Bauwerk

Albertina - Sanierung und Erweiterung
Erich G. Steinmayr, Friedrich H. Mascher, Hans Hollein, Arkan Zeytinoglu - Wien (A) - 2002
Albertina - Sanierung und Erweiterung, Foto: Margherita Spiluttini
Albertina - Sanierung und Erweiterung, Foto: Margherita Spiluttini

Heitere Metamorphose

Die Umgestaltung der Albertina in Wien

Erweiterungen von historischer Bausubstanz stellen oft Probleme denkmalpflegerischer Art. Neu hinzugefügte Bauteile sollten das Bestehende weder beeinträchtigen noch übertrumpfen und dennoch als Interventionen erkennbar sein. Die Umgestaltung des Albertina-Palais in Wien erfüllt diese Ansprüche auf überzeugende Weise.

8. August 2003 - Roman Hollenstein
Der Umgang mit wertvoller historischer Bausubstanz - handle es sich dabei um Einzelbauten oder gewachsene Ensembles - stellt seit der Renaissance eine ganz besondere Herausforderung an die Architekten dar. Doch erst in jüngster Zeit sind Erweiterungsbauten zu einem prestigeträchtigen baukünstlerischen Thema geworden, zu dem fast jede Stadt Beispiele vorweisen kann. So besitzt Zürich mit der Villa Bleuler ein Objekt, welches das Zusammengehen von Alt und Neu auf geradezu exemplarische Weise veranschaulicht: Zehn Jahre ist es her, seit das Zürcher Architekturbüro Marbach & Rüegg den 1888 vollendeten Neurenaissancebau des Semper-Schülers Alfred Friedrich Bluntschli zum neuen Sitz des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft umgebaut und erweitert hat. Dabei wurden die Prunkräume renoviert, die Wohn- und Dachgeschosse behutsam in Büroräume umgestaltet und das grosse Volumen der Bibliothek so in die von einer monumentalen Stützmauer gehaltene Terrasse der Vorfahrt eingegraben, dass die wertvolle Parkanlage von Fröbel & Mertens unberührt blieb. Nur ein linsenförmiges Oberlicht aus Glas und Stahl, das wie eine minimalistische Skulptur durch das Rasenrondell der Vorfahrt dringt, sowie kleine Öffnungen in der Stützmauer zeugen vom unterirdischen Eingriff. Zeichenhaft sichtbar wird die Erweiterung erst im ausserhalb des Parks gelegenen Restaurierungsatelier, welches dezent dem industriellen Formenvokabular des benachbarten Autospritzwerks antwortet.


Verwandlungen eines Stadtpalastes

Vor ähnlichen Problemen stand man in Wien, als es darum ging, das für seine Grafiksammlung weltbekannte Albertina-Palais zu erweitern. Dieses erhebt sich neben der Hofburg auf dem letzten Überrest der nach den Türkenkriegen angelegten Basteien, unter welchem Fragmente der mittelalterlichen Stadtmauer verborgen liegen. Auf diesem Augustinerbastei genannten Bollwerk entstand um 1650 der kaiserliche Bauhof, der später von Graf Sylva-Tarouca, dem Statthalter der Niederlande, zum Palais erweitert und schliesslich von dessen Nachfolger Herzog Albert von Sachsen-Teschen übernommen wurde. Dieser liess den Bau von Louis de Montoyer um einen 180 Meter langen, zum Burggarten hin orientierten Westflügel mit 33 Fensterachsen erweitern und Räumlichkeiten des angrenzenden Augustinerklosters für die von ihm angelegte Grafiksammlung umgestalten. Sein Alleinerbe, Erzherzog Carl, betraute 1822 den grossen Wiener Klassizisten Josef Kornhäusel mit dem Umbau der Erschliessungs- und Repräsentationsräume. Nach der Schleifung der meisten Basteien in den 1850er Jahren erhob sich nun das kurz darauf in seiner äusseren Erscheinung den historistischen Formen des Ringstrassenstils angepasste Albertina-Palais einsam und nur über zwei lange Rampen erreichbar auf seiner elf Meter hohen Bastei. Die schweren Kriegsschäden aus dem Jahre 1945 nahm man deshalb zum Anlass, die Rampe zur Augustinerstrasse durch eine kurze, steile Treppe zu ersetzen, die neue Stützmauer zur Strasse hin als Sockelgeschoss der Ostfassade zu gestalten und hier, im einstigen Kellerbereich, den neuen Haupteingang zu schaffen - eine Lösung, die nie befriedigen konnte, weil sie das Erscheinungsbild des Palais stark verzerrte.

Nach dem Brand der Hofburg im November 1992, der auch die dort gelagerten Schätze der Albertina bedrohte, beschloss man eine grosse Metamorphose, welche die Albertina erweitern und zugleich wieder in den Zustand von 1867 zurückverwandeln sollte. Sie setzte 1993 mit dem Wettbewerb für die neuen Studien- und Speichergebäude und die damit verbundene Restaurierung der Albertina ein und kann vermutlich noch dieses Jahr mit der Installierung von Hans Holleins Flugdach über dem wiederhergestellten alten Eingang auf der Bastei abgeschlossen werden.

Dank einer ausgesprochen intelligenten Lichtführung gestattete es das Siegerprojekt von Erich Steinmayr und Friedrich Mascher, die neuen Bauten von aussen fast unsichtbar in den zum Burggarten hin orientierten Erdkörper der Bastei einzugraben. Dabei brachten die beiden Mittfünfziger, die sich bisher vor allem mit Bauten in Vorarlberg hervorgetan hatten, das Studiengebäude in einem viergeschossigen Neubau unter. Dieser ist auf ein Atrium mit reflektierendem Wasserbassin hin ausgerichtet, das - angrenzend an das Palmenhaus des Burggartens und den Sitz der Bundesgartenverwaltung - tief in die Bastei abgesenkt wurde. Ein schmaler Lichthof bringt zusätzlich Helligkeit ins Zentrum des Studiengebäudes, in dem (wie an der gläsernen Atriumsfassade abzulesen ist) zuoberst die zusätzlich von einem Oberlicht erhellten Studienräume, in der Mitte die Restaurierungsateliers, auf Höhe des Innenhofs die Bibliothek und darunter der Bücherspeicher untergebracht sind. Kann man hier durch eine Glaswand einen 1999 freigelegten Turm der mittelalterlichen Stadtmauer erkennen, so scheinen die historischen Schichten beim Blick vom Atrium hinauf zur historistischen Fassade des Albertina- Palais und zum gotisch-neugotischen Turm der Augustinerkirche wie auf den Kopf gestellt.

An das Studiengebäude schliessen sich nach Süden die für die Albertina-Sammlung bestimmten Depoträume an, die wegen der fehlenden computertechnischen Erschliessung noch lange nicht bezogen werden können. Das zusätzliche Reservelager wurde nach der Übergabe der Albertina-Direktion an Klaus Albrecht Schröder im Jahre 1999 in einen 800 Quadratmeter grossen unterirdischen Ausstellungsraum umgewandelt. Müssen doch die österreichischen Bundesmuseen infolge ihrer Entlassung in die Eigenwirtschaftlichkeit vermehrt Gelder durch Veranstaltungen und Sponsoring selbst beschaffen. Die neue Situation bedingte weitere Projektänderungen: So bauten Steinmayr & Mascher die Pfeilerhalle mit dem Portikus im Westflügel der Albertina in eine zeitgemässe Ausstellungshalle um, richteten - als Gegenstück zu den prachtvoll restaurierten Prunksälen im Piano nobile - die «Propter Homines»-Ausstellungsräume ein, überdachten den zentralen Innenhof und gestalteten den einstigen Eingangsbereich an der schmalen, im Krieg zerstörten Südfassade völlig neu. Dieser Zugang machte einen behindertengerechten Aufgang auf die Bastei nötig. Für diesen wurde Ende 2000 ein Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem sich Hans Hollein mit der architektonischen Geste eines weit ausholenden Flugdaches gegen die Konkurrenz von Coop Himmelb(l)au, Zaha Hadid sowie Steinmayr & Mascher durchsetzen konnte.


Wege durch das Museum

Seit der Eröffnung der neuen Albertina im vergangenen März (NZZ 15. 3. 03) gelangt man nun gleichsam durch die Stützmauern der Bastei hinauf zum Museumseingang. Dazu wurde zwischen dem 1864 von Moritz von Löhr entworfenen Danubius-Brunnen und Holleins neuster Wiener Bar ein Hohlraum in der Bastei geschaffen, von dem aus ein gläserner Aufzug und eine Rolltreppe hinauf zum Reiterstandbild Erzherzog Albrechts führen, welches den neu-alten Eingang des Albertina-Palais bis zur Fertigstellung von Holleins Flugdach noch allein markiert. Dieses Dach wird dereinst zusammen mit der ebenfalls von Hollein umgestalteten und mit postmodern anmutenden Wülsten und Bullaugen versehenen Sockelzone am Albertina-Platz dem historischen Bau einen starken zeitgenössischen Akzent verleihen. - Durch das von Steinmayr & Mascher minimalistisch gestaltete Portal betritt man die fast schon ägyptisch strenge Eingangshalle, von der man in den überdachten und sorgsam in den Zustand von 1822 zurückversetzten Innenhof der Albertina gelangt. Dieser wurde von den beiden Vorarlbergern geschickt zum Scharnier der erschliessungstechnisch höchst komplexen Palastanlage bestimmt. Rechts gelangt man in den von Callum Lumsden eingerichteten Museumsshop, links in das vom jungen Wiener Architekten Arkan Zeytinoglu gestaltete Café und geradeaus in die Minervahalle, die den Auftakt zu Kornhäusels Erschliessungssystem bildet. Hier teilen sich erneut die Wege: Links führen Rolltreppen einer leuchtenden Glaswand entlang hinunter in den von Steinmayr & Mascher als flexiblen White Cube konzipierten Ausstellungssaal in der Bastei. Nach vorn schliesst an die Minervahalle der Säulengang an, auf den sich links ein weiterer Ausstellungsraum, die grosse Pfeilerhalle, öffnet. Über die Sphinxstiege erreicht man das Piano nobile, wo rechts der Ausstellungsparcours der Propter-Homines-Säle beginnt, während zur Linken Kornhäusels Musensaal lockt: das von Apoll und den Musen des Canova-Schülers Josef Klieber bevölkerte Herzstück der Prunkräume.

Von hier geht der Ausblick auf die geometrisch heitere, die Basteiterrasse weiterführende Dachlandschaft des bereits erwähnten Studiengebäudes von Steinmayr & Mascher, das selbst noch in der Aufsicht viel von seiner formalen Klarheit, konstruktiven Einfachheit und materiellen Reduktion verrät - Eigenschaften die das dem Publikum nicht zugängliche Gebäude zu einem der bedeutenden Neubauten Wiens machen. So besitzt die Albertina heute zwar mit dem Studiengebäude ein nahezu unsichtbares Meisterwerk sowie neue Ausstellungsbereiche und renovierte Repräsentationsräume. Aber die Sammlung selbst, deren sichere Unterbringung 1992 den Anstoss zum Umbau gegeben hatte, lagert weiterhin nicht wirklich optimal in der Hofburg.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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