Bauwerk

Volta-Schulhaus
Miller & Maranta - Basel (CH) - 2000

Eine kleine Stadt im Haus

Das Volta-Schulhaus von Miller & Maranta in Basel

In der wenig attraktiven Umgebung einer Basler Industriezone haben Quintus Miller und Paola Maranta ein Schulhaus errichtet, das der Deutschschweizer Architektur ganz neue Wege weist. Hinter einer harten, eher unspektakulären Schale verbirgt dieses Gebäude eine fein gegliederte, fast labyrinthische Innenwelt.

2. März 2001 - Martin Tschanz
Das Grundstück, für das 1996 im Rahmen eines Wettbewerbes ein Schulhaus zu planen war, gab Anlass zu Bedenken. Es stand zur Verfügung, weil auf Grund neuer gesetzlicher Bestimmungen ein Teil einer staatlichen Grosstankanlage für Heizöl abgebrochen werden konnte. Ein anderer Teil aber war zu erhalten. Er bildet zusammen mit dem Brückenkopf der zweistöckigen Dreirosen-Brücke, einigen Wohn- und Gewerbebauten, einem Heizkraftwerk und den Anlagen der chemischen Industrie eine eher ungewöhnliche Umgebung für einen Schulneubau. Das Projekt von Quintus Miller und Paola Maranta überzeugte damals die Jury, weil es gerade aus dieser schwierigen Situation seine Charakteristiken und Qualitäten schöpft. Am nunmehr realisierten Bau sind diese von aussen allerdings nur teilweise erahnbar. Der Betonkubus, der unmittelbar an das geschlossene Volumen des benachbarten Lagers angebaut ist, erinnert zunächst kaum an ein Schulhaus. Mit seinen grossen Fenstern, welche die Mauern bis fast zu einem Skelett ausdünnen, lässt er eher an einen Gewerbebau denken - aber auch wegen der enormen Bautiefe von neununddreissig Metern. Er ist so hoch, wie es das Baugesetz erlaubt, und übernimmt die Grundfläche des ehemaligen Tanklagers. Das ist städtebaulich insofern sinnvoll, als sich die Umgebung längst an dieses Bauvolumen angepasst hatte, das im heterogenen Umfeld eine Art Scharnier bildete.


Labyrinthisches Raumgefüge

Der Eingang befindet sich etwas versteckt in einer hinterhofähnlichen Situation. Relativ niedrige Wohnhäuser schaffen hier eine fast schon idyllisch wirkende Kleinmassstäblichkeit, die man auf der anderen Gebäudeseite an der Voltastrasse kaum vermuten würde. Ähnlich wird man überrascht, wenn man die Eingangshalle im Parterre durchquert und über eine breite Treppe ins eigentliche Schulhaus hochsteigt. Innerhalb der harten Schale verbirgt sich hier eine fein gegliederte Innenwelt mit fast labyrinthischen Qualitäten: eine kleine Stadt im Haus. Ihr liegt eine strenge Grundstruktur zugrunde. Vier ähnlich gegliederte Raumschichten überspannen die Tiefe des Hauses. An den Aussenfassaden liegen jeweils die Klassenräume, im Innern gibt es je einen Lichthof, auf den ein Gruppenraum und ein Gemeinschaftsbereich mit Garderobe orientiert sind.

Die Komplexität entsteht dadurch, dass sich der offene Erschliessungsraum mäanderförmig um diese Höfe schlängelt, die zueinander versetzt angeordnet sind. Fenster erlauben Durchblicke quer und diagonal zu den Raumschichten, wobei durch leichte Unregelmässigkeiten in der Geometrie zusätzlicher Reichtum entsteht. Von fast jedem Standpunkt aus kann man alle vier Höfe sehen, aber man hat auch Einblick in die Gruppenräume und sieht durch diese hindurch in die Klassenzimmer. Spiegelungen in den Gläsern komplizieren die Verhältnisse zusätzlich. Die Orientierung im Haus geht aber trotzdem nie verloren. Die Form der Räume und die Materialität der massiven Betonscheiben bewirken, dass die Hierarchie der Richtungen stets klar erkennbar bleibt. Einzelne Fenster gewähren zudem einen direkten Blick nach aussen. Die Umgebung erscheint hier als Bild: distanziert.


Licht und Farbe

Für die Gemeinschaftsräume im Innern des Hauses haben die Architekten im Verlaufe der Projektierung lange mit kräftigen Farben experimentiert, die den Kontrast zur äusseren Betonschale noch verstärkt hätten. Die Arbeit an grossen Modellen zeigte allerdings, dass es bei der Komplexität der Durchblicke praktisch unmöglich gewesen wäre, die Kombinationen und Raumwirkungen der Farben zu kontrollieren. Deshalb wurde ein ganz anderes Konzept realisiert. Die nicht tragenden Wände und die Lichthöfe wurden in einem aufwendigen, vielschichtigen Verfahren mit Perlmuttfarbe gestrichen. Damit tritt weniger ein Farbton in Erscheinung als vielmehr die Farbe als Material, zumal die Struktur des Pinselstrichs sichtbar bleibt. In den Höfen wurde Goldperlmutt verwendet, so dass diese bei diffusem Licht gelblich schimmern, bei Sonnenschein aber intensiv golden aufleuchten. Die Innenwände sind auf einem mehrschichtigen Grund über Kreuz mit Gold- und Silberperlmutt gestrichen. Je nach Lichtverhältnissen schimmern sie gelblich, silbern oder auch blau oder gar lila, mit fliessenden Übergängen. Immer aber scheint sich das Licht auf den Wänden zu materialisieren. - Ein ähnlicher Bautyp wurde schon 1994 von Angélil/Graham Architekten im Wettbewerb für die Zürcher Berufsschule auf dem Schützenareal vorgeschlagen. Beim nun realisierten Volta-Schulhaus entfaltet diese Typologie aber weitere Möglichkeiten und wirkt wie massgeschneidert für die gegebene Situation. Die reiche Innenwelt entschädigt hier für die unwirtliche Umgebung. Sie kommt zudem dem pädagogischen Konzept der Schule entgegen. Es gibt hier spezielle Kurse, um der Vielfalt der kulturellen Identitäten der Kinder gerecht zu werden, und oft wird in kleinen Gruppen unterrichtet. Die Introvertiertheit des Hauses und seine Offenheit nach innen unterstützen dabei den inneren Zusammenhalt der bunt gemischten Schulgemeinschaft.


Eine dem Ort angepasste Lösung

Die Schichtung des Grundrisses wird zudem genutzt, um die Doppelturnhalle zu überspannen, die sich vom Erdgeschoss über drei Etagen nach unten entwickelt. Der Ingenieur Jürg Conzett hat dafür ein komplexes Tragsystem geschaffen, bei dem die in die Tiefe des Hauses führenden Scheiben mit den Decken räumlich zusammenwirken, so dass die grossen Spannweiten scheinbar mühelos überbrückt werden, ohne sichtbare Unterzüge oder andere Verstärkungen.

Die grosse Halle in das Tiefparterre zu legen, ist an diesem Ort sinnvoll, weil damit die bestehende Betonwanne des ehemaligen Tanklagers genutzt werden kann, inklusive der Fundamentplatte und der Stützwände. Das ist ökonomisch, und der riesige Raum trägt so die Erinnerung an die ehemalige Nutzung des Ortes in sich. In seiner Massstäblichkeit steht er in eindrücklichem Kontrast zur kleinteiligen Innenwelt der Obergeschosse. Beim Volta-Schulhaus ist die spezielle Typologie also in vielfältiger Weise passgenau angemessen: bezogen auf die städtebauliche Situation, das Profil der Schule und das Gedächtnis des Ortes. Damit entsteht nicht nur räumlich, sondern auch in der Bedeutung eine Komplexität, die dem Bau sogar innerhalb der architektonisch anspruchsvollen Basler Schulbauten der letzten Jahre eine Sonderstellung zukommen lässt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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