Bauwerk

Kirche ´St. Franziskus´
RIEPL RIEPL ARCHITEKTEN - Steyr (A) - 2001
Kirche ´St. Franziskus´, Foto: Dietmar Tollerian
Kirche ´St. Franziskus´, Foto: Dietmar Tollerian

Die Aura des Lichtes

Ein Kirchenneubau im oberösterreichischen Steyr

Im oberösterreichischen Steyr gelang dem Architektenteam Riepl Riepl eine aussergewöhnliche Interpretation eines Sakralbaus. Der auf den ersten Blick etwas rau wirkende, leicht grün eingefärbte Betonbau lebt in der Dämmerung auf, wenn ihm das mit moderner Urbanität assoziierte bunte Neonlicht eine ganz neue Dimension verleiht.

4. April 2003 - Margit Ulama
In unserer zunehmend säkularen Welt werden religiöse Bedürfnisse oft an den Rand gedrängt oder in sogenannte Patchwork-Religionen übergeführt. Die Auflösung von Traditionen hat längst auch den christlichen Glauben und dessen Architektur erfasst. Ungewöhnliche, grenzüberschreitende Kirchenbauten sind die Folge. In Oberösterreich entstanden in den späten fünfziger Jahren zwei eindrückliche Beispiele, die sich völlig konträr verhalten: die Pfarrkirche zur hl. Theresie von Rudolf Schwarz in Linz und das von der Arbeitsgruppe 4 zusammen mit Johann Georg Gsteu im nicht weit entfernten Steyr errichtete Seelsorgezentrum Ennsleiten. Ein gewissermassen «armes» Erscheinungsbild verbindet diese Bauten, die doch die weite Spanne möglicher Interpretationen des Themas aufzeigen. So bilden für Schwarz Mystik, Katholizismus und Gestalttheorie die Grundlagen. Seine Theresienkirche erhebt sich über einem ovalen Grundriss und ist geometrisch konzipiert, gleichwohl semantisch aufgeladen. Vier Dezennien später wird in Steyr- Resthof ein neuer Weg beschritten. Nun manifestieren sich Besinnung und Kontemplation in einem übergeordneten, allgemeinen Sinn. Doch auch diese Kirche ist in ihrer Erscheinung spröde, gleichsam arm, und setzt so die verbindende Tradition der beiden früheren Bauten fort.

Bei genauer Betrachtung ordnet sich die im Vorjahr von Gabriele und Peter Riepl fertig gestellte Pfarrkirche St. Franziskus in jene Tendenz der aktuellen Architekturentwicklung ein, die den einfachen, kubischen Baukörper zunehmend differenziert. Der Kirche liegt zwar eine quadratische Grundform zugrunde, doch im Aufriss findet man keinen einheitlichen Quader, sondern eine Reihe von Volumina, die sich über Abstufungen und Rücksprünge zu einem komplexen Ganzen fügen und an einer Stelle in ein flächiges, geknicktes Element auslaufen. Diese Differenzierung resultiert aus einer ausgeklügelten Grundrisskomposition mit klar definierten, dennoch offenen Räumen. Man kann von Raumsequenzen sprechen, bei denen einzelne überlappende Elemente die Verschränkung betonen. Dem Grundriss fehlt auf den ersten Blick jegliche Hierarchie. Diese entsteht allein auf Grund der Raumgrössen und -höhen. Wenn man die Kirche an der Westseite betritt, so liegt am Ende der Wegachse der dunkle, eher unauffällige Taufstein. Knapp davor knickt der Weg ab, trennt und verbindet verschiedene Räume: den einfachen Hauptraum links und das Atrium mit seinem japanisch anmutenden Gärtchen rechts, die Werktagskapelle, den Taufbereich und das Wasserbecken.

Der Bau ist als Kirchenbau in vielfacher Hinsicht ungewöhnlich. In seiner Abstraktion schafft er eine neue Symbolik, sogar der Glockenturm wurde durch einen schmalen Glaskubus ersetzt, der die durchgehende Horizontalität konterkariert. Auch das dialektische Spiel von Geschlossenheit und Öffnung zur Umgebung ist durchaus unüblich. Die Architekten wollten «Spannungsfelder entwickeln» und die Hermetik mit «forcierter Offenheit konfrontieren». So blickt man beim Eingang durch eine profillose Glaswand in die Vorhalle und weiter durch eine zweite gläserne Trennung ins Atrium und bis zum Taufbereich. Beim diagonal gegenüberliegenden Wasserbecken ist diese Immaterialität der Wand noch grosszügiger. Von aussen sieht man unmittelbar in den Kirchenraum, ist dabei jedoch durch die Wiese auf Distanz gehalten. Die Simultaneität verschiedener räumlicher Zonen ist bereits hier offensichtlich und findet im Inneren ihre logische Fortsetzung. In der Wochentagskapelle bemerkt man folglich nicht nur die seitliche Raumweitung nach oben in den Glaskubus, man blickt zudem über den Taufstein auf das Wasserbecken und die Siedlung im Hintergrund beziehungsweise - jetzt in diagonaler Richtung - zum niederen Weg und zum hohen Hauptraum dahinter.

Ihre wirkliche Vollendung erfährt diese Raumkomposition aber in der Dämmerung mit der Beleuchtung. Wochentagskapelle, Taufkapelle und Hauptraum werden dann in zartes rötliches, bläuliches beziehungsweise gelbliches Licht getaucht. Dies betont jeden einzelnen Bereich innerhalb des Kontinuums und schafft zudem eine besondere Stimmung. Man möchte von einer auratischen Atmosphäre sprechen. Das Licht modelliert die Architektur und hebt Details hervor. So läuft entlang der zweiseitigen Verglasung zum Atrium eine schmale, frei schwebende Platte als informelle Sitzgelegenheit mit einer effektvollen indirekten Beleuchtung an der Unterseite. Das baldachinartige Vordach wird von unten kräftig bestrahlt, und das Innere präsentiert sich an dieser Stelle als komponiertes Bild, bei dem weit hinten, fast entrückt, die Taufkapelle bläulich schimmert. Nahtlos gehen die Architektur und ihre künstlerische Ausgestaltung, zu der man Keith Sonnier einlud, ineinander über. Seine Neonskulpturen bilden den visuellen Höhepunkt.

Sonnier, der dem Postminimalismus zugeordnet wird, entschied sich dafür, seine Arbeiten über dem Taufstein und im erhöhten Glaskubus zu placieren. Im ersten Fall verwendete er zartblau leuchtende, am Ende geknickte Stäbe, die an der Decke zu schweben scheinen. Für den Glaskubus konzipierte er ein kleines Feuerwerk. Etliche bunte Schleifen wirbeln hier durcheinander, wobei ein rötlicher Ton dominiert. So entsteht an dieser Stelle eine betont heitere Stimmung. Ähnliche Schleifen verwendete Sonnier in seiner «Tears»-Serie. Tatsächlich verbindet er selbst mit dem Neonlicht eine religiöse Erfahrung: Als er in seiner Jugend im Süden der USA nachts übers Land fuhr, tauchten im dichten Nebel Wellen von Licht auf, die sich auf und ab bewegten und von einem Klub in der Ferne stammten.

Die Lichtinszenierung lässt einzelne vielleicht weniger gelungene architektonische Details vergessen. Am Ende ist ein vielschichtiges Werk hinsichtlich räumlicher Konzeption, des Zusammenwirkens von Architektur und Kunst, der Interpretation der Funktion und der feinen Symbolik entstanden. Der Hauptraum ist als liturgischer Ort zurückhaltend formuliert, nämlich als einfache Raumschachtel mit heller Birkenholzauskleidung und dreiseitiger Bestuhlung. Die Betonung der Quer- im Vergleich zur Längsachse soll die Idee der Gemeinschaft hervorheben. Insgesamt realisierte man mittels des offenen Raumkonzeptes eine polyzentrische liturgische Idee. In einem Quartier mit einer starken muslimischen Gemeinde und zahlreichen Bewohnern ohne Glaubensbekenntnis ist der Bau als katholische Kirche bewusst zurückgenommen. Erfreulich ist die Akzeptanz des nach gängigen Kriterien ungewöhnlichen Bauwerks. Diesem Faktum liegt ein intensiver Entstehungs- und Diskussionsprozess zugrunde. Mitte der neunziger Jahre wurde auf Initiative des Pfarrers und der Diözese ein Wettbewerb ausgeschrieben, doch auch dieser Schritt musste erst vorbereitet werden; Studentenprojekte hatten den Blick für mögliche architektonische Lösungen geöffnet.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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