Bauwerk

„Gelbes Haus“ - Umbau
Valerio Olgiati - Flims (CH) - 1999
„Gelbes Haus“ - Umbau, Pressebild: Ralph Feiner

Von der Idee zur Erscheinung

Valerio Olgiatis Umbau des «Gelben Hauses» in Flims

29. Oktober 1999 - Hubertus Adam
Manchmal bedarf es des sanften Drucks, um zum Ziel zu gelangen: Mehr als eine Dekade stritt man sich in Flims um Abriss oder Erhalt des mitten im Ort gelegenen «Gelben Hauses», bis der Architekt Rudolf Olgiati 1995 - kurz vor seinem Tod - eine Entscheidung lancieren konnte: Unter der Bedingung, dass das aus den 1870er Jahren stammende Gebäude erhalten bleibe und zukünftig als kulturelles Zentrum genutzt werde, vermachte er der Gemeinde seine regional ausgerichtete kulturhistorische Sammlung. Und er fügte dem Vertrag noch eine Klausel hinzu - das Haus müsse nach seinem Geschmack umgebaut und schneeweiss gestrichen werden. Als auch noch der als Hotelierssohn in Flims geborene Filmemacher Daniel Schmid seine umfassende Sammlung zur lokalen Hotel- und Tourismusgeschichte stiftete, versiegte der örtliche Widerstand.


Hülle und Kern

Wer sich an das lange verwahrloste Wohn- und Geschäftshaus erinnert, wird seinen Augen kaum trauen: Wie eine Fata Morgana steht ein beinahe unwirklich weisses Gebilde an der Hauptstrasse, als habe es sich aus dem Reich der reinen Geometrie und der reinen Farbe in die unvollkommene Welt verirrt. Die Folie der alten Strickbau-Scheunen im Hintergrund und die gesichtslosen Tourismusbauten der sechziger und siebziger Jahre ringsum lassen den Kontrast noch deutlicher hervortreten. Aus der Nähe betrachtet, wird die Idee zur Erscheinung, schimmert hinter dem zeitlosen Sein das historisch Gewordene hervor. Denn einem Palimpsest gleich ist hinter den mit weisser Mineralfarbe gestrichenen, unverputzten Fassaden die Struktur des vorhandenen Baus erkennbar: Natursteinmauer in den unteren Geschossen, eine Riegelkonstruktion in der obersten Ebene.

Der durch das monolithartige Schulhaus von Paspels international bekannt gewordene Valerio Olgiati hat die Auflagen seines Vaters erfüllt und zugleich ein beispiellos radikalisiertes Konzept vorgelegt. Erhalten geblieben sind vom einstigen «Gelben Haus» lediglich die Umfassungsmauern; der Innenausbau wurde ebenso entfernt wie Portikus und Balkon, Sprossenfenster, Giebel und Dach. Schliesslich liess der Architekt den Putz von den Fassaden schlagen, so dass nur noch die rohe, von Öffnungen durchbrochene Mauerschale übrigblieb. In Ortbeton entstanden die neuen Laibungen der beinahe quadratischen Fenster, durch die sich das Schema einer nahezu seriellen Lochfassade ergibt. Über das Mauergeviert wurde eine Attika aus Beton gelegt, auf der das Zeltdach mit seinen weiss gestrichenen Schieferplatten ruht. Dieses greift die Volumetrie des historischen Gebäudes auf, kragt aber nicht mehr vor - die Fassaden werden aus der Nahsicht zu reinen Flächen, das Volumen erscheint als Kubus. - Wie in Paspels sind auch in Flims Hülle und Kern voneinander getrennt. Eingestellt in den massiven Mauerkranz wurde hier eine Holzkonstruktion: Die Massivholzdecken der geschossfüllenden Räume ruhen jeweils auf einem Balkenkreuz, das von einer exzentrisch angeordneten Stütze getragen wird. Im Bereich des offenen Dachstuhls ist das Balkenkreuz blossgelegt und bannt die horizontalen Zug- und Druckkräfte der spektakulär schräg in die vertikale Stütze eingeleiteten Auflast des Firsts. Alle Holzelemente sind weiss gestrichen; nur im Fussboden blieb die Materialfarbe der Bretter erhalten.


Dialog zwischen Alt und Neu

Die Purifizierung von Fassaden war in den zwanziger Jahren ein probates Mittel, Häuser der Gründerzeit zu versachlichen. Valerio Olgiati indes treibt nicht ein antihistoristischer Impuls; im Gegenteil, indem er das bauhistorisch wenig bemerkenswerte Gebäude auf sein materielles Substrat reduzierte, gelang ihm vielleicht ein ehrlicherer Dialog zwischen Alt und Neu, als es manche beschönigende Rekonstruktion vermag. Vereinheitlichend legt sich die weisse Schicht der Farbe über Schründe und Brüche, Narben, Wunden und Ergänzungen: Die reine Form enttarnt sich als Flickwerk, als Resultat von bricolage. Beim genauen Hinsehen wird erkennbar, dass die Details keineswegs der idealen Geometrie gehorchen; der Grundriss ist in Wahrheit ein Trapez, die Dachkante leicht geneigt. Ähnlich dem Schulhaus in Paspels besteht somit eine spannungsreiche Wechselbeziehung zwischen einem monolithisch- rigiden Urbild und einer auf Perfektion verzichtenden Realisierung - wobei die Kontingenz sich beim «Gelben Haus» als historisch bedingt erweist, bei der Schule jedoch einer willkürlichen Intervention des Architekten folgt.

Zu Recht wurde das «Gelbe Haus» vor wenigen Tagen leer eröffnet. Rudolf Olgiati und seiner kulturgeschichtlichen Sammlung widmet sich das vom Verleger Dino Simonett geleitete und vom Verein «Das Gelbe Haus» betriebene Institut ab Mitte Dezember. Weitere Ausstellungen sollen im Halbjahresturnus folgen. Es wird nicht einfach sein, die stark durchfensterten Innenräume zu bespielen; doch als Museum im üblichen Sinne möchten die Träger ihr Gebäude ohnehin nicht verstanden wissen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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