Fördern sie die Baukultur?

In den vergangenen Jahrzehnten wurden ungezählte Architekturpreise gestiftet. Der an Aranda Pigem Vilalta verliehene Pritzkerpreis 2017 zeigt, dass mit Auszeichnungen Weichen gestellt werden können.

Roman Hollenstein
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Keine Angst vor alten Mauern – das 2011 von Aranda Pigem Vilalta realisierte «La Lira»-Theater in Ripoll. (Bild: Hisao Suzuki)

Keine Angst vor alten Mauern – das 2011 von Aranda Pigem Vilalta realisierte «La Lira»-Theater in Ripoll. (Bild: Hisao Suzuki)

Nach der Verleihung des Pritzkerpreises, der vor drei Tagen an das katalanische Trio Aranda Pigem Vilalta ging, fragt man sich wieder einmal nach dem Nutzen all der Architekturauszeichnungen, die in den vergangenen Jahrzehnten neu gestiftet wurden. Sicher ist, dass die Baukunst nicht zuletzt dank dem seit 1979 vergebenen «Nobelpreis der Architektur» zu einem Leitmedium des Kulturbetriebs avancierte. Zunächst förderte der Preis den Starkult, dann stellte er mit dem Vordenker Rem Koolhaas theoretische, mit Herzog & de Meuron oder Zaha Hadid künstlerische und schliesslich mit Shigeru Ban und Alejandro Aravena auch ethische Positionen zur Diskussion. Nun wurde – zum ersten Mal seit Peter Zumthor – wieder eine Architektur berücksichtigt, der es auf vorbildliche Weise gelingt, globale mit regionalen Eigenheiten zu versöhnen.

Dies ist deshalb so wichtig, weil die Architektur seit Jahren immer weniger einer kritischen Betrachtung standzuhalten vermag. Noch nie wurde so viel gebaut wie heute; und trotzdem scheinen qualitätvolle Gebäude immer seltener und die Städte immer hässlicher zu werden. Während in Zürich Bausubstanz, die für die Identifikation mit dem Ort wichtig ist, verschwindet und sogar das Hauptwerk des Landistils, das Kongresshaus, beinahe einem Neubau hätte weichen sollen, vernimmt man nun auch aus Delhi oder Phnom Penh mit Entsetzen, dass als nationale Symbole geltende Hauptwerke der Moderne kommerziellen Neuplanungen geopfert werden sollen. Da erstaunt es nicht, dass bei Laien, aber auch in Fachkreisen der Ruf nach einer Architektur mit gesellschaftlicher, funktionaler, ästhetischer und stadträumlicher Relevanz immer lauter wird.

Geduldige Recherche

Wie diese aussehen kann, zeigt die Miniatur des Ruderzentrums im Rotsee von Fuhrimann Hächler ebenso wie die monumentale Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron, aber auch die lange nur wenig bekannten Bauten von Aranda Pigem Vilalta. Seit dreissig Jahren betreiben sie ihre geduldige Recherche ganz leise im stillen Städtchen Olot und nicht etwa in Barcelona – und könnten nun der Architektur vielleicht einen ähnlichen Anstoss geben wie die Slow-Food-Bewegung unseren Gewohnheiten in Sachen Ernährung und Konsum. Ähnlich scheint das die Pritzker-Jury gesehen zu haben, die den prestigeträchtigen Preis seit einiger Zeit vermehrt für gezielte architektonische Statements nutzt. So lobte sie beim 2016 gekürten Alejandro Aravena vor allem das soziale Engagement und die Zusammenarbeit mit einfachen Menschen, die sich nach einem anständigen Dach über dem Kopf sehnen.

Damit entfernt der Preis sich allmählich vom anfänglichen Starkult und nähert sich jenen auf eine lange Tradition zurückblickenden Auszeichnungen, von denen er inspiriert wurde. So verleiht das Royal Institute of British Architects seine Royal Gold Medal seit 1848 jährlich einem Architekten, der ein ähnlich aussergewöhnliches Werk vorweisen kann wie der erste Preisträger, Charles Robert Cockerell, der Entdecker der altgriechischen Giebelskulpturen des Aphaia-Tempels auf Ägina. Dem britischen Beispiel folgte 1907 das American Institute of Architects (AIA) mit seiner Goldmedaille, 1963 der Bund Deutscher Architekten (BDA) mit dem Grossen BDA-Preis und 1975 das französische Kulturministerium mit dem Grand Prix national de l'architecture – um nur einige wichtige Auszeichnungen zu nennen.

Der Pritzker-Preis beschleunigte auch die negative Entwicklung hin zum Starkult und zu einer globalisierten Architektur, die sich mehr um Ästhetik als um Ethik kümmert.

Diesen Preisen kommt vor allem als Teil des nationalen Kulturbetriebs Bedeutung zu – auch wenn ausnahmsweise ausländische Grössen wie Le Corbusier mit der Royal Gold Medal und der AIA-Goldmedaille ausgezeichnet wurden. Diese internationale Ausrichtung pflegte von Anfang an der Pritzker Architecture Prize, der 1979 erstmals an Philip Johnson ging, im Jahr darauf aber schon an den Mexikaner Luis Barragán. Bald als Nobelpreis der Architektur bezeichnet, stellte er schnell alle anderen Preise, die an Architektenpersönlichkeiten verliehen werden, in den Schatten: auch die bereits 1963 geschaffene Heinrich-Tessenow-Medaille und die 1967 lancierte Alvar Aalto Medal.

Dank seiner grosser Medienpräsenz gelang es dem Pritzkerpreis schliesslich, die in den Nachkriegsjahrzehnten tief gefallene Architektur weltweit wieder als Teil der Hochkultur zu positionieren. Er beschleunigte jedoch auch die negative Entwicklung hin zum Starkult und damit zu einer globalisierten Architektur, die sich mehr um Ästhetik als um Ethik kümmert. Aus diesem Grund sollte die Hauptaufgabe von Architekturpreisen künftig weniger in der Ehrung grosser Baukünstler bestehen als vielmehr darin, wegweisende Bauten, die über ihre schöne Form hinaus der Stadt und ihren Bewohnern einen Mehrwert bieten, ausfindig zu machen und zur Diskussion zu stellen.

Eine Lawine von Preisen

Der Wunsch nach Preisen, welche die Qualität der Baukunst fördern, regte sich in den 1970er Jahren, als eine nach Gesichtspunkten von Rentabilität und Funktionalität konzipierte Architektur überhandgenommen und einen ähnlichen Niedergang verursacht hatte wie heute, da der Investition und Spekulation unbekümmert Stadtbilder und gewachsene Strukturen geopfert werden.

Damals rangen junge, durch die 68er-Bewegung sensibilisierte Architekten um eine neue, sozial verträglichere Architektur, ohne aber in der Öffentlichkeit viel Gehör zu finden. Das änderte sich erst mit dem Aufkommen der erzählerisch-verspielten postmodernen Baukunst. Unter dem Titel «La presenza del passato» fand 1980 die erste Architekturbiennale von Venedig statt; und die Besucher standen staunend und begeistert vor den bunten Tempelfronten der «Strada Novissima». Bald darauf war die Zeit endgültig reif für alle Arten von architektonischen Schönheitskonkurrenzen. 1987 wurde der Mies-van-der-Rohe-Preis für Europäische Architektur ins Leben gerufen, der leider oft eher als ein politisches denn ein gesellschaftlich-ästhetisches Instrument eingesetzt wird. Ihm folgten so unterschiedliche Auszeichnungen wie der Preis für Neues Bauen in den Alpen, der Erich-Schelling-Preis (beide 1992) oder der Building of the Year Award und der Stirling Prize des RIBA (1994 bzw. 1996).

Nach der Jahrtausendwende wuchs die Zahl der Preise weltweit fast explosionsartig. Neben respektablen Ehrungen wie dem Südtiroler Architekturpreis (2000), der Westschweizer Distinction Romande (2006) oder den beiden 2011 lancierten ökologischen Auszeichnungen Green Building Award und Holcim Award entstanden auch kritisch gemeinte Preise wie der Carbuncle Cup, der in Anlehnung an die Modernekritik von Prinz Charles seit 2006 jährlich vom «Building Design Magazine» dem hässlichsten Bau Grossbritanniens zuerkannt wird und für den 2013 sogar Renzo Pianos Londoner Hochhaus «The Shard» nominiert war.

Die Rolle der Öffentlichkeit

Gerade weil derartige «Ehrungen» in Architekturkreisen unbeliebt sind, sollten sie gefördert werden. Denn nur so kann kulturlosen Architekten und Investoren, denen das Geschäft wichtiger ist als die Stadt oder die Landschaft, der Spiegel vorgehalten und gezeigt werden, dass sie mit ihren billig-pompösen Bürohäusern und Wohnpalästen unsere Umwelt genauso verschandeln wie manche Neureiche mit ihren protzigen Villen.

Bauten, die ihr nicht gefallen oder die sie nicht versteht, «juriert» auch die Öffentlichkeit ganz ungefragt, indem sie ihnen witzig-freche Übernamen gibt. So wurde die spröde, aus rot eingefärbtem Beton errichtete Erweiterung des Zürcher Opernhauses von Claude Paillard schnell zum «Fleischkäse» und die mit einem expressiv gekurvten, stützenlosen Dach versehene Bruder-Klaus-Kirche von Ernst Brantschen in St. Gallen Winkeln trotz ihrem hohen baukünstlerischen Wert zur «Seelenabschussrampe». In diesen Bezeichnungen steckt eben oft nicht nur Kritik, sondern auch eine gewisse Zuneigung, wie das von den Chinesen «Vogelnest» genannte Olympiastadion von Herzog & de Meuron in Peking beweist.

Mittels Visualisierungen stellten Herzog & de Meuron 2003 ihr eigenwilliges "Vogelnest" vor. (Bild: Keystone)

Mittels Visualisierungen stellten Herzog & de Meuron 2003 ihr eigenwilliges "Vogelnest" vor. (Bild: Keystone)

Die Tatsache, dass ein Grossteil der Bevölkerung neuen Bauten gegenüber ein gewisses Unverständnis und eine damit verbundene Hassliebe an den Tag legt, macht deutlich, dass man einerseits die Auseinandersetzung mit der Architektur schon in der Grundschule fördern sollte. Anderseits müsste man vermehrt bei Architekturauszeichnungen auch an einen Publikumspreis denken, der den baukünstlerischen Diskurs in die Breite lenken kann. In Zürich wurde im Zusammenhang mit der schon seit 1947 verliehenen Auszeichnung guter Bauten vor einiger Zeit ein vielbeachteter Publikumspreis lanciert, an dem jeder via Online-Voting teilnehmen kann.

Auf eine anders gestaltete Einbeziehung breiter Bevölkerungsschichten setzt hingegen die Zürcher Architektur- und Designzeitschrift «Hochparterre», indem sie mit ihren seit 1993 für Schweizer Architektur, Landschaftsgestaltung und Design vergebenen «Hasen» die Zusammenarbeit mit dem Fernsehen suchte und so die meistbeachtete Auszeichnung der Schweiz schuf.

Eleganz statt Relevanz

Die Begeisterung für weitere neue Preise scheint unvermindert anzuhalten, auch wenn ihnen mitunter nur eine kurze Existenz beschieden ist wie dem leider nur einmal, 2003, zur Verspottung der Hochhauseuphorie ausgelobten Most Phallic Building Contest. Mehr Dauer dürfte hingegen dem seit 2014 vom Illinois Institute of Technology verliehenen Mies Crown Hall Americas Prize (MCHAP) beschieden sein. Dies, obwohl im ersten Schlussbericht der vom europäischen Mies-van-der-Rohe-Preis angeregten Auszeichnung Unstimmigkeiten aufkamen. Beanstandete doch ein Jurymitglied, der argentinische Architekturhistoriker Jorge Francisco Liernur, dass einmal mehr nur architektonische Primaballerinen (das Iberê-Camargo-Museum von Alvaro Siza in Porto Alegre sowie das unkonventionelle Parkhaus 1111 Lincoln Road von Herzog & de Meuron in Miami Beach), aber keine sozial relevanten Arbeiten wie Schulen oder Wohnsiedlungen in der Endauswahl berücksichtigt und damit dem amerikanischen Doppelkontinent mit seinen grossen gesellschaftlichen, politischen und baukünstlerischen Unterschieden kaum genüge getan wurde.

Die Kritik fruchtete aber wenig, wurde doch 2016 mit dem gläsernen «Grace Farms»-Kulturzentrum von Sanaa in New Canaan erneut eine aufsehenerregende architektonische Geste ausgezeichnet. Dennoch wird man die Weiterentwicklung des MCHAP Award mit Interesse verfolgen, betonen doch die Statuten, dass nicht nur aussergewöhnliche Architekturen, sondern «vor allem auch die Auseinandersetzung mit der Schnittstelle zwischen den Menschen und den sich ändernden Metropolen» bei der Prämierung berücksichtigt werden sollen.

Den oft auf das Spektakuläre ausgerichteten internationalen Preisen stellen sich weniger hochtrabende Spezialpreise entgegen. Solche gibt es mittlerweile für Bautypen wie Kirchen, Hochschulen, Sportstätten, Wolkenkratzer, Einfamilienhäuser, Gewerbebauten oder Brücken, aber auch für den materialgerechten baukünstlerischen Einsatz von Holz, Naturstein, Backstein, Ziegel, Beton, Stahl, Aluminium, Glas oder Licht. Ausgelobt werden sie von politischen und universitären Institutionen, Akademien, Museen, Architektur- und Wirtschaftsverbänden, Banken, Firmen (wie Holcim, Velux und Zumtobel) oder Zeitschriften. Bei manchen dieser Auszeichnungen stellt sich allerdings die Frage, ob die Auslober nicht in erster Linie sich selbst ehren wollen oder sogar geschäftliche Absichten hegen.

Ebenso wichtig wie dieser Blick nach vorn ist auch die Stärkung des historischen Bewusstseins.

Kaum der Fall ist dies beim schon seit 1967 von der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs ausgeschriebenen Bauherrenpreis, der jene verantwortungsbewussten Auftraggeber ermuntern soll, ohne die letztlich Architektur nicht entstehen kann. Zusammen mit weiteren Preisen ist er für den kometenhaften Aufstieg der österreichischen Architektur in den letzten Jahrzehnten mitverantwortlich.

Nicht weniger bedeutend sind Preise, die das Schaffen von Jungarchitekten ins richtige Licht stellen. Von diesen gilt der von 1720 bis 1968 in Paris als Rom-Stipendium für frischgebackene Architekten vergebene «Prix de Rome» als der erste Architekturpreis überhaupt. Ebenso wichtig wie dieser Blick nach vorn ist auch die Stärkung des historischen Bewusstseins. Nur so können künftig bedrohliche Szenarien wie in Delhi und Phnom Penh verhindert werden. Deswegen kürt der Twenty-five Year Award des AIA seit 1969 jährlich Bauwerke, die 25 Jahre nach ihrer Vollendung noch immer zu begeistern vermögen.

Ein ähnliches Ziel verfolgt auch der BDA mit seiner Klassik-Nike, die er 2013 erstmals dem Münchner Olympiastadion von Behnisch und Frei Otto verliehen hat. Ausgehend von der Tatsache, dass Architektur wie alle Künste auf eine kritische Auseinandersetzung angewiesen ist, würdigt der BDA mit dem Preis für Architekturkritik aber auch die engagierte Arbeit von Publizisten; und der Schelling-Preis zeichnet neben einem Architekten immer auch einen Architekturtheoretiker aus.

Chancen und Probleme

Um Architekturvermittlung im besten Sinn geht es auch bei dem 1977 gestifteten und 1980 erstmals verliehenen Aga Khan Award, der durch seinen hohen ethischen Anspruch glänzt. Er zeichnet Neubauten, Ensembles oder denkmalpflegerische Eingriffe ebenso aus wie das Lebenswerk bedeutender, im Westen kaum bekannter Architekten, darunter etwa Hassan Fathy oder Geoffrey Bawa. Ebenfalls nicht auf die internationale Architektenprominenz abgesehen hat es der 2008 auf Mario Bottas Anregung von der Banca della Svizzera Italiana in Lugano ins Leben gerufene BSI Swiss Architectural Award, der nach dem unrühmlichen Ende der Bank nun möglicherweise aufhören wird zu existieren. Er kürt Architekten für die von ihnen geschaffenen sozialen, ökologischen oder umweltverträglichen Arbeiten. Für die Geehrten – vom Paraguayer Solano Benitez über Diébédo Francis Kéré aus Burkina Faso bis zum jungen Japaner Junya Ishigami – bedeutet dieser Preis einen Karriereschub, erhalten sie doch bis jetzt eine Einzelausstellung, eine Publikation und den stolzen Geldbetrag von 100 000 Franken.