Bauwerk

New York Times Building
Renzo Piano Building Workshop, FXFowle Architects - New York (USA) - 2007
New York Times Building, Foto: Nathan Willock / ARTUR IMAGES
New York Times Building, Foto: Nathan Willock / ARTUR IMAGES
New York Times Building, Foto: Andreas Keller / ARTUR IMAGES

Die Arroganz der Gebäude

Renzo Piano und die Zukunft der Wolkenkratzer

7. Dezember 2001 - Patrick Barton
Seit dem 11. September stellen Laien und Fachleute das architektonische Höhenwachstum in Frage. Renzo Piano, der ein Hochhaus für die «New York Times» realisieren soll, hat sich jüngst über die Konsequenzen des Angriffs auf das World Trade Center geäussert. Mit dem Architekten sprach Patrik Barton.

Wie wird sich das Leben in den Metropolen nach dem 11. September verändern?

Das geschieht auf vielen Ebenen. Es dürfte aber klar sein, dass die Menschen in den nächsten Jahren lieber nicht in Wolkenkratzern arbeiten wollen - wegen prekärer Fluchtwege, vor allem aber, weil diese Gebäude offenbar Terroristen anziehen. Natürlich muss etwas gegen Terrorismus getan werden. Anschlägen dieser Dimension wird kein Gebäude standhalten können. Aber man kann daraus lernen: vor allem bezüglich Feuerschutz, Stabilität und Evakuierungsstrategien.

Aus der Katastrophe lernen
Ist das alles eine Frage der Technik?

Nein, aber wir werden lernen. Die Frage lautet: Was müssen wir tun, um das Erreichte zu retten, ohne dabei unsere Häuser und unsere Lebensweisen grundlegend zu ändern?

Auf städtebaulicher Ebene stellt sich die Frage, ob der 11. September nicht auch ein Ende der Verdichtungsspirale bedeutet.

Das glaube ich nicht unbedingt. Vor allem sollte man Wolkenkratzer nicht mit städtischer Verdichtung gleichsetzen, das ist nämlich keine logische Gleichung. Nehmen Sie zum Beispiel London: Die Innenstadt ist sehr dicht bebaut, aber die meisten Gebäude haben nur drei oder vier Geschosse. Man kann eine Stadt also auch ohne Wolkenkratzer verdichten.

Sie kennen New York. Zurzeit planen Sie den neuen Sitz der «New York Times». Ausserdem arbeiten Sie an einem Masterplan für die Umgestaltung der Morgan Library. Wie hat sich das Bewusstsein für das Bauen dieser Stadt verändert?

Ich war am 11. September in New York. Das war ein unbeschreiblicher Tag - alle waren in einer Art Schockzustand. Am Tag darauf traf ich mich mit meinen Auftraggebern von der «New York Times». Niemand sagte: Lasst uns aufhören, oder lasst uns eine Pause machen. Vielmehr hiess es: Wir müssen den Terroristen dieStirn bieten. Die Amerikaner haben eine unglaubliche Energie.

Aber jetzt, in der posttraumatischen Phase, ändert sich doch etwas im Denken. Wird sich auch im Geist des Bauens etwas ändern?

Ja. Es wird sich auch in New York einiges ändern. Zuallererst werden sich die Stadtplaner über die urbane Verdichtung Gedanken machen. Ich glaube, es wird eine Begrenzung der zulässigen Nutzfläche eines Gebäudes geben. Und dannglaube und hoffe ich, dass man mit Extravaganzen etwas zurückhaltender sein wird. Die Arroganz der Gebäude wird abnehmen. Aber das hat nicht erst jetzt angefangen. Als ich den Auftrag für die «New York Times» bekam, fragte ich: Warum nehmen Sie einen Europäer und nicht einen Amerikaner? Die Antwort lautete: Weil Sie vielleicht besser wissen als wir, wie man Urbanität schafft, wie man einen humanistischeren Zugang zum Bauen findet. In diesem Sinn wird sich jetzt wahrscheinlich noch mehr verändern.

An einem Ort wird man das in besonderer Weise berücksichtigen: Dort, wo das World Trade Center stand, muss neu gebaut werden. Was ist dabei die grösste Herausforderung?

In gewisser Weise war ich in einer ähnlichen Situation, als ich an der Neugestaltung des Potsdamer Platzes arbeitete. Hier wie dort gab odergibt es eine Wüste, die von einem Krieg verursacht wurde. Man muss also etwas Neues bauen und gleichzeitig an das Geschehene erinnern.

Soll man also die Zwillingstürme wieder aufbauen?

Nein. Ich hatte nie etwas gegen diese Gebäude, aber sie sind immer aus dem Rahmen gefallen. Die Twin Towers sind vor 30 Jahren gebaut worden, aber tatsächlich war ihr Konzept auf dem Stand der Mitte des vorigen Jahrhunderts.

Was würden Sie stattdessen machen?

Man muss schon etwas bewahren. Dabei denke ich nicht unbedingt an die Ruine. Die Herausforderung wird sein, eine Balance zwischen Nostalgie und Erinnern zu finden.

Haben Sie Ihre Pläne für das Hauptquartier der «New York Times» jetzt überarbeitet?

Das Grundkonzept ist unverändert. Verglichen mit dem Prunk, dem Massstab und der Mächtigkeit anderer Wolkenkratzer ist das Gebäude für die «New York Times» klein und feinsinnig. Es soll gute Arbeitsbedingungen in einer transparenten Umgebung bieten. Der Entwurf war von Anfang an eine Antwort auf dieses Denkmuster, nach dem ein Turm arrogant und mysteriös sein muss. Wir haben jetzt nur wenig verändert und zum Beispiel zusätzliche Treppen vorgesehen.

Worin liegt das Innovative Ihres Turmprojekts?

Das Schönste am Turm wird das Atmosphärische sein. Er ist Teil seiner Umgebung, er verwandelt sich ständig. Seine Farbe ändert sich mit dem Wetter. Wir haben uns für eine beinahe weisse Fassade entschieden. Dieses Weiss, eine Nichtfarbe, wird das Wetter spiegeln. Nach einem Wolkenbruch wird das Gebäude bläulich, kalt aussehen. Abends wird es erröten. Es ist eine Metamorphose: ein Wandel mit dem Wind, mit dem Wetter und mit der Tageszeit.

New York als Herausforderung
Sie bauen zum ersten Mal in New York. War Ihnen bange davor?

Ich fühle mich von dieser Aufgabe keineswegs eingeschüchtert. Aber ich fragte mich natürlich, wie man es am besten anstellt. Der Kontext ist von fundamentaler Bedeutung. Das Schwierigste ist nicht das Gebäude selbst, sondern wie man es in die Logik seiner Umgebung einpasst.

Die USA sind derzeit Ihr Haupttätigkeitsfeld: Sie erweitern das Chicago Art Institute, bauen das Harvard Art Museum in Boston, einen Kunstcampus in Atlanta, eine Galerie in Dallas . . .

. . . es ist mehr ein Skulpturengarten als eine Galerie. Wir haben auch ein neues Projekt in San Francisco, wo wir im Golden Gate Park die California Academy of Science bauen werden. Und dazu arbeiten wir noch an der Renovierung der Morgan Library in New York. Wir haben also einige Sachen in den USA.

Auch in Europa bleiben Sie aktiv. Das höchste Gebäude des Kontinents sollen Sie direkt an der London Bridge bauen. Wie wird es ausschauen?

Es wird ein 306 Meter hohes Gebäude sein, dessen Spitze sich im Himmel verliert. Ich finde die Idee faszinierend, dass sich ein Gebäude im Nichts verliert.

Dem Nichts ist das Projekt vielleicht in seiner Gesamtheit schon sehr nahe, denn die Unterstützung war von Anfang an schwach. Der Terrorangriff von New York hat alles jetzt noch stärker ins Wanken gebracht.

Ja, denn dieses Projekt war und ist mit einem starken Symbolwert versehen. Die zuständigen Behörden wollen jetzt darüber befinden, und ich würde mich nicht wundern, wenn am Ende eine emotionale Entscheidung steht.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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