Bauwerk

Besucher- und Pressezentrum des Österreichischen Parlaments
Geiswinkler & Geiswinkler - Wien (A) - 2005

Quickness statt Speed

Selbstverständliches braucht oft länger, als man glaubt. Aus Anlass der 50-Jahr-Feier des Staatsvertrags bekam das Wiener Parlament einen neuen Eingang. Dort, wo er hingehört. Ein Himmelfahrtskommando, bravourös bewältigt.

17. Dezember 2005 - Christian Kühn
In seinen „Memos für das kom mende Jahrtausend“ hat Italo Calvino vor 20 Jahren drei Leitbe griffe für die Kunst des 21. Jahrhunderts formuliert: Leichtigkeit, Schnelligkeit und Exaktheit. Zwei dieser Begriffe, Leichtigkeit und Exaktheit, hatten in der Architektur der Moderne immer schon einen guten Ruf. Für den dritten, die Schnelligkeit, gilt das nicht. Er klingt in der Architektur nach der erstbesten Lösung, im schlimmsten Fall nach Pfusch. Schnelligkeit ist allerdings ein vieldeutiger Begriff. Calvino spricht im englischen Original - die Memos waren als Vorlesung an einer amerikanischen Universität konzipiert - nicht von „Speed“, sondern von „Quickness“. Nicht die Steigerung der Reisegeschwindigkeit sei das Merkmal für die Kunst des 21. Jahrhunderts, sondern ein hohes Reaktionsvermögen, um blitzschnell die scheinbar unmöglichsten Wendungen auszuführen und plötzliche Widerstände kreativ zu verwerteten.

An der Geschichte, wie das Wiener Parlament zu seinem neuen Eingang kam, hätte Calvino jedenfalls seine reinste Freude. Sie beginnt mit einem Bauschaden: Der Pallas-Athene-Brunnen, das Wahrzeichen des Parlaments zur Ringstraßenseite, war schon seit Jahren undicht und hatte die Fundamente der beiden symmetrisch hinaufführenden Rampen so weit durchfeuchtet, dass deren Generalsanierung notwendig wurde. Zugleich sollte die Lüftungsanlage für das Parlament, die in den Gewölben unter der Rampe und dem Säulenportikus untergebracht war, erneuert werden.

Der Portikus hatte zur Errichtungszeit des Parlaments, als man hier mit Pferdewagen vorfuhr, noch als Haupteingang gedient. Für den Winter gab es einen zweiten, so genannten Schlechtwettereingang, eine Durchfahrt auf Straßenniveau unter dem Portikus, die es den Fahrgästen erlaubte, im Gebäudeinneren auszusteigen und über ein Vestibül und zwei nach oben führende Treppen in die Eingangshalle zu gelangen. Diese Eingänge waren aber schon seit langem so gut wie stillgelegt. Parlamentarier benutzten Seiteneingänge ins Parlament, die zumindest halboffiziell bestimmten Parteien zugeordnet waren. Die Rampensanierung bot die Möglichkeit, den alten Schlechtwettereingang zu reaktivieren und damit einen gemeinsamen Zugang ins Parlament zu schaffen.

Im Jahr 2002 wurde ein erster Wettbewerb für die Sanierung ausgelobt, den der Architekt Herbert Beier mit der Idee gewann, die Lüftungsanlage abzusiedeln und dadurch unter der Rampe mehr Platz für zusätzliche Nutzungen zu schaffen. Der Vorschlag von Manfred Wehdorn, hinter dem Brunnen einen direkt auf die Ringstraße gerichteten zentralen Eingang anstelle des für die Öffentlichkeit praktisch unsichtbaren Schlechtwettereingangs zu schaffen, kam zwar in die engere Wahl. Mit dem absehbaren Widerstand des Denkmalamts wollte man die Sanierung aber dann doch nicht belasten - immerhin sollte der neue Eingang pünktlich zum 50-jährigen Jubiläum der Staatsvertrags-Unterzeichnung fertig sein.

In der Folge entwickelte das Projekt eine beachtliche Eigendynamik. Die Fundamente für die Rampen mussten tiefer gelegt werden, neue nutzbare Räume entstanden. Zu den geplanten Funktionen - Eingang, Garderoben für Besuchergruppen und multimediale Informationswände - kamen ein neuer Tiefspeicher für die Bibliothek des Hauses, ein Raum für Vorträge und Pressekonferenzen sowie neue Studios des ORF. Aus der bautechnischen Sanierung wurde so ein umfangreiches architektonisches Projekt mit beachtlicher symbolischer Bedeutung für das Parlament.

Mitten im laufenden Baubetrieb beschloss der Bauherr im Sommer 2004, einen weiteren Wettbewerb für die architektonische Ausgestaltung des Projekts auszuloben, da die von Herbert Beier inzwischen entwickelte Lösung zwar technisch entsprach, ästhetisch aber zu wünschen übrig ließ. Um den Betrieb nicht aufzuhalten, war zuerst nur an einen Wettbewerb für Möblierung, Licht und Material gedacht. Die Architektenkammer konnte aber erreichen, dass auch bauliche Veränderungen zulässig waren. Knapp sechs Wochen hatten die Projektanten Zeit, Lösungen zu entwickeln, während auf der Baustelle bereits die Fundamente betoniert wurden.

Das Siegerprojekt von Kinayeh und Markus Geiswinkler punktete mit einer klaren Organisation und dramatischen vertikalen Durchblicken, die den Weg vom Foyer in den Vortragssaal zwei Stockwerke tiefer zu einem Erlebnis machen. Zu diesem Zeitpunkt blieb gerade noch ein Jahr bis zur Eröffnung. Mitten in einem laufenden Bauprojekt Umplanungen vorzunehmen, noch dazu angesichts eines staatstragenden Fertigstellungstermins, ist ein Himmelfahrtskommando, das in diesem Fall bravourös bewältigt wurde. Nicht alle Leistungen sind dabei so sichtbar wie die präzise detaillierten Übergänge zwischen Alt und Neu oder die raffinierte Belichtung, die von Bartenbach Lichttechnik konzipiert wurde. Genauso wichtig ist das, was unsichtbar bleibt: die Lüftung, die so umgeplant werden konnte, dass sie den vertikalen Raumeindruck nicht mehr stört, oder die statischen Kunstgriffe, mit denen im Vortragsraum eine Nische geschaffen wurde, die dem Raum erst die richtige Proportion gibt.

In einer letzten plötzlichen Wendung setzte sich schließlich doch noch der zentrale Eingang durch, der schon im ersten Wettbewerb vorgeschlagen worden war. Gegen die Logik, das Hohe Haus an der sinnfälligsten Stelle betreten zu dürfen, konnte sich selbst das Denkmalamt nicht auf Dauer sperren. Die Geiswinklers haben dafür eine raffinierte Lösung mit vertikalen Falttoren aus Edelstahl entwickelt, die im offenen Zustand ein Vordach und im geschlossenen Zustand eine ruhige Fläche bilden. Den Gestaltungsvorschlag, den die Architekten für die Umgebung des Brunnens gemacht hatten - zwei Natursteinschwellen, die trapezförmig auf den Eingang hinführen -, lehnte das Denkmalamt dagegen ab. Den positiven Gesamteindruck kann das freilich nicht trüben. Die plötzlichen Wendungen haben dem Projekt genützt, weil alle Beteiligten die Krisen als Chance erkannt haben, etwas Außergewöhnliches zu erreichen. Einzig dass es im Land der großen Söhnetöchter aufgrund des Zeitdrucks nicht mehr möglich war, die bildende Kunst stärker in das Projekt einzubeziehen, ist schade. Aber daran lässt sich ja noch arbeiten.

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