmuseum Aarau eine Motorsäge, um die Menschenbilder der Fassade auf Holztafeln zu skizzieren. Das Holz eines Mammutbaums, der der Erweiterung weichen musste, lieferte das Material dazu. Mit Kunststoff ausgegossen entstanden Matrizen, die wiederum in die Schalung der Betonelemente eingelegt wurden. Neben der jeweils eingeschnittenen Zeichnung bilden sich auch die Sägespuren, Nähte und Maserungen der verleimten Schalungsbretter an der Betonoberfläche ab. So wird für den Besucher visuell wie haptisch ihre Herstellung nachvollziehbar und der gefällte Mammutbaum zeugt weiterhin von der Geschichte des Orts.

Doppelte Höhe

Die drei neuen stützenfreien Säle der Erweiterung – im UG für Veranstaltungen und Vorträge im EG als Foyer und zusätzliche Ausstellungsfläche und im OG für Wechselausstellungen – sind im Wesentlichen baugleich übereinandergestapelt: glatt verputzte Stahlbetonwände überspannt von einer vorgefertigten Betonrippendecke, mit jeweils einer großen Öffnung nach Norden, die Tageslicht einfallen lässt und in den beiden oberen Räumen zudem einen Ausblick zum Aaretal bietet. Lediglich der jeweilige ­Bodenbelag wechselt von rötlich eingefärbtem Holzzement im UG über Terrazzo im EG zu Eichendielen im OG. Ein elegant geschwungenes Schienensystem an den Decken nimmt schwere Vorhänge als Ersatz für einen Windfang, als Raumteiler oder zur Verbesserung der Akustik auf. Beeindruckend hoch zeigen sich die drei Haupträume. Dies ergab sich aus der Verdopplung der Geschosshöhen des Altbaus. So ließen sich sowohl Altbau als auch Er­weiterung zusammen mit nur einem Aufzug und nur einer Treppe beinahe durchgängig barrierefrei ­erschließen. Aus Kostengründen traten leider etwas überdimensioniert wirkende Treppenpodeste an die Stelle eines ursprünglich geplanten geschossübergreifenden Schaudepots und harren derzeit noch ihrer Ausstellungs­bespielung. Noch zurückgenommener als die Oberflächen und Detaillierung der Säle in der Erweiterung zeigen sich die der Erschließungsräume. So fällt der Kontrast am Übergang zum historischen Wohnturm mit seinen teilweise mehrere Meter dicken Wänden besonders stark aus. Beim Eintritt in einen der leicht windschiefen holzvertäfelten Räume im EG scheint es, als beträte man eine ganz andere wundersame Welt. Auch in den folgenden Geschossen setzt sich dieser Eindruck fort. Sowohl der Wechsel ­zwischen Alt- und Neubau als auch die je nach Entstehungs- und Umbauzeit unterschiedlich gestalteten historischen Räume des Wohnturms, machen den Ausstellungsparcours zur abwechslungsreichen räumlich erfahrbaren Entdeckungsreise durch die Jahrhunderte. Im Turm konnten es die Planer größtenteils bei einer Pinselrenovierung bewenden lassen.

Nur einzelne statisch relevanten Teile wurden ersetzt und die hier untergebrachte Dauerausstellung, vornehmlich zu historischen Aarauer Persönlichkeiten, von den Szenografen Emyl aus Basel neu gestaltet.

Begrünt und haltbar

Das etwas ruppige Äußere des Schlössli mit seinem sichtbaren Findlings­mauerwerk war weitgehend intakt und blieb nahezu unverändert erhalten. Der ursprüngliche Gedanke, an den Fassaden der Erweiterung das Motiv des Sichtmauerwerks aufzugreifen, wurde von den Architekten glücklicherweise als zu anbiedernd verworfen, ebenso wie der Einsatz von Holz am verglasten Staffelgeschoss. Hier oben residiert die Museumsverwaltung mit wunder­barem Blick auf Stadt und Landschaft in einem stützenfreien, lichten Raum. Um eine sommerliche Überhitzung zu verhindern, könnte, da bereits baulich vorgesehen, ganz unkompliziert ein Sonnenschutz nachgerüstet werden. Bisher jedoch hat das vorgelagerte begrünte Rankgerüst diese Aufgabe gut bewerkstelligt.

Die Begrünung des Staffelgeschosses war bereits zu einem frühen Zeitpunkt Teil des Gestaltungskonzepts. Die Begrünung der weniger repräsentativen Fassaden der unteren Geschosse hingegen wurde von den Nachbarn erstritten. Innerhalb der dichten Bebauung schadet dies der Architektur in keiner Weise. Ganz im Gegenteil: Um die Edelstahlrankhilfen stabil anbringen zu können, wurde die ursprünglich als WDVS geplante Fassade mit einer verputzten Backsteinschicht vor den ­tragenden Stahlbeton-Außenwänden und der Wärmedämmung versehen. Dies wird sich an der Alterungsfähigkeit der zunächst als »Bauteil mit ­Sparpotenzial« eingestuften Fassade positiv bemerkbar machen – mit oder ohne Begrünung.

Die lange Planungs- und Bauzeit – Wettbewerb 2006, Eröffnung 2015 – gibt einen Hinweis darauf, dass viele Entscheidungen bei der Entstehung des ­Gebäudes mit städtischen Gremien und Gerichten ausgefochten werden mussten. Das ausdauernde Engagement der Planer hat sich am Ende jedoch ausgezahlt. Mit der Erweiterung des Stadtmuseums Aarau gelang es ihnen, sowohl das städtische Gefüge passgenau und intelligent zu ergänzen als auch den Ausstellungsmachern zurückhaltend robuste Räume zu bieten. Darüber ­hinaus sprechen die 134 Menschenbilder der Fassade jeden Passanten bereits vor dem Eingang direkt an und machen klar, dass Menschen trotz gänzlich unterschiedlicher Charaktere in einer Gemeinschaft zusammenfinden ­können. Was könnte zu einem Stadtmuseum besser passen?

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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