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TEC21 2017|11
Beton, exponiert
TEC21 2017|11
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Zeitloser Schwung

Kurz vor dem 50-jährigen Baujubiläum erstrahlen die Betonschalen des Schalenpioniers Heinz Isler an der Raststätte Deitingen-Süd in neuem Glanz. Konstruktion und Betonqualität überzeugen bis heute.

17. März 2017 - Tina Cieslik, Dietlind Jacobs
Eine Pause einzulegen an der Raststätte Deitingen-Süd an der A1 Bern–Zürich ist für bautechnisch Interessierte ­jeweils ein besonderes Erlebnis. Ein Blick Richtung Himmel führt zu einer aussergewöhnlichen Dachkonstruk­tion, zwei dünnwandig gewölbten Dreiecksschalen. Sie sind mit der mittig positionierten Raststätte verbunden und überspannen von dort aus die Fahrspuren. Die Schalen stammen aus den 1960er-Jahren, einer Zeit wachsender Mobilität. Mit dem Bau der Autobahn ­entstand in Deitingen 1968 die Silberkugel-Raststätte von Mövenpick sowie die Tankstelle von BP, der Eigentümerin der gesamten Parzelle.

Das Unternehmen zielte auf den Wiedererkennungswert seiner Raststätten und beauftragte daher den Burg­dorfer Bauingenieur Heinz Isler (»Schweizer Schalenpionier», Kasten unten) damit, ein Dach für die Tankstelle zu entwerfen. Das Ergebnis: zwei geschwungene Dreiecksschalen, die leichtfüssig die Zapfsäulen überspannten (vgl. Abb.). Die ausdrucksstarke Form sorgte für Aufsehen, und auch die für die damalige Zeit neuartige gewölbte Tragkonstruktion war besonders: Sie hatte nur drei Auflagerpunkte, besass aber eine grosse Spannweite und freie Ränder.

Möglich wurde dies durch Islers intensive Auseinandersetzung mit dem Werkstoff Beton. Er optimierte ihn so weit, dass der Einbau im grossen Gefälle der Wölbung möglich war. Dafür wählte der Ingenieur eine stetige Sieblinie mit hohem Feinkornanteil und einer Korngrösse bis 15 mm, maximal 325 kg Zement/m3 und einen möglichst niedrigen Wasserzementfaktor. Mit dieser Zusammensetzung erzielte er einen kompakten Beton, der sich auf den zwei Lagen engmaschiger Bewehrungseisen gut einbauen liess und nicht abrutschte.

Beeindruckend ist das vom Modell in die Realität umgesetzte schalenförmige Dach noch heute. Trotz der geringen Schalendicke von 9 cm ist das Dach 11.5 m hoch und hat eine Spannweite von 31 m. Auftretende Normalkräfte werden über äussere Fundamente ab­getragen. Zudem sind die zwei gegenüberliegenden ­Fundamente für die Aufnahmen von Horizontalschub mit einem unterirdischen Zugseil verbunden. Die zwei weiteren Auflagerpunkte sind auf dem Gebäude der Raststätte. Die natürliche Dachform ist statisch optimal und erfordert keine Versteifung der Randbereiche.

Veränderte Nutzungsbedürfnisse führten im Jahr 1999 zur Modernisierung der Raststätte. Die Zapfsäulen positionierte man neu vor der Raststätte – so liessen sich ihre Anzahl erhöhen und der Betankungsplatz optimieren. Die Bauherrschaft plante zunächst einen Abriss der Schalen. Als Folge des öffentlichen Protests wurde deren markantes Erscheinungsbild in Zusammenarbeit mit Heinz Isler dann doch gewahrt, wenngleich ihre Funktion durch die Änderung der räumlichen Disposition verloren ging. Im Jahr 2000 wurde das Bauwerk als Vertreter Schweizer Ingenieurbaukunst dennoch unter kantonalem Denkmalschutz gestellt.

Und heute?

Im Jahr 2014 plante die Eigentümerin BP Europe Umbauarbeiten an der Raststätte. In diesem Zusammenhang stellten sich die Fragen: Ist das Bauwerk noch erhaltenswert? Lohnen sich Investitionen für eine In­standsetzung?

Daraufhin wurden der Bauwerkszustand und die Tragsicherheit von Experten umfassend untersucht. Die Resultate unterstrichen Heinz Islers qualitativ hochwertige Bauweise des Betons. Denn es wurden nur wenige Schäden am Beton und an der Stahlbewehrung in Form von einzelnen feinen Rissen und wenigen Abplatzungen festgestellt, die als statisch unbedenklich beurteilt wurden. Das Zugseil im Fundament gewährleistet nach wie vor eine ausreichende Tragsicherheit für die Betonschalen. Der ursprünglich weisse Farb­anstrich der Oberseite wies netzartige Haarrisse, einzelne Fehlstellen, Verfärbungen sowie Besiedelung durch Mikroorganismen auf. Eine Bewehrungs­korro­sion, verursacht durch eintretendes Wasser an der ­Oberfläche, konnte nicht nachgewiesen werden. Nach Auswertung der Untersuchungsergebnisse beurteilten die Experten den Bauwerkszustand als gut.

Nun sollte der Bau auch der zukünftigen Nutzung gerecht werden. Um dies zu gewährleisten, wurden mit Unterstützung von Prof. Eugen Brühwiler als Gutachter und der Firma Flury Bauingenieure aus Suhr Massnahmen zur Instandsetzung der wenigen Schäden definiert. Die Verfahrenswahl stand unter der Prämisse, den Zustand des Bauwerks im Sinn von Heinz Isler zu verbessern, den Bau aber materialtechnisch nicht abzuändern. Daher fiel unter anderem die Entscheidung, die Oberseite der Schalen lediglich mit einem Farbanstrich als Schutz zu verbessern. Eine abdich­tende, kunststoffbasierte Beschichtung war nicht nötig. Die wenigen Risse und Korrosionsschäden wurden instandgesetzt.

Arbeiten mit System

Die Unterhaltsarbeiten starteten im September 2016 und dauerten zwei Monate. Man montierte ein frei ­stehendes Flächengerüst, das die Anforderungen an die Arbeitssicherheit, die Aufrechterhaltung des 24-Stunden-Betriebs und den Umweltschutz berücksichtigte. Unterhalb der Schalen war das Gerüst tunnelförmig ausgebildet, sodass der Verkehr die Baustelle praktisch unbehindert passieren konnte. Während der gesamten Ausführungsarbeiten lief der Betrieb der Tankstelle und des Restaurants weiter. Die Abstellpunkte des Gerüsts wurden mittels Anprallschutz vor dem motorisierten Verkehr geschützt.

Zunächst reinigte man die Unterseiten der Schalen mit 100 bar Wasserdruck. Anschliessend wurde die bestehende Farbbeschichtung der Oberseite mit 500 bar ­Wasserdruck abgetragen. Diese Behandlung sollte möglichst schonend erfolgen, der Abtrag der Zementhaut sollte sich auf der Oberfläche begrenzen. In Vorversuchen am Objekt legte man den notwendigen respektive annehmbaren Wasserdruck von 500 bar fest; die Kontrolle erfolgte visuell. Auch hier waren die Anforderungen im Hinblick auf den Umweltschutz zu erfüllen: Das alkalische Abwasser der Reinigungsarbeiten wurde mit auf dem Gerüst ausgelegten Folien gesammelt und über Rohre in ein Absetzbecken geleitet. Dort konnte es neutralisiert und anschliessend vorgereinigt in die öffentliche Kanalisation geführt werden. In einem dritten Schritt fanden Profilierungs- und Abdichtungsarbeiten statt. Die wenigen lokalen Unebenheiten auf der Oberseite wurden profiliert. Zur Abdichtung von zwei wasserführenden Rissen verwendete man einen Flüssigkunststoff und polyesterverstärktes Gewebe.

Nach Abschluss dieser Vorarbeiten brachte der Unternehmer an den Stirnseiten eine Tiefenhydrophobierung zum Schutz vor eindringendem Wasser auf. Die Oberseite wurde mit einem konventionellen Zweischichtensystem versehen: zuerst eine Grundierung als Haftungsschicht und darauf zweifach der ­weis­se Anstrich. Die Schalen wurden im Originalfarbton RAL 9110 gestrichen. Heute wirkt das Weiss recht dominant, aber bereits in etwa einem Jahr, dürfte eine Patina aus Autobahnstaub die Oberfläche weniger grell erscheinen lassen. Zum Abschluss wurde auf den Schalen eine ­feuerverzinkte Schneefangvorrichtung mit Eisstopper installiert, da der Betankungsplatz wegen Dachlawinen geschlossen werden musste. Obwohl das die Ästhetik der Schalen beeinträchtigt, folgte man dem Wunsch der Bauherrschaft und den Anforderungen an die ­Betriebssicherheit der Raststätte. Weiter wurde der Kamin beim Shopeingang um 3.5 m erhöht, um zukünftige Verschmutzungen der Schalen zu vermeiden.

Schalen im Wandel

Nach beinahe 50 Jahren Nutzungsdauer sprechen die Ergebnisse der Untersuchungen für Heinz Islers aus­gezeichnete Ingenieurarbeit. Auch bestätigt sich wieder einmal der Grundsatz, dass gut konzipierte Tragwerke dauerhafter sind. Mit den aktuell ausgeführten Unterhaltsarbeiten können die Schalen weitere Jahrzehnte als Landmarke an der Autobahn dienen – auch wenn sie in Zeiten veränderter Nutzungsbedürfnisse heute eine andere Bedeutung haben als früher.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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