Bauwerk

AHS Heustadelgasse
Henke Schreieck Architekten - Wien (A) - 2002

Schule in Wien-Donaustadt

Das Flächenwachstum einer Stadt kann - selbst unter den streng kontrollierten Wiener Bedingungen - zu ungewöhnlichen Maßstabskollisionen führen.

11. Dezember 2002 - Matthias Boeckl
Das Flächenwachstum einer Stadt kann - selbst unter den streng kontrollierten Wiener Bedingungen - zu ungewöhnlichen Maßstabskollisionen führen. Der alte Ortskern des Stadtrand-Dorfes Aspern, wo man bis vor wenigen Jahren nur kleine und niedrige Bebauungen kannte, wird nun von einer Welle großer Wohnbauten umspült, deren dort heranwachsende Schülergeneration wieder neue, großvolumige Schulbauten fordert.

Die Wiener Architekten henke und schreieck haben es verstanden, diese schwierige Lage in einer Struktur zu lösen, die vor allem auf die Qualität der Offenheit setzt. Die Maßstabskollisionen in Aspern verlaufen entlang scharf gezogener Frontlinien: Hier das alte Dorf mit seiner ein- bis zweigeschossigen Bebauung, an seinem Westrand die neuen Wohnbauten der „Erzherzog-Karl-Stadt“.


Das Umfeld

Im Norden des Dorfes liegt die Siedlung Pilotengasse von „Herzog & de Meuron, Steidle und Krischanitz“: Hier wollte die Stadt Wien noch in den 80er Jahren beweisen, dass Suburbanisierung auch in Gartenstadt-Proportionen funktionieren kann. Diese ortsüblichen Maßstäbe wurden auch im dörflichen Gewebe selbst erprobt: „Ceska/Priesner“ realisierten hier 2000 einen Wohnbau mit höherem, mulitfunktionalen Frontteil zum langgezogenen alten Dorfplatz hin (architektur.aktuell 1-2/2001).

Er heißt übrigens „Siegesplatz“, was ausnahmsweise einmal nicht, wie in Bozen, auf Konflikte des 20. Jahrhunderts anspielt, sondern auf einen Schlachterfolg der österreichischen gegen die napoleonischen Heere vor zweihundert Jahren. Im Süden des Dorfes, zwischen Einfamilienhäusern, einem postmodernen Wohnbau-Experiment der Stadt Wien (Tesar, Pruscha und andere) und einem großen offenen Feld, entstand nun nach einem Wettbewerb des ambitionierten Bauherren, der Immobiliengesellschaft der Republik Österreich, ein großes Schulzentrum mit drei darin angesiedelten einzelnen Schultypen, um dem zu erwartenden Bedarf dieses Stadterweiterungsgebietes gerecht zu werden.


Wettbewerb notwendig

Es wäre schön, wenn im österreichischen Schulbau - einer klassisch „öffentlichen“ Bauaufgabe, die etwa in Großbritannien schon fast vollständig „privatisiert“ ist - nun tatsächlich so etwas wie ein positiver Wettbewerb zwischen zwei Anbietern entstanden wäre: dem seit der Ära von Stadtrat Swoboda ehrgeizigen Schulprogramm der Stadt Wien und den seit der Ausgliederung in die „Bundesimmobiliengesellschaft“ aus der unmittelbaren Ministerialverwaltung entlassenen Bundesbauten. Denn dabei gibt es nur Gewinner: Nutzer, Bauherr und Umfeld am Standort.


Leicht und schwebend

Die Ästhetik von „henke/schreieck“ ist mittlerweile zum kreativen Leitbild einer ganzen Generation geworden (und unlängst in einer Ausstellung im neuen österreichischen Kulturforum in New York auch so präsentiert worden): Man könnte fast von einer Fortsetzung des Internationalen Stils der 30er Jahre mit den Zugaben der heute möglichen Glas- und Betontechnik sowie einer leichten, schwebenden, geradezu fernöstlichen Anmutung sprechen.

Das Architekten-Team hat als erstes in Österreich diese Sprache entwickelt, kultiviert und mit steigender Erfahrung zu immer präziseren technischen Lösungen geführt, die allerdings auch den hier Tätigen einen Abschied von alten Schau- und Nutzungsgewohnheiten abverlangen.


Konflikte um „Glaskisten“

Denn das sind die Kernpunkte der Konflikte um die aktuellen „Glaskisten“: Sie erfordern (und ermöglichen ressourcenbewusst) nicht nur andere Heiz- und Lüftungsmaßnahmen als das traditionelle Mauerwerk mit Fensterlöchern, sondern stimulieren auch völlig andere Raumempfindungen, als man das jemals mit einer Schule in Zusammenhang zu bringen gewohnt war - ein Eck-Klassenraum etwa lässt Schüler und Lehrer mit seinen tatsächlich durchgehend raumhoch verglasten Außenwänden in Baumwipfelhöhe zwischen Vegetation und Wohnhäusern schweben.


Spielerische Bewältigung

Gewiss ist es nicht leicht, 1.000 Schüler samt dem nötigen pädagogischen und administrativen Apparat zum Schweben zu bringen. „henke/schreieck“ bewältigen das scheinbar spielerisch mit wenigen Gesten:

Das nötige Volumen wird auf vier Trakte verteilt, die einen locker umfassten Innenhof bilden, erhebliche Teile werden unter das Bodenniveau gedrückt und die Erschließungszonen fast wie Freiräume mit zumindest einer durchlaufenden Glaswand ausgebildet. Nur im Brückentrakt über dem Eingang, der konstruktiv wie eine Waage auf wenigen ultraschlanken Stahlstützen balanciert, gibt es die berüchtigte Mittelflurerschließung, die aber von Glaswänden an beiden Enden und Lichtkuppeln von jedweder Dumpfheit befreit wird.


Gleiten und Fassen

Die Bibliothek sitzt als Glashaus in einem Verbindungstrakt, der sich wiederum auf die Terrasse über den rückseitig angelagerten Sportsaal öffnet, der „Innenhof“, der in Wahrheit ein einladend offenes Atrium ist, geht über ein paar Treppenstufen unter der holzverschalten „Brücke“ in den Straßenraum über, und die eigentlichen Klassenräume wirken, als ob sie in den umgebenden Kornfeldern lägen.

Der Bau ist ein subtiles Spiel von Gleiten und Fassen. Trotz - oder gerade wegen - der technischen Raffinesse von Fassaden, Konstruktion und Disposition der Volumina ist dieses „Stilelement“ (ja, es gibt ihn noch, den Stil!) stark wirksam. Die Elemente gleiten durch den Bau und zeigen an den Kanten ihre Materialstärke oder Schnittflächen: Die Geschossplatten gehen als umlaufendes Gesims von Kante zu Kante durch, die Sichtbetonwände und die Glasflächen laufen bündig aus, etc. Das alles ist natürlich nur auf Basis einer klaren Konstruktion mit großzügigem Stützenraster der schlanken Säulen möglich. Alles ist auf Horizontalität und Reihung abgestellt, die Ablesbarkeit des Gebäudes ergibt sich daraus ganz selbstverständlich.


Verschiedene Raumgrenzen

Die Asymmetrie der Volumina (das forderten schon 1932 Johnson und Hitchcock im Manifest zu ihrem „International Style“) bildet zum Innenhof hin verschiedene Raumgrenzen aus - eine abgetreppte mit Dachterrasse links und eine zweigeschossige Glaswand rechts. In diesem Trakt ist auch das Untergeschoss für Spezialklassenräume genutzt und an der Gebäudeaußenseite am angesenkten Terrain verglast.

Der gegenüberliegende Trakt ist ebenfalls dreigeschossig, nutzt aber das Untergeschoss für die Garage. Das Klimakonzept - essentiell für Glashäuser - basiert auf der Zirkulation kühler Luft, die sich (manchmal aus dem unterirdischen „Frischluftbrunnen“) durch halbgeöffnete Türen, Lüftungsklappen in den Glasfassaden und Ventilatoren am Dach bewegt. Die Verschattung der Fassaden erfolgt durch außenliegende Jalousien an den Klassentrakten und Lamellen am Sportsaaltrakt.


Raum für alle

Die öffentlichen Räume machen den Bau auch zu einer Art Gemeindezentrum: Die abgesenkte Dreifachturnhalle (mit raffinierter Dachkonstruktion) kann als mittelgroßer Veranstaltungssaal genutzt werden.

Die Raumeinheit von Bühne und Speiseraum bildet ein weiteres Forum und der Innenhof kann ebenfalls für außerschulische Aktivitäten genutzt werden. Die kühle Eleganz, die Präzision und die gleitende Selbstverständlichkeit aller Bewegungen im Haus tragen dabei einiges zur Attraktivität des Veranstaltungsortes bei.


[Den Originalbeitrag von Matthias Boeckl finden Sie in architektur aktuell, Österreichs größter Architekturzeitschrift.]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: ORF.at

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft

Tragwerksplanung

Fotografie

KOOPERATIONEN