Bauwerk

Wohnhausanlage Gerasdorferstraße
Viktor Hufnagl - Wien (A) - 1983
Wohnhausanlage Gerasdorferstraße, Foto: Architekturzentrum Wien
Wohnhausanlage Gerasdorferstraße, Foto: Architekturzentrum Wien
10. Mai 2009 - Az W
Die Wohnhausanlage Gerasdorfer Straße ist ein exemplarischer Beitrag zur Gartenstadtidee, deren konzeptionelle Stärke bis heute spürbar ist. Viktor Hufnagl hatte im Rahmen eines städtebaulichen Gutachtens bzw. Wettbewerbs mit dem Titel „Dorf in der Stadt“ 1973 eine typologische Bebauungsstudie durchgeführt, die die Vorzüge einer Gartenstadtsiedlung gegenüber frei stehenden oder gekuppelten Einfamilienhäusern, einer Blockbebauung, einer Reihenhausanlage oder einer Teppichsiedlung veranschaulichte. Der Architekt verwies auf den Modellcharakter seines Vorschlags, er verstand seinen Entwurf als grundsätzlichen Beitrag wider die Zersiedelung der Landschaft durch die auch im Umfeld der Gerasdorfer Straße vorherrschende Einfamlilienhausstruktur. Beispielgebend für die von ihm konzipierte Flachbausiedlung mit insgesamt 380 Wohneinheiten (flexible Wohnungsgrößen zwischen 50 und 130 m²) waren bestehende Angerdörfer wie Leopoldau oder Kagran und Siedlungen der Zwischenkriegszeit wie etwa Am Freihof, Hermeswiese, Lockerwiese oder Rosenhügel.

Das typologische Konzept folgt der topografischen Lage der langen, schmalen Streifenparzellen und fügt sich durch die niedrige Randbebauung mit Höfen (Arkadenwohnhöfe, Ahornhof, Ebereschenhof, Buchenhof, Pappelhof) und Plätzen (Vorplatz, Birkenplatz, Lindenplatz) maßstäblich in die Umgebung ein. Arkaden am Rand der Höfe, Dachterrassen, Loggien und Brückentorbauten als Hofabschlüsse bestimmen die leicht geschwungenen Zeilen. Ein vielfältiges Wohnungsangebot mit geschossebenen Raumfolgen, Maisonnette- und Split-Level-Wohnungen in zwei bzw. drei Ebenen kommen dem Wohnwunschbild „Einfamilienhaus“ überraschend nahe. Die Autoabstellplätze wurden an den Rändern der Siedlung in Erdmulden angeordnet. Die in Beton-Fertigbauweise realisierte Wohnhausanlage mit einem signifikanten Fugenbild weist als Charakteristikum grüne Schiebeläden auf, die den dörflichen Charakter der Bebauung ohne heimattümelnde Geste verstärken. Dieses Projekt, das im geförderten Wohnungsbau der 1980er Jahre neue Wege beschritt, wurde 1984 mit dem Bauherrenpreis der ZV ausgezeichnet und gilt noch heute als eines jener raren Wohnbau-Beispiele, die sich mit den Leistungen des Roten Wien messen können.

Die Eigentümerin der Siedlung, die Genossenschaft Volksbau, will nun – Stand Mai 2009 – in Kooperation mit der Sozialbau AG (an der sie mit 15% beteiligt ist) den gesamten Gebäudekomplex einer Generalssannierung inkl. thermischer Sanierung (THEWOSAN) unterziehen und hat bereits eine entsprechende Förderung eingereicht. Dass bei dieser energetisch argumentierten Maßnahme, die der Anlage einen Niedrigenergiehaus-Status bescheren würde, die Architektur in ihrer proportionalen Gesamtwirkung auf der Strecke bleiben kann, ist aus unrühmlichen Vergleichs-Beispielen der jüngeren Vergangenheit bekannt. Die thermische Verpackung wirft gerade im Fall der vielgliedrigen und erkerreichen Anlage Gerasdorferstraße eine Reihe von Problemen auf (siehe etwa deckenbündige Fenster und Türen in den dann zu schmalen und zu niedrigen Laubengängen), die in der Regel ästhetisch äußerst unbefriedigend gelöst werden. Geplant ist u.a. die Entfernung der vorhandenen Isolierschichten bei allen Flachdächern, Loggien und Dachterrassen, der Abbruch sämtlicher Betontröge sowie die Demontage und der Austausch sämtlicher Außentüren und Fenster. Anschließend soll eine „Neuherstellung“ im Sinne der Thewosan-Wärmedämmfassade erfolgen, wobei wertvolle Originalsubstabstanz (etwa rund 120 Holztüren und 60 Hofportale, Betontröge werden durch kleinere Kästen aus Compactplatten ersetzt) verloren gehen würde. Zahlreiche Bewohner der keineswegs baufälligen Anlage (202 von 380 möglichen Stimmen, das sind 53 %) haben sich inzwischen im Rahmen einer Unterschriftenaktion gegen diese fundamentale Maßnahme ausgesprochen. Hoffentlich finden sie an entscheidender Stelle Gehör. (Text: Gabriele Kaiser)

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Für den Beitrag verantwortlich: Architekturzentrum Wien

Ansprechpartner:in für diese Seite: Maria Welzigwelzig[at]azw.at

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