Bauwerk

Topografie des Terrors
Peter Zumthor - Berlin (D) - 1993
Topografie des Terrors, Foto: Klaus Frahm / ARTUR IMAGES
Topografie des Terrors, Foto: Klaus Frahm / ARTUR IMAGES

Gedächtnisort anderer Art

Ein Neuanfang der «Topographie des Terrors»

Erst trat der wissenschaftliche Leiter des für Berlin geplanten Dokumentationszentrums «Topographie des Terrors» zurück, dann wurde - nach jahrelangem Hin und Her - der Entwurf des Architekten Peter Zumthor zur Makulatur erklärt. Der Neuanfang, über den nun diskutiert wird, sollte die Besonderheit des Ortes (dort standen die Zentralen der Gestapo und der SS) konzeptionell stärker berücksichtigen.

26. Juli 2004 - Peter Reichel
Bund und Berliner Senat haben sich nun festgelegt. Die Treppentürme des «genialen, aber unrealisierbaren» Zumthor-Baus werden abgerissen. Das Gelände südlich der heutigen Niederkirchner und früheren Prinz-Albrecht-Strasse 8, seit langem teils Freilichtdokumentation, teils Biotop, teils ruhende Baustelle und Containerprovisorium, bekommt eine dem historischen Ort und dem geschichtspolitischen Rang der «Topographie» angemessene Gestaltung. Das neue Zauberwort heisst «dienende Architektur». Damit ist der negativ definierte, immobile Zustand der letzten Jahre beendet. Aber das ist nur der erste Schritt. Es muss nun öffentlich darüber debattiert und auch substanziell definiert werden, was dort geschehen soll, architektonisch und dokumentarisch-inhaltlich, zumal die wissenschaftlichen und juristisch-politischen Diskussionen um Gewaltverbrechen und Schuld, um Täter, Opfer und Zeugen, auch um das Verhältnis von Justiz, Historiographie und Erinnerungspolitik weitergegangen sind.

«Terrorzentrale»

Zu wenig ist bisher im öffentlichen Bewusstsein verankert, warum dieser einstige Sitz der Befehls- und Verwaltungszentrale des nationalsozialistischen Terrorapparates der nationale «Gedächtnisort» der Bundesrepublik Deutschland schlechthin ist - und nicht etwa die Neue Wache oder das seiner Fertigstellung entgegenwachsende Holocaust-Mahnmal. Wie kein zweiter könnte er daran erinnern, dass der demokratisch-parlamentarische Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland die Wiederherstellung (und Verbesserung) jener politischen Ordnung ist, die das nationalsozialistische Unrechtsregime 1933 beseitigt hat. Diese «Negation der Negation», wie Ernst Fraenkel die politische Philosophie des Grundgesetzes charakterisiert hat, ist der dominante, für die Bonner wie für die Berliner Republik geradezu konstitutive und auch geschichtspolitisch massgebliche Bezug. Daraus leiten sich der überragende Rang dieses Ortes in der gebauten Erinnerungskultur Deutschlands ab und auch sein politischer Bildungsauftrag.

Insofern greift der Aufruf zum Minimalismus des Berliner Stadthistorikers Dieter Hoffmann- Axthelm - «Lasst das Gelände sprechen!» - zu kurz. Es geht um mehr als um das Gelände als das vermeintlich wichtigste Ausstellungsstück. Der authentische Ort, die Aura seiner Archäologie mögen den erlebnishungrigen Geschichtstouristen animieren. Die «Topographie» hat dort vor allem eine Beweissicherungspflicht und einen Aufklärungsauftrag zu erfüllen. Nicht weniger und nicht mehr. Insofern verträgt dieser Ort weder eine Fetischisierung zu einer Art «heiligen Brache» noch eine Ästhetisierung durch aufwendige architektur- oder denkmalkünstlerische Überbauung.

Ein zweiter Gesichtspunkt kommt hinzu. Der Ort, an dem sich nur noch wenige materielle Überreste einer darstellbaren, aber schwer verständlichen Vergangenheit finden, muss eine Geschichte erzählen, die Geschichte der Täter und der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, die dort geplant, für das von Hitlerdeutschland besetzte Europa koordiniert und dort in geringem Umfang auch ausgeführt wurden («Hausgefängnis»). Diese Aufgabe gewinnt an Dringlichkeit, wenn man sich die Asymmetrie im Ensemble der drei zentralen hauptstädtischen Erinnerungsorte vor Augen hält. Es herrscht darin ein gut gemeintes, aber doch nicht unbedenkliches Übergewicht zugunsten der - jüdischen - Opfergeschichte («Holocaust-Mahnmal», Jüdisches Museum). Aber auch in der Erinnerungspolitik zählt nicht allein die gute Gesinnung. Die Fehler, die bei der hastigen und gedankenlosen Umgestaltung der Neuen Wache gemacht wurden, haben sich ebenso gerächt wie die im Ansatz verfehlte bürgerschaftliche Initiative des «Holocaust-Mahnmals».

Wissenschaft und Öffentlichkeit

Yad Vashem ist nicht übertragbar, am allerwenigsten auf Deutschland. Bei allem Respekt gegenüber Peter Eisenman und seinem Werk: Wenn künstlerische Formsprache sich nicht im bloss Spektakulären und Beliebigen verlieren, sondern sinnbildend sein will, dann hat ein friedhofähnliches Stelenfeld seinen Ort über den Massengräbern der in Polen gelegenen einstigen Vernichtungslager, aber nicht im Zentrum Berlins. Wer sich einmal nach Treblinka begeben und die sepulkrale Architektur der polnischen Künstler Francisek Duszenko und Adam Haupt mit ihren Spuren sichernden Betonschwellen und Tausenden von Granitblöcken gesehen hat, dem wird diese Differenz sofort einsichtig.

In Berlin wurden die jüdischen Deutschen diskriminiert, ausgegrenzt, vertrieben und deportiert. Darauf verweisen - in Synagogen, an S-Bahnhöfen und anderswo - Erinnerungszeichen hohen denkmalkünstlerischen Anspruchs. Ihren gemeinsamen Bezug haben sie im Entscheidungszentrum des «Verwaltungsmassenmordes» (H. Arendt), in der «Topographie», die deshalb auch keine Gedenkstätte ist. Der gedächtniskulturelle Aspekt mit seinem affektiven und denkmalästhetisch- expressiven Vergangenheitsbezug ist dort nachgeordnet. Ihre spezifischen Aufgaben der Aufklärung und Deutung erfüllt die «Topographie» im Grenzbereich von politischer Kultur und Wissenschaft, also in einem Handlungsfeld, das durch Moral und Erkenntnis bestimmt wird.

Unterstrichen wird dieser öffentliche Auftrag durch jenes oft beklagte Problem des «Transfers» zwischen Wissenschaft und gesellschaftlicher Öffentlichkeit. Diese verlangt in der Befriedigung ihres Geschichtsbedarfs nach inhaltlicher Eindeutigkeit, nach Vereinfachung realgeschichtlicher Komplexität und nicht zuletzt nach emotional-anrührender, unterhaltsamer Information. Der Geschichtswissenschaft sind diesbezüglich enge Grenzen gezogen. Dieses Dilemma ist des Öfteren sichtbar geworden, insbesondere aber bei den beiden weltweit erfolgreichen Hollywood-Produktionen, dem «Holocaust»-Fernsehfilm und «Schindler's List», die ein Millionenpublikum erreichten. Die Vermittlungsformen eines auch visuell erfahrbaren Dokumentations- und Lernortes wie der «Topographie» erfüllen insofern eine kaum zu überschätzende Brückenfunktion, über die Jahr für Jahr einige hunderttausend Menschen erreicht werden.

Ihr überragender geschichtspolitischer Rang resultiert schliesslich noch aus einer dritten Überlegung. Wie kein anderer Ort muss die «Topographie» als eine aus bürgerschaftlichem Engagement hervorgegangene und später auch staatlich geförderte Institution des kulturellen Gedächtnisses vor allem die Vermittlung einer tat- und täterbezogenen Darstellung des Judenmords sicherstellen. Die nachwachsenden Generationen wollen und sollen aber auch wissen, woher die Täter kamen, wie sie in den Vernichtungslagern und den Mordaktionen der mobilen Einsatzgruppen zu Massenmördern wurden und nach 1945 in nicht geringer Zahl in die bürgerliche Gesellschaft zurückkehrten und zu Wohlstand und Reputation kamen. Indem die «Topographie» die Vor- und Verlaufsgeschichte des nationalsozialistischen Unrechtsregimes thematisiert und zugleich auch dessen «zweite Geschichte», also die bis in unsere Tage reichende politisch-justizielle und politisch- kulturelle Auseinandersetzung mit dieser Erblast, kann und muss sie je zeittypische Blickverkürzungen im öffentlichen Geschichtsbild korrigieren. Und die sind nicht von der Hand zu weisen.

Die Aufgabe

Seit langem ist die Tendenz zu beobachten, in der Dramaturgie der populären Holocaust-Erzählung nicht die Vorgeschichte des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen, sondern das Ende zu betonen, die Rettung der Überlebenden, den Neuanfang - und die Rückkehr Deutschlands in die westliche Zivilgesellschaft. Diese, Optimismus weckende Neigung zur Unterbelichtung der «Tätergeschichte» wird noch deutlicher, vergegenwärtigt man die jüngsten Debatten und Medienspektakel um «Bombenkrieg » und «Vertriebenenzentrum», in denen einmal mehr das deutsche Opfer- Selbstbild bekräftigt wird. Das zweite Beispiel ist die Herauslösung des Judenmords aus der deutschen Geschichte durch eine längst vollzogene Globalisierung der Gedenkkultur und eine Inflationierung des Holocaust-Begriffs. Immer mehr bedrohte ethnische Minderheiten und gefährdete soziale Gruppen adaptieren diesen längst universalen Topos, um in der Konkurrenz um Opferstatus und Opferanerkennung auf ihre Leidensgeschichte aufmerksam zu machen.

Die «Topographie des Terrors» muss diese Entwicklungen selbstverständlich beachten und thematisieren. Vor allem aber muss sie gegen alle relativierenden, reduktionistischen und revisionistischen Deutungen ihren Auftrag und Ausgangspunkt definieren und öffentlich dokumentieren: Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen sind nicht zwangsläufig, aber auch nicht zufällig in Deutschland bzw. in den von ihm besetzten Teilen Europas geschehen. Wer verstehen will, was das heisst, muss immer wieder die eine, vor allem für Deutsche beunruhigende Doppelfrage stellen: warum Hitler nicht verhindert werden konnte und warum die Gewaltverbrechen gerade in Deutschland geschehen sind. Darüber hinaus sollte die «Topographie» den Judenmord mit den anderen Völkermorden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit konfrontieren und in das Jahrhundert der Moderne und der Barbarei einordnen. Sie würde uns dann nicht nur erlauben, Berlin und Auschwitz als die beiden wichtigsten deutschen Gedächtnisorte zu verstehen, sie könnte womöglich unser Bewusstsein schärfen für die Gefährdung der menschlichen Zivilisation überhaupt.

[ Der Autor ist Professor für historische Grundlagen der Politik an der Universität Hamburg. Zuletzt erschien von ihm das Buch «Erfundene Erinnerung. Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater» (Verlag Carl Hanser, München 2004). ]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Tragwerksplanung

Fotografie

Bildagentur

ARTUR IMAGES