Bauwerk

Jüdisches Gemeindezentrum
Zvi Hecker - Duisburg (D) - 1999
Jüdisches Gemeindezentrum, Foto: Michael Krüger

Expressive Bauplastik

Zvi Heckers Jüdisches Gemeindezentrum in Duisburg

26. Juni 1999 - Roman Hollenstein
Jüdisches Leben blüht wieder auf in Deutschland: Dank der Einwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion wachsen die Gemeinden, und die Kultur gedeiht. Davon kündet nicht zuletzt die Baukunst, als deren Flaggschiff Daniel Libeskinds Jüdisches Museum in Berlin gilt. Neue Standards setzen aber auch zwei Sakralbauten. So soll auf den Ruinen der legendären Semper-Synagoge in Dresden nach den Plänen von Wandel, Hoefer, Lorch und Hirsch ein Gemeindezentrum mit Synagoge in Form von zwei Kuben entstehen, die einen baumbestandenen Hof fassen. Weiter ist man schon in Duisburg, wo Ende Mai auf dem städtebaulichen Entwicklungsgebiet am Innenhafen die Synagoge von Zvi Hecker feierlich geweiht werden konnte. Dieses architektonische Juwel bildet das Herzstück des neuen Jüdischen Gemeindezentrums der Städte Duisburg, Mülheim und Oberhausen im westlichen Ruhrgebiet. Heckers Projekt, vor drei Jahren siegreich aus einem internationalen Wettbewerb hervorgegangen, konnte in kürzester Zeit realisiert werden - zum einen weil es vom Schwung der Internationalen Bauausstellung «IBA Emscher Park» profitierte, zum andern weil der in wenigen Jahren von 100 auf 2000 Mitglieder angewachsenen jüdischen Einheitsgemeinde der drei Grossstädte das einstige Wohnhaus des Rabbiners in Mülheim als Synagoge längst nicht mehr genügte.

Die Vorstellung, dass Duisburg mit dem Neubau nach sechzig Jahren wieder eine Synagoge erhalten sollte, schlug sich im Projekt des in Berlin und Tel Aviv tätigen Architekten nieder, der seit dem Bau der Galinski-Schule am Rand des Grunewalds als Autorität in Deutschland gilt. Hecker bezog die Achsen seines Entwurfs gleichermassen auf historische und topographische Fixpunkte der Stadt: auf die 1938 in der «Reichskristallnacht» geschändete Synagoge an der Junkernstrasse, auf das im Krieg zerbombte mittelalterliche Zentrum, auf den Innenhafen und den Rhein. Mit viel Sinn für den Kontext leitete er die Anlage aus der verschachtelten Häuserzeile am Springwall her und steigerte sie gegen die von Dani Karavan parkartig umgestaltete Hafenlandschaft hin ganz allmählich zur expressiven Bauplastik. Diese nimmt über ihre monumentalen Betonarme den Dialog auf mit den gigantischen Mühlengebäuden am Innenhafen, die im Rahmen der IBA Emscher Park restauriert und neuen Aufgaben und Inhalten zugeführt werden.

Die im Grundriss an eine Hand erinnernde Anlage - «jad», das hebräische Wort für Hand, hat auch die Bedeutung eines Zeichens - gleicht mit ihren fünf ausgreifenden Betonteilen vom Park her gesehen einem aufgeschlagenen Buch. Symbolhaft verweist sie so auf ihren wichtigsten Inhalt: die Synagoge mit dem Schrein, in dem die Thora aufbewahrt wird. Der Handfläche im Plan entspricht der Eingangshof, zu dem man unter einem auskragenden, das Formenvokabular der Nachbarbauten zitierenden Schwebetrakt gelangt. Von diesem in sich gekehrten Ort, an dem man sich an den hohen Feiertagen unter dem neu gepflanzten Baum versammelt und wo an Sukkot die Laubhütte errichtet wird, gelangt man in das zum Grünen hin verglaste Foyer, das bald als Verlängerung des Aussenraums, bald als Erweiterung der Synagoge gelesen werden kann. Über Treppen, Brücken und Gänge verbindet diese Halle als Mittelpunkt der Promenade architecturale die einzelnen Funktionsbereiche miteinander und klärt damit die komplexe Raumanordnung.

Den grossen Betonelementen kommt aber nicht nur eine gliedernde und eine zeichenhafte Aufgabe zu. Sie halten das mit seinen weissen, schwarzen und grauen Baufiguren aus Beton, Glas und Stahl ganz ähnlich wie die Galinski- Schule als eine Art Dorf konzipierte Gebäude zusammen. Doch anders als der spiralförmig-dynamisch inszenierten Schule gibt Hecker dem Duisburger Gemeindezentrum eine geometrische Ordnung, die - fast wie in seinem strukturalistisch beeinflussten Frühwerk - die unterschiedlichen Teilbereiche (Synagoge, Schule, Verwaltungsräume, Mehrzwecksaal, Küche und Rabbinerwohnung) klar gliedert.

Das wie eine gebaute Landschaft respektvoll in den alten Baumbestand eingefügte Gemeindezentrum besitzt seiner plastischen Gestalt entsprechend keine eigentliche Hauptfassade. Dafür überrascht es mit wechselnden Durch- und Einblicken. Hier kann man nicht nur ungehindert ins Foyer und in den Mehrzwecksaal, sondern durch ein vitrinenartiges Fenster sogar ins Innere der Synagoge schauen: Sieht man von der Frauenempore ab, so erinnert vieles eher an ein christliches denn an ein jüdische Gotteshaus: etwa die segmentförmig angeordneten Bänke oder die Kombination von Thoraschrein und Bima auf einem Podest. Die Auskleidung einzelner Partien mit Jerusalemer Stein thematisiert jedoch die alte Sehnsucht der Juden in der Diaspora; und das Oberlicht erlaubt dem Psalm gemäss ein Flehen aus der Tiefe. Dass dieses von einer hervorragenden Akustik getragen wird, erlebt man spätestens dann, wenn der als Kantor und Kenner synagogaler Musik bekannte Duisburger Rabbiner Sandor Polnauer Proben seines Könnens gibt.

Dem Künstlerarchitekten Hecker, der bereits vor 30 Jahren im Sinai eine Synagoge baute, ist in Duisburg ein weiterer bedeutender Beitrag zur jüdischen Sakralarchitektur gelungen, aber auch ein Gebäude, in dem Kunst, Architektur und Natur ausdrucksstark zusammenklingen. Damit erhält das um ein zukunftsorientiertes Image bemühte Duisburg erstmals seit dem Wilhelm- Lehmbruck-Museum im Kant-Park eine Architektur von Rang, die zusammen mit der jüngst von Herzog & de Meuron für die Sammlung Grothe umgebauten Küppersmühle von kultureller Aufbruchstimmung am Zusammenfluss von Rhein und Ruhr kündet.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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