Bauwerk

Pavillon Suisse
Le Corbusier - Paris (F) - 1933

Le Corbusier bei den Studenten

Der Pavillon Suisse in der Cité universitaire

1933 wurde in der Cité internationale universitaire de Paris der Pavillon Suisse eröffnet. Das von Le Corbusier entworfene Gebäude ist ein denkmalgeschütztes Kleinod der architektonischen Moderne und zugleich ein erfolgreich funktionierendes Studentenheim. Soeben ist eine umfassende Monographie erschienen. Ein Besuch vor Ort.

1. Oktober 2004 - Marc Zitzmann
Nach den Greueln des Ersten Weltkriegs wandten sich viele Franzosen pazifistischem und internationalistischem Gedankengut zu. Die von Modellen wie dem Völkerbund oder den ersten Weltausstellungen inspirierte Cité internationale universitaire de Paris (CIUP) ist ein Kind dieses Geistes. Neben ihrer praktischen Funktion, der Beherbergung von Studenten aus der Provinz und aus dem Ausland, stand (und steht) die 1925 am südlichen Stadtrand eröffnete CIUP für Ideale wie Völkerverständigung und Friedensförderung durch Wissen und Kultur. Auf dem 37 Hektaren grossen parkähnlichen Areal finden sich 27 oft regionalistisch angehauchte Länderpavillons, darunter drei Kleinode: das Collège Néerlandais von Willem Marinus Dudok (1938), die Maison du Brésil von Le Corbusier und Lucio Costa (1959) sowie Le Corbusiers Pavillon Suisse (1933). - Der wechselvollen Entstehungsgeschichte des Pavillon Suisse hat der in den USA lehrende Ivan Zaknic soeben eine zweisprachige, reich dokumentierte und bebilderte Monographie gewidmet. Leider wurde der englische Originaltext oftmals flau und mitunter sogar ungenau übersetzt. Von diesem Schönheitsfehler abgesehen handelt es sich jedoch um eine sehr seriöse Arbeit, die das Thema unter all seinen Aspekten beleuchtet.

Symbolträchtig

Wichtige Protagonisten des Entstehungsprozesses waren der Zürcher Mathematiker Rudolf Fueter, der 1925 einen Aufruf zur Gründung eines Schweizer Hauses in der CIUP veröffentlichte und später das Kuratorium des Pavillon Suisse präsidieren sollte, sowie der Architekturtheoretiker Sigfried Giedion und der Architekt und ETH-Professor Karl Moser. Diese wollten Le Corbusier nach dessen Misserfolg im Wettbewerb für den Völkerbundspalast in Genf einen symbolträchtigen Auftrag verschaffen - was ihnen auch gelang. Mitte 1930 begann der Architekt mit der Konzeption eines auf 450 000 Franken veranschlagten Studentenheims: ein langwieriges Unternehmen. Die Pläne mussten mehrmals geändert werden, das Geld aus privaten und öffentlichen Quellen floss nur tropfenweise, die bürokratischen Prozeduren zwischen zwei Staaten, zwei Komitees (in Zürich und in Paris), der Stadt Paris, der Universität Paris sowie der CIUP waren geradezu byzantinisch.

Am 7. Juli 1933 konnte der Pavillon Suisse endlich eröffnet werden. Das auf einem 2234 Quadratmeter grossen Gelände errichtete Gebäude reflektiert die 1923 in «Vers une architecture» vorgestellten «Fünf Punkte für eine neue Architektur». Der vierstöckige rechteckige Hauptbau mit den Studentenzimmern steht, erstens, auf sechs «hundeknochenförmigen» Pfeilern aus Stahlbeton; zwischen dem Erdniveau und dem ersten Stock erstreckt sich im Freien ein vier Meter hoher «Espace habitable couvert». Das Dachgeschoss wartet, zweitens, mit vier kleinen «Gärten» auf, die freilich im Vergleich zum ursprünglich geplanten grosszügigen «Solarium» arg zurückgestutzt wurden und mit ihrem - von Le Corbusier lange verweigerten - Ausblick auf den Park auch eher Terrassen ähneln als den intendierten Klosterhöfen. Hingegen wurde, drittens, das Prinzip des freien Grundrisses ohne Abstriche verwirklicht, ruhen die einzelnen Stockwerke doch auf einer Tragstruktur, die im Innern eine freie Verteilung der Trennwände ermöglichte. Das Gleiche gilt, viertens, für das Prinzip der freien Fassade: Im Süden findet sich ein verglaster, auf den drei anderen Seiten ein mit natursteinähnlichen Betonplatten verkleideter «Mur- rideau». Endlich ist die Südfassade eine fast ideale Verkörperung des Prinzips der «Fenêtres longues», weisen die Studentenzimmer zum Park hin doch durchgängige Bandfenster auf.

An die Nordfassade schliesst ein fünfstöckiger Turm mit Aufzug und Treppenhaus an sowie ein Flachbau mit dem Büro des Direktors, der winzigen Wohnung des Hauswarts und dem «Salon courbe». Die Ostseite des Treppenturms besteht ganz aus Glasziegeln, die geschwungene Nordwand des Flachbaus aus Kalkstein. Für den «Salon courbe», wo die Studenten früher frühstückten und heute Kulturveranstaltungen organisieren, hat Le Corbusier nicht nur bunt bemalte Bänke entworfen, sondern auch ein fotografisches Wanddekor, das er 1948 durch die grandiose «Peinture du silence» ersetzte. Die Möbel in den 47 je 16 Quadratmeter grossen Studentenzimmern, die über individuelle Duschen verfügen, stammen von Charlotte Perriand. Dank ihrer durchdachten Konzeption wirken die Räume weder kalt noch klaustrophobisch.

Bei einem Rundgang erklärt der Architekt Jacques Chopinet, der seit 1976 für den Pavillon Suisse zuständig ist, was seit 1945 alles renoviert wurde - natürlich à l'identique. «Die schnell gealterte Südfassade musste 1957/58 ganz ersetzt werden. Die unteren Bänder der Verglasung wurden abgedeckt, aussen Rollos angebracht: In den Zimmern war es im Sommer oft 40 Grad heiss! 1990 bis 1993 kamen die übrigen Fassaden an die Reihe: Alle Betonpaneele wurden neu gefertigt und mit rostfreien Halterungen an der Metallstruktur befestigt. Auch innen haben wir viel verbessert, von der Asbestsanierung bis zur Einrichtung von individuellen Telefonanschlüssen und Internetzugängen.» Doch sei jeder Eingriff ein Hindernislauf, weil sowohl die Fondation Le Corbusier als auch die französische Kulturverwaltung mit Argusaugen über das Gebäude wachten. Dieses steht seit 1986 in Gänze unter Denkmalschutz und zieht jede Woche 300 bis 500 Architekten und Architekturliebhaber an.

Tango und Barockmusik

Hélène de Roche, seit 1992 Direktorin des Pavillon Suisse, lädt im «Espace habitable couvert» unter dem Hauptbau auf zwei Le-Corbusier-Sesseln zum Gespräch ein. In der morgendlichen Herbstsonne drehen Jogger ihre Runden; hinter den Tennisplätzen sieht man Autos auf dem Boulevard Périphérique dahinrasen - das Schlagen einer sechsspurigen Schneise durch den Park war 1957 einer der Geniestreiche, durch welche sich Frankreichs Stadtplaner zu jener Zeit gern verewigten. Studienanfänger werden in der CIUP nicht aufgenommen. Die meisten Bewohner, die auf den autofreien Strässchen der Miniaturstadt spazieren, sind über 25 Jahre alt. Die Hälfte der «Résidents» des Pavillon Suisse, so de Roche, komme zu gleichen Teilen aus der Deutschschweiz und aus der Romandie, die andere Hälfte werde im Rahmen von festen Austauschprogrammen innerhalb der CIUP vermittelt. «So empfangen wir jedes Jahr zwei Japaner, einen Norweger, zwei Argentinier usw. und schicken umgekehrt junge Schweizer in die entsprechenden Häuser.» Die Monatsmiete beträgt 340 Euro, was für die Eigenfinanzierung bei weitem nicht reicht. So schiesst das Bundesamt für Bildung und Wissenschaft jährlich 100 000 Franken an die Betriebskosten und weitere 300 000 Franken an den Unterhalt des Gebäudes zu.

Der Pavillon Suisse verfügt auch über ein kleines Budget für Kulturveranstaltungen, die von den Bewohnern initiiert werden: Zu diesem Zweck haben die «Résidents» 1989 einen eigenen Verein gegründet. Die Bandbreite reicht von Tangoabenden über barocke Lautenkonzerte bis zu Debatten über Psychoanalyse. Ende September hat de Roche sogar ein zweitägiges internationales Kolloquium über Le Corbusier organisiert. Für die Unterstützung durch die Schweizer Botschaft könne sie nicht dankbar genug sein, betont die Direktorin; weniger angenehm sei dagegen der stetig wachsende Papierkrieg mit der französischen Verwaltung. Nach vier Mandaten wird de Roche Ende des Monats aus dem Amt scheiden - was ihr da vom Leben und Arbeiten im Pavillon Suisse in Erinnerung bleiben mag? «Zum einen ist das Gebäude sehr hell: Bei einer schweren Erkrankung letztes Jahr hat mir Le Corbusier eine richtige Lichttherapie verpasst! Zum andern fördert die räumliche Konfiguration Kontakte und Kreativität.»

Ivan Zaknic: Le Corbusier. Pavillon Suisse. Birkhäuser-Verlag, Basel 2004. 418 S., Fr 98.-.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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