Bauwerk

Viadukt Millau
Michel Virlogeux - Millau (F) - 2004

Schrägseilbrücke

9. Juni 2006 - René Walther
Der Viadukt von Millau, der auf einer Länge von 2400 Metern und in einer Höhe von bis zu 260 Metern das tief eingeschnittene Tal
des Tarn überquert, hat weltweit große Beachtung gefunden. Im Vorfeld der Planung waren allerdings seitens der Anwohner und des Landschaftsschutzes Befürchtungen geäußert worden, ein derart gigantisches Bauwerk, mit Pylon-Pfeilern höher als der Eiffelturm durch das Tal zu führen. Die mit der Planung beauftragte SETRA, das Ingenieurbüro des französischen Verkehrsministeriums, prüfte dazu mehrere Alternativen. Eine eigens für dieses Projekt konstituierte, internationale Expertenkommission kam zu dem Schluss, dass eine hohe Talbrücke die zweckmäßigste Lösung darstelle. Hierfür hatte die SETRA bereits unter Leitung von Michel Virlogeux das Konzept für eine mehrfeldrige Schrägseilbrücke ausgearbeitet, das weitgehend dem später ausgeführten Bauwerk entsprach.

Der Gedanke, das bedeutendste Brückenbauwerk der Grande Nation lediglich aufgrund eines Behördenentwurfes zur Submission freizugeben, stieß bei Politikern und Architekten auf großen Widerstand, die vehement nach einem Wettbewerb verlangten. Diesem Wunsch wurde stattgegeben, wobei die Behörden jedoch eine besondere, bisher noch nie durchgeführte Form eines Wettbewerbs wählten. Fünf namhafte Architekten wurden gegen eine angemessene Aufwandsentschädigung beauftragt, ein ihnen bindend vorgeschriebenes, von den Veranstaltern als denkbar erachtetes Brückensystem auszuarbeiten. Hierbei überzeugte der von Lord Norman Foster in enger Anlehnung an Virlogeux’ Konzept ausgestaltete Entwurf der Schrägseilbrücke. Da dieser zwischenzeitlich die SETRA verlassen hatte, durfte er als ehemalig beamteter Initiator offiziell nicht mit als Projektverfasser auftreten.

Für die öffentliche Ausschreibung wurde sowohl eine Variante mit Versteifungsträgern aus Beton als auch eine solche in Stahl ausgearbeitet, die beide in ihrer äußeren Form praktisch identisch waren. Da ein Deck aus Stahl rund viermal leichter aber auch etwa viermal teurer ist als eines aus Beton, andererseits aber entsprechend weniger kostenintensive Schrägseile benötigt, waren beide Lösungen, was die reinen Gestehungskosten betraf, etwa gleichwertig. Normalerweise werden Schrägseilbrücken von den Pylonen aus im freien Vorbau erstellt. Das hätte in diesem Fall aber zu beträchtlichen Problemen geführt, denn eine mehrfeldrige Brücke auf sehr hohen und möglichst schlanken Pfeilern erhält ihre erforderliche Stabilität erst, wenn die Felder kontinuierlich geschlossen sind.

Im Bauzustand hätten die auf jeder Seite bis zu 170 Meter weiten Auskragungen durch Abspannseile gegen Windkräfte stabilisiert werden müssen, was ein riskantes Unterfangen gewesen wäre. Das bauausführende Unternehmen schlug daher vor, die Brücke im Taktschiebeverfahren zu erstellen, was in dieser Form und Größe zuvor noch nie erprobt worden war.

Die in jeder Hinsicht gelungene Realisierung dieses imposanten Bauwerks ist zweifellos ein technisches Meisterwerk erster Güte und auch ein Beispiel dafür, was erreicht werden kann, wenn Ingenieure und Architekten gegenseitig befruchtend zusammenarbeiten. Trotz der notwendigerweise sehr großen Abmessungen der Pfeiler wirken diese aufgrund ihrer Querschnittsform schlank und elegant. Deshalb sind mittlerweile die kritischen Stimmen, die vor dem vermeintlichen Gigantismus gewarnt hatten, auch weitgehend verstummt und die anfänglich zum Teil skeptischen Anwohner blicken heute mit Stolz auf das neue Wahrzeichen ihrer Region. (Gekürzte Fassung)

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

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