Bauwerk

Einfamilienhaus
Walter Stelzhammer - Klosterneuburg (A) - 2000
Einfamilienhaus, Foto: Rupert Steiner
Einfamilienhaus, Foto: Rupert Steiner

Das Zuschalten des Außenraums

Fertigteilhaus-Katalog, tradierte 08/15-Typologie oder sich doch einem „besserwisserischen“ Architekten ausliefern? Die Grundsatzfrage im privaten Einfamilienhausbau findet im Klosterneuburger Haus H. eine klare Antwort: Architekt Stelzhammer wußte es besser!

16. September 2000 - Judith Eiblmayr
Es ist eine gerne und meist heiß geführte Diskussion zwischen professionell Architekturschaffenden und Architekturnutzern: jene um die Notwendigkeit von Architektenarbeit im privaten Einfamilienhausbau. Die Manifestierung von familiärer Idylle und deren materialisierte Darstellung überlassen Bauherrn - falls dies nicht ohnehin aus dem Fertigteilhaus-Katalog erfolgt - ungern Dritten, schließlich weiß jeder selbst am besten, wie er sich im spezifischen sozialen Umfeld präsentieren will.

Die Lebensaufgabe Hausbau, die rein aus finanziellen Gründen meist zwingendermaßen zur solchen gerät, ist weiters für viele Menschen vermeintlich eine der wenigen Möglichkeiten, wo sie ihre Kreativität ausleben können, also wozu sich einem Besserwisser ausliefern, der einem ja doch nur „seinen Geschmack aufzwingen“ will?

Ein Haus habe ein Haus in seiner tradierten und von Kindheit an verinnerlichten Form zu sein: steiles Dach, übliche Fensteröffnungen, vielleicht ein Dreikant-Erker oder auch ein Wintergarten, wobei sich die typologische Differenzierung zwischen „Salzburger Stil“ und „Modell Europa“ bewegt. So bleibt es Aufgabe der Architekturkritik, die Vermittlerrolle zwischen Laien und Profis wahrzunehmen und immer wieder Objekte zu zeigen, die den qualitativen Nutzen für Bauherrn beim Bauen mit Architekten dokumentieren. In diesem Falle handelt es sich wieder einmal um ein Haus mit Flachdach, wo üblicherweise der größte Erklärungsbedarf herrscht.

Klosterneuburg hat sich zu einem der gefragtesten Stadterweiterungsgebiete von Wien für die gehobene Einkommensschicht entwickelt. Donaustromaufwärts - infrastrukturell durch die Schnellstraße sehr gut beziehungsweise die Schnellbahn ganz gut angebunden - zieht es immer mehr Menschen von der Stadt weg hinter den Leopoldsberg. Bodenpreise und Verkehrsaufkommen sind dementsprechend hoch, von der Lage begünstigt sind dabei die Grundstücke im Weidlinger Tal, insbesondere jene am Fuße des Kahlenbergs. Hier ist man Wien am nächsten und kann bei richtiger Plazierung einen herrlichen Rundblick von den Weinbergen bis zum Bisamberg genießen. Um die attraktive Blickoption dieser Bauplätze optimal zu erschließen, empfiehlt es sich zweifellos, von der Durchschnittslösung für ein Einfamilienhaus abzurücken und sich eine individuelle Planung zu leisten.

Familie H. hat dies getan und den Wiener Architekten Walter Stelzhammer auf Basis eines sehr detaillierten Raumprogramms mit der Konzeption ihres Hauses beauftragt. Er hat sich der Problematik, die ein relativ steil abfallender Nordhang mit sich bringt, konsequent von zwei Seiten genähert: Am höchsten Punkt des Grundstücks liegt die Zufahrtsstraße - südseitig. Am tiefsten Punkt wird die Grenze zum Nachbarn hin von dichtem Baumbestand gebildet, über dessen Wipfel hinweg sich nordseitig die beschriebene Landschaft malerisch dahinzieht.

Aus dieser Dualität bei der Orientierung heraus schuf Stelzhammer eine auf formale Reduktion bedachte Bebauung, die in ihrer der Hanglage entsprechenden Raumabfolge logischer nicht sein könnte. Relativ weit von der Straße abgerückt erstreckt sich quer zum Hang ein dreigeschoßiger, sechs Meter tiefer Riegel, ein schlichter, fast strenger weißer Quader mit anthrazitfarbenen Profilen bei den rundumlaufenden Fensterbändern. Im tektonischen Kontext ist das Flachdach hier die einzig richtige Lösung, schließlich will (oder soll!) man ja auch dem oberen Nachbarn nicht durch einen hohen Dachaufbau die Sicht verstellen.

Orthogonal auf diesen Haupttrakt liegt ein niedrigerer Schenkel, der, teilweise mit einer Dachterrasse versehen, bis zur Straße reicht und in dem der Unterschied zwischen höherem Straßenniveau und tiefer liegender Wohnebene über die hinabführende Eingangstreppe ausgeglichen wird. Das räumlich Besondere ist nun, daß zwischen den beiden Baukörpern und einer den Hang abfangenden Stützmauer an der Südseite ein (auch sicht-) geschützter Hof ausgebildet wird, der eine Orientierung zur Sonne praktisch in jeder Ecke des Erdgeschoßes möglich macht: Über große Glasschiebeelemente kann dieses Semiatrium westseitig Diele und Küche und südseitig dem Wohnzimmer als ergänzender Außenraum zugeschaltet werden. Betritt man den Wohnraum, eröffnet sich dem Betrachter erst die volle Qualität der architektonischen Konzeption: Auch die Nordseite ist auf 15 Metern Länge ganzflächig verglast und gibt den Blick auf das Weinbergpanorama frei, über die Kuppeln des Stiftes Klosterneuburg hinweg bis zur Burg Kreuzenstein ganz in der Ferne.

Zweifellos ist die nordseitige Glaswand energiepolitisch höchstgradig unkorrekt, aber in diesem Fall muß wohl zugunsten des ästhetischen Mehrwerts ein erhöhter Heizbedarf im Winter in Kauf genommen werden. Die kühle Vorderfront setzt auf Extraversion, an der „warmen“ Rückseite bleibt durch die Orientierung in den Hof die Privatheit gesichert. In dem zirka 70 Quadratmeter umfassenden, in Wohn-, Arbeits- und Eßbereich und durch die zentral liegende transparente Stiege ins Ober- und Kellergeschoß gegliederten Großraum herrscht eine räumlich-visuelle Offenheit, die in keiner Weise entgrenzt oder ungemütlich wirkt.

Walter Stelzhammers Raumkonzepte sind im großen wie im kleinen Maßstab ganz wesentlich von der gezielten Lichtführung und dem Hofhausprinzip geprägt. Sei es, indem er den Lichthof eines stattlichen Gründerzeithauses verglast, die umgebenden Mauern „aufreißt“ und somit einen lichtspendenden Zentralraum für einen Verwaltungsbau gewinnt; sei es, indem er ein ebenfalls in Hanglage befindliches Ferienhaus aus Holz an der türkischen Küste an der Rückseite um einen schattigen, aus Naturstein geformten und daher kühlen Hof erweitert. Auch beim Haus H. ergibt sich die Form aus der konsequenten Auseinandersetzung mit dem Ort und dem architektonischen Willen heraus, den Außenraum als integralen Bestandteil des Raumprogramms zu betrachten.

An diesem Beispiel ließe sich eine Empfehlung an potentielle Bauherrn formulieren: Der Genius loci soll die ihm entsprechende Hausform prägen - und nicht umgekehrt. Ein guter Architekt, eine gute Architektin sollten das wissen.

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