Bauwerk

Studienzentrum
Szyszkowitz · Kowalski - Graz (A) - 2000
Studienzentrum, Foto: Margherita Spiluttini

Geknickte Linie, gebrochene Kontur

Aus dem Blickwinkel der internationalen Bewertung verkörpert keine Architektur die Grazer Schule so wie die von Karla Kowalski und Michael Szyszkowitz. Die ihnen eigene, emotional geprägte Formensprache hat das Architektenehepaar bis heute beibehalten - mit Modifikationen, wie im neuen Studienzentrum der TU Graz.

24. März 2001 - Karin Tschavgova
Friedrich Achleitner ortet in seinem Versuch, der Bedeutung der Grazer Schule nachzuspüren, „die Schubkraft der Grazer Emotionalität“ als Triebfeder jener losen Gruppe von Architekten im Graz der späten siebziger Jahre, die mit unbändigem Schaffensdrang und künstlerischem Anspruch eine Architektur hervorbrachte, die im folgenden Jahrzehnt über Europa hinaus Aufmerksamkeit erringen konnte. Die internationale Rezeption sieht in dieser in Eigenart und Eigenwilligkeit mit keiner anderen Strömung der neueren europäischen Architektur vergleichbaren Produktivität gar ein Phänomen. Analysiert man die Hintergründe, die zu dieser dichten Packung an lokal Gebautem zwischen etwa 1980 und dem Beginn der neunziger Jahre geführt haben, so entmystifiziert sich dieses genauso wie die Vorstellung, es handle sich bei der Grazer Schule um eine Bewegung. Verwandtschaften lassen sich eher in den Architektenpersönlichkeiten als in der Architektur finden. Heftig, wild, expressiv, explosiv, zertrümmernd, dabei sinnlich und poetisch, undogmatisch und unakademisch waren gängige Charakterisierungen, die damit auch eine klare Trennlinie zum damals in Wien gepflegten, aus der Tradition schöpfenden Akademismus zogen. In einer Atmosphäre des Experimentierens schienen Theorien oder historische Vorbilder für die Grazer bedeutungslos.

Die Architekten Szyszkowitz+Kowalski können mit diesen Attributen am wenigsten treffend charakterisiert werden, denn sie waren weder zu Beginn ihrer Karriere radikale (Begriffs-)Zertrümmerer, noch sind sie es heute. In ihnen die Verkörperung der Grazer Schule zu sehen, wie es in Deutschland heute noch geschieht, kann also nur mit dem häufig vereinfachenden Blick von außen erklärt werden. Mit dem „Haus über Graz“, mit hoher räumlicher Komplexität und variantenreichen Verbindungen zum Außenraum sensibel und feingliedrig in die leicht hügelige Landschaft komponiert, gelang ihnen 1975 eine eigenständige und poetische Neuinterpretation des Einfamilienhauses. Wer genau schaut, kann jedoch in den meisten der frühen Arbeiten des Grazers und der Oberschlesierin hinter der kleinteiligen und vielschichtigen Bewegtheit der individuellen Formensprache einen deutlichen Hang zum historisierenden symmetrischen Grundrißaufbau sehen. Ihre geradezu üppige Formenvielfalt und Detailverliebtheit zeigten zwar eine klare Abkehr von den Auswüchsen der Moderne, wie sie allerorts in den Wiederaufbauprogrammen der Nachkriegszeit hochgezogen worden waren, sie schienen aber mehr einem Neobarock verpflichtet als der Suche nach einem zeitgemäßen Ausdruck moderner Architektur.

Dennoch übte der individuelle, emotionale Duktus dieser Formenwelt in diesen Jahren eine enorme Anziehungskraft auf Studenten und Absolventen aus Österreich und Deutschland aus, und so ist es nur auf den ersten Blick verwunderlich, unter den zahlreichen damaligen Mitarbeitern so bekannte Namen wie Ernst Giselbrecht, Andreas Lichtblau, Roger Riewe und Florian Riegler zu finden. Heute stehen diese für eine sich doch deutlich davon unterscheidende Architekturhaltung, wobei die Abkehr der Architekten Riegler und Riewe in ihrer Radikalität sogar ein reizvoller Gegenstand psychoanalytischer Betrachtung sein könnte. Die distanzierteren Beobachter des in beinahe drei Jahrzehnten entstandenen umfangreichen Oeuvres von Szyszkowitz+Kowalski hat der durch Wiederholung eines immer ähnlichen Formenrepertoires entstandene Formalismus in Freund und Feind geteilt. Einer kritischen Analyse unterzogen wird die Architektur von beiden Gruppen nicht. Während die einen - überwiegend die deutsche Fangemeinde, die etliche Bauten in Deutschland realisiert findet und die beiden Architekten von ihrer Lehrtätigkeit in Braunschweig und Stuttgart kennt - noch immer entzückt die Andersartigkeit, das Unkonventionelle, Individualität Suggerierende dieses architektonischen Ausdrucks loben, klassifizieren die anderen ihn mit einer einzigen kurzen Handbewegung ab. Die Haltung der letzteren scheint doppelt unzulässig. Zum einen ist sie nicht bereit, dieser Architektur ein Entwicklungs- und Veränderungspotential einzuräumen, zum anderen nicht, die Gründe jener zu hinterfragen, die diesen Bauten mit Wohlwollen gegenüberstehen oder sie mit großer Zufriedenheit nutzen.

Das von den Architekten im Herbst 2000 fertiggestellte Studienzentrum der Technischen Universität Graz auf den Inffeldgründen geht auf einen Wettbewerb vor mehr als zehn Jahren zurück, in dem die Jury mit den Architekten Feuerstein und Domenig die städtebauliche Konzeption des Projekts positiv bewertete. Den angrenzenden Solitärbauten einer Schule und mehrerer universitärer Einrichtungen setzen sie ein Bauwerk zur Seite, dessen zwei weit ausladende Arme einen geschützten Hof - und damit das Potential für ein kommunikatives Zentrum - bilden.

Der Außenraum als städtischer Platz war als Ergänzung des heterogenen Raumprogramms gedacht, das eine Mensa, eine Bibliothek, studentische Arbeitsräume, einen Turnsaal und einen Hörsaal vorsah. Zum Zeitpunkt des Wettbewerbs war dieser urban definierte Freiraum der einzige als Treffpunkt und Verweilplatz geeignete Ort des weitläufigen Areals. Die nach außen gerichteten Fassaden des annähernd hufeisenförmigen Baus geben sich überraschend schlicht, ohne wesentliche Vor- und Rücksprünge, leicht gekurvt und in den beiden oberen Geschoßen mit einer Bänderung aus Industriestegglas horizontal betont.

Die Innenhoffassaden unterscheiden sich von der weitgehend unprätentiösen Außenerscheinung wesentlich, und zwar in Proportion, Farbe und Material. Sie weichen nach dem Erdgeschoß in einer sich öffnenden Geste in eine schräge Dachfläche zurück, um aus dieser im dritten und vierten Geschoß als eine Art zweigeschoßiger Erker wieder hervorzutreten. Zwischen der beidseits vierteiligen Gliederung in Blechverkleidung wird mit einem alle Etagen durchziehenden Lichtschlitz die schräge Rasterung, die den ganzen Bau durchzieht, verdeutlicht.

Die Innenansicht, ganz in Dunkelorange, soll im Lauf der Zeit zusätzlich durch ein mit Glyzinien bewachsenes grünes Dach gefaßt werden. Die gerasterte Rankstruktur aus Stahlseilen ist allerdings in so großer Höhe installiert, daß fraglich scheint, ob damit der Effekt einer Laube erzielt werden kann.

Beim Studienzentrum von einem Bauwerk „wie aus einem Guß“ zu sprechen, wie dies in der Charakterisierung Szyszkowitz-Kowalskischer Arbeiten immer wieder geschieht, ist schon durch die unterschiedliche Behandlung der Fassaden nicht möglich, obwohl die Vermeidung allzu großer Kleinteiligkeit zum Ausdruck einer neuen Geschlossenheit beiträgt. Hier ist nicht mehr jede Gerade durch Knicken gebrochen, jeder Bauteil detailreich überformuliert, jeder Raum in einer amorph anklingenden Grundrißfiguration bis zur Penetranz überinterpretiert. Hier wird dem Nutzer Raum gelassen, Raum zur freien Entfaltung eigener Phantasie und zur Aneignung des Raums nach individuellen Vorstellungen. Mehr formale Strenge läßt - gar nicht paradoxerweise - mehr Freiheit. Formalismus tritt bedauerlicherweise dennoch auf, wenn etwa die vertikale Gliederung der Außenfassade durch übergeschoßhohe mattierte Glaselemente just in derselben Höhe und Breite durchsichtig belassen wird, wo daneben, im massiven Wandteil, bandartig Oberlichten eingesetzt sind. Oder auf der Schmalfront des Innenhofs, wo horizontale Fensterbänder mit U-förmig ums Eck geführten Scheinfenstern, die nur an der Außenwand in Erscheinung treten, zu einem dekorativen Element verkommen. Den zahlreichen Freunden dieser Architektur ist das vermutlich egal. Sie heben den unkonventionellen Gestus hervor, die phantasievolle Formenvielfalt, den abwechslungsreichen Einsatz von Materialien und Farbe.

Im Vertrauen auf die Substanz der tragenden Idee jedes Entwurfs möchte man den Architekten zurufen: Noch weniger! Less is more.

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