Bauwerk

Wohnbau Paltramplatz
DMAA - Wien (A) - 2002
Wohnbau Paltramplatz, Foto: Margherita Spiluttini

Zeigen wir's doch her!

Spektakulär, der Lift auf den Mönchsberg, den Roman Delugan und Elke Delugan- Meissl entworfen haben. Nicht weniger spektakulär und schon fertig: ihr nobles Wohnhaus in Wien-Favoriten.

5. April 2003 - Liesbeth Waechter-Böhm
Es ist ein ziemlich lautes Signal, welches das Wohnhaus von Delugan-Meissl am Paltramplatz in Wien-Favoriten in seine Umgebung morst. Aber es hat einen wirklich guten Klang. Denn die Platzfronten mit ihrer sehr unterschiedlichen Bebauung - teils fragwürdige Architektur aus den letzten Jahren, teils Gründerzeit - können einen starken Akzent durchaus brauchen. Der ganze Platz, mit einem durch monströse Kinderspielgeräte fürchterlich verhüttelten Beserlpark in der Mitte, wird spannender durch den Neubau. Er bringt so etwas wie großstädtische Eleganz ins eher graue, auch etwas abgewirtschaftete Favoritner Einerlei.

Das Haus ist eine Eckverbauung. Und wenn man an die Tradition der markanten „Wiener Ecken“ denkt, dann fügt es sich mit seiner auffälligen Haltung in diese zu Unrecht vernachlässigte Praxis bestens ein. Was man von außen sieht, ist ein fast schwarzes Gebäude mit einem leuchtend gelben, verglasten Eingangsbereich, einer durch raumhoch verglaste Wintergarten-Boxen, die sich leicht aus der Gebäudehaut heraus schieben, unregelmäßig „gemusterten“ Fassade und oben drauf einer schwungvollen, schräg über Eck vorstehenden Hutkrempe aus gelochtem Stahlblech.

Das Haus enthält 22 geförderte Mietwohnungen - und dem Bauträger muss man ein Kompliment dafür machen, dass er sich auf dieses eindeutig jenseits der Norm angesiedelte Konzept eingelassen hat. Man muss aber auch sagen, dass es den Bewohnern zweifellos einen qualitativen Mehrwert bringt. Denn hier, im dicht verbauten städtischen Gebiet, ist es natürlich schwierig, den Mietern die heute so gefragten Freibereiche zu bieten. Auskragende Balkone waren nicht erlaubt und wären in diesem Umfeld auch deplatziert. Die Lösung mit den eingeschobenen Wintergarten-Boxen, die bis auf Brüstungshöhe fix verglast sind und darüber eine klapp- und schiebbare Verglasung haben, so dass sie sich in der warmen Jahreszeit eben doch in offene Balkone verwandeln lassen, bringt vom Nutzwert her mehr.

Man merkt dabei, vor allem im Winter, dass sich manche Bewohner mit dem einfach verglasten Wintergarten-Konzept erst vertraut machen müssen. Auf dem Land kennen die Leute sie noch, die „kalten“ Veranden, die aber bei Sonnenschein viel Wärme bringen. In der Stadt hat man darauf vergessen. Und so kommt es, dass so mancher seine nasse Wäsche zum Trocknen in den Wintergarten stellt und sich dann wundert, dass er Kondenswasser an der Verglasung hat - was man von der Straße natürlich sieht. Aber einmal ordentlich lüften, und es ist wieder weg.

Platziert sind die Wintergärten jeweils zwischen zwei Zimmern, sie stehen 60 Zentimeter aus der Fassade heraus, nur da, wo sie sich unmittelbar neben den angrenzenden Wohnhäusern befinden, durften es lediglich 15 Zentimeter sein. Die äußere Rahmung der Verglasung besteht aus dunklem Stahlblech, Ton in Ton mit der fast schwarzen Fassadenhaut aus Zementfaserplatten, drinnen sind die Wintergärten holzverkleidet, in einem sehr warmen, freundlichen Ton.

Im obersten Geschoß - auch hier sind die Zimmer außen raumhoch verglast - gibt es Terrassen, oben drüber, auf dem Dach, sind dann noch eine Sauna und ein gemeinschaftlicher Terrassenbereich.

Wie immer bei Delugan-Meissl ist viel Überlegung in die Grundrisse geflossen. Das Angebot ist dementsprechend breit gefächert und durch Schiebe-Elemente (keine Unterzüge!) zu einem großzügigen Raumkontinuum erweiterbar, ohne dass man deswegen auf die herkömmliche Zimmergliederung verzichten müsste. Vor allem bei der kleinsten Wohneinheit - etwa 56 Quadratmeter - macht sich das sehr angenehm bemerkbar. Es ist einfach nicht eng.

Man sieht an diesem Haus, dass es sich im Wohnbau immer noch lohnt, über Konzepte nachzudenken. Wenn man die städtebauliche Situation am Paltramplatz betrachtet und die limitierten Möglichkeiten einer solchen Eckverbauung, dann würde man sicher nicht darauf kommen, dass sich hier mehr realisieren lässt als eine konventionelle Aneinanderreihung von Zimmern. Da muss man schon ziemlich „experimentell“ denken. Und gerade in dieser Hinsicht hat das Haus am Paltramplatz eine besonders reiche Vorgeschichte.

Denn ursprünglich sollte es ein Boarding-House werden, das einiges Aufsehen erregt hätte. Delugan-Meissl hatten ihr Konzept „Swatch-Haus“ genannt. Im Wesentlichen hätte es aus einem Modulsystem bestanden, das auf Kleinwohnungen für Kurzzeitmieter basierte, die aber sehr variabel und flexibel angelegt waren, so dass im Endeffekt ganz unterschiedliche Grundrisse und Wohnungstypen realisierbar gewesen wären. Die Architekten haben dafür ein eigenes „Wandmöbel“ entwickelt, in dem nach dem Prinzip des Drehens, Klappens, Schiebens ein überraschendes Spektrum von Funktionen aufgehoben war: vom Bett über die Küche und das Bad bis zum WC. Dieses sogenannte „Mobile“ war auch variabel bestückbar geplant, je nach Bewohnerwunsch.

Der eigentliche Clou aber war: Jeder Gast hätte nicht nur eine Wohneinheit gemietet, sondern ein Auto - gedacht war an einen „Smart“, also einen Kleinstwagen - gleich dazu. Und dieses Auto wäre nicht etwa in einer Tiefgarage gestanden. Die Gäste hätten es vielmehr via gläsernen Paternoster mitgenommen.

Das ist auf den ersten Blick sicher eine verrückte, scheinbar sogar zynische Idee. Wenn man sich das Konzept aber ernsthaft überlegt, dann muss man wohl doch einräumen: So falsch liegt es gar nicht. Denn es gibt sie bestimmt, die Großstadt-Nomaden, die sich nur ein paar Wochen oder Monate in einer Stadt aufhalten und ein solches Angebot zu schätzen und damit umzugehen wissen. Der Investor hat seinerzeit damit argumentiert, dass Favoriten kein Standort für ein solches Experiment ist - das lässt sich nicht ganz von der Hand weisen.

In diesem Projektstadium hatte das Haus übrigens noch eine Glasfassade. Es wäre auch von außen nachvollziehbar geworden, dass drinnen nomadisch, mobil gelebt wird. Ein faszinierender, ein ausgesprochen reizvoller Gedanke - Rubrik gebaute „Großstadtpoesie“.

Es gab dann noch ein zweites Projektstadium, das auf Grund seiner Fassadenlösung bemerkenswert war. Delugan-Meissl hatten damals schon das Wintergarten-Konzept als wichtigen Bestandteil des neuen Wohnhaus-Programms. Zur fast spielerischen „Musterung“ der Gebäudehaut durch die großen Verglasungen, durch Eckfenster und Fensterbänder wäre aber noch eine ganz entscheidende Qualität hinzugekommen: Das Haus sollte eine Energiefassade erhalten, vor die eine „grüne Hülle“ gespannt worden wäre.

In diese Überlegung ist viel Entwicklungsarbeit geflossen, an der nicht nur ein Schichtplattenhersteller, sondern auch Spezialisten der Technischen Universität Wien beteiligt waren. Ergebnis war eine Fassade aus organischen Schichtstoffplatten, Sandwich-Elemente, die ein Röhrensystem aus Kupfer enthalten und Sonnenenergie speichern. Die Energie wäre zur Warmwasserbereitung genutzt worden. Dieser dunklen Schichtstoffplatten-Haut vorgelagert war dann noch ein Rankgerüst aus Stahl, so dass das Haus von unten bis oben begrünt gewesen wäre.

Man sieht es dem Eckhaus am Paltramplatz zwar an, dass es etwas Besonderes ist, dass es eine so aufwendige Entwicklungsgeschichte hat, erzählt es natürlich nicht. Was sich nach außen ausdrückt, das ist die Vielfalt der Grundrisse. Denn die bewegte Unregelmäßigkeit in der Gebäudehülle kam nur dadurch zu Stande.

Was sich noch nach außen ausdrückt, das ist die formale Delikatesse, mit der hier ein einfallsreiches Konzept materialisiert wurde. Delugan-Meissl setzten dabei keineswegs auf teure, aufwendige Materialien. Im geförderten Wohnbau ginge sich das auch gar nicht aus. Aber die dunkelanthrazit durchgefärbten Holzfaserzementplatten an der Fassade vermitteln trotzdem eine Noblesse, die hier, im „Arbeiterbezirk“ Favoriten, durch ihre Zurückhaltung genauso richtig ist, wie sie das in einem innerstädtischen Bereich wäre.

Schön ist auch, dass das Gebäude ein so deutliches Unten und Oben hat. Unten das räumlich ganz bescheidene Foyer, in das man über eine sehr flache Rampe, mit der das Platzgefälle abgefangen wird, hineinkommt. Es ist voll verglast und durch seinen gelben Wandanstrich nicht nur weithin sichtbar, es verbreitet auch eine geradezu einladende Fröhlichkeit.

Und oben drauf die ungemein markante Lochblech-Überdachung. Die hat eine Botschaft, die zwar allen Gebäuden innewohnt, aber die wenigsten sprechen es so deutlich aus: Hier ist das Haus zu Ende, zeigen wir das doch her.

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