Bauwerk

Wohnbau Hegianwandweg
EM2N | Mathias Müller | Daniel Niggli - Zürich (CH) - 2003

Kantonales Brandschutz-Pilotprojekt

Zürich ist nicht bekannt für seine Holzbauten. Das wollen die Behören ändern und haben deshalb die Siedlung Hegianwandweg zum Pilotprojekt erklärt und damit die erste vier- bzw. fünfgeschossige Holzbausiedlung auf Stadtgebiet ermöglicht. Gelungen ist das Projekt dank eines frühzeitigen und intensiven Planerpingpongs zwischen Holzbauingenieuren, Architekten, Haustechnikplanern und Behörden.

15. Juni 2004 - Roderick Hönig
Hegianwandweg klingt nach herausgeputzen Vorgärten, braun geteerten Gartenzäunen, putzigen Reiheneinfamilienhäuser und strammen Pflanzgartenkommissionen. Und so ist es auch am Hegianwandweg in Zürich. Doch seit der Fertigstellung der Genossenschaftssiedlung von EM2N Architekten nicht mehr nur. Ein frischer Wind weht durchs Quartier. Nur elf Tramminuten vom weltberühmten Paradeplatz entfernt, haben die Architekten Mathias Müller und Daniel Niggli fünf Mehrfamilienhäuser aus Holz gebaut. Die Siedlung ist ein Pilotprojekt der Kantonalen Feuerpolizei Zürich, denn bis anhin gab es im Kanton keinen Holzbau in diesen Dimensionen.

Feuerpolizei als Partner
Schon früh banden die beiden Holzbauingenieure Pirmin Jung aus Rain sowie der Brandschutzspezialist Reinhard Wiederkehr aus Beinwil am See die Behörden ein und überzeugten Jürg O. Neeracher, den Leiter der Kantonalen Feuerpolizei Zürich, vom Projekt. Die Siedlung bot sich als Prüfstein für die damals geplante Überarbeitung der Brandschutzvorschriften geradezu an. Neeracher wurde der Dritte im Bunde und erklärte das Bauvorhaben zum kantonalen Brandschutz-Pilotprojekt. Wiederkehrs Brandschutz-Konzept wurde durch die Kantonale Feuerpolizei bewilligt.

Massivbau oder Mischbauweise
Beim Holzbausystem standen Massivbau und Mischbauweise, also Holzkonstruktion mit aussteifenden Betonkernen, zur Wahl. Die Architekten planten mit den Spezialisten je ein Haus im jeweiligen System bis ins Detail. Das Ergebnis: Die Mischbauweise überzeugt gegenüber der Massivbauweise vor allem durch eine bessere Ökobilanz, einen tieferen Wärmedurchgangskoeffizienten, kleinere Lasten und größere Flexibilität in der Grundrissgestaltung. Außerdem sprachen kurze Bau- und Austrocknungszeiten dafür. Dagegen standen die höheren Kosten: Sie überstiegen den Massivbau um rund 3,8 Prozent, doch für die Bauherrschaft überwogen die Vorteile des Mischbaus.

Brettstapel und Rahmenbau
Für die Deckenkonstruktion verglichen sie Brettstapel, Holzbetonverbund, Hohlkasten sowie einfache Balkenlage miteinander. Die Brettstapeldecke überzeugte am meisten, weil damit am vielseitigsten und kostengünstigsten auf die gestellten Anforderungen reagiert werden konnte. In Kombination mit dem Trockenanhydritunterlagsboden und der abgehängten Gipskartonverkleidung verhält sie sich trittschalltechnisch optimal. Mit den daraus hervorstoßenden Balken konnten die weit auskragenden Balkone einfach realisiert werden. Das Wandsystem ist ein speziell angepasster Rahmenbau. Er ist problemlos mit der Brettstapeldecke kombinierbar und nutzt die Ressourcen effizient: Wo Lasten anfallen, sind die Pfosten massiv und verlaufen über alle Geschosse hindurch, wo nur wenig Kräfte in den Boden abgeleitet werden, sind die Wände gedämmt und mit Gipsfaserplatten beplankt. Die einzelnen Elemente können ohne Spezialmaschinen hergestellt und einfach montiert werden.

Logistik im Mischbau
Zuerst wurde die Tiefgarage in den Hang gebaut. Aus der flachen Betonschachtel wuchsen bald fünf Betonkerne. Darin liegen Entree, Liftschacht und Treppenhaus sowie die Bäder. Baumeister vor Ort überprüften regelmäßig Plan und Realität der Baustelle, um Abweichungen auf ein Minimum zu reduzieren. Die Wand- und Bodenelemente wurden im Winter in Gehdistanz zur Baustelle vorgefertigt. Im darauf folgenden Frühling haben Lastwagen alle Elemente auf die Baustelle transportiert. Die Transportwege blieben kurz und damit die Ökobilanz positiv. Die Montage dauerte pro Haus nur rund zwei Wochen.

Ständerkonstruktion mit Vorsatzschale
Die Wandelemente sind bis zu 14 Meter lang und drei Meter hoch. Sie bestehen im Kern aus einer 18 Zentimeter breiten Ständerkonstruktion, die beidseitig mit Gipsfaserplatten verkleidet ist. Auf der Baustelle haben die Arbeiter die Elementstöße statisch verbunden und luftdicht abgeklebt. Dann wurden die Sanitär- und Elektroleitungen verlegt. Erst zum Schluss haben die Gipser die Wandinnenseiten mit einer zweiten Mineralfaserschicht und einer Gipsvorsatzschale verkleidet. Mit dieser Zusatzschale konnten die Fachingenieure auf die Planung der Elektroleitungen verzichten und die Installateure wie gewohnt arbeiten.

Brettstapel-Deckenbalken
Nicht hohl wie die Wandelemente, sondern durch und durch massiv sind die Deckenplatten: Sie bestehen im Kern aus einem 20 Zentimeter starken Fichtenholz-Brettstapel. Darauf liegt ein feucht eingebrachter Trockenanhydritunterlagsboden. Mit dieser Konstruktion wird das beste Verhältnis betreffend Masse, Querlastverteilung und Kosten erreicht.

Das gewählte System muss auch bezüglich Schallschutz den Vergleich mit einem herkömmlichen nicht scheuen. Zuletzt wurden die Zimmertrennwände eingezogen: Es sind dünne Leichtbauwände zwischen Decke und Boden. Weil alle Lasten entweder über die Außenwände oder den Betonkern abgetragen werden, können sie frei im Raum verteilt werden.

Brandschutzkonzept Hegianwandweg

* Fluchttreppenhäuser in nichtbrennbarer F 60-Bauweise
* Garage und Untergeschosse in nichtbrennbarer F 60-Bauweise
* Tragende und brandabschnittsbildende Bauteile (pro Wohnung) in Holzbauweise mit 60 Minuten Feuerwiderstand
* Nichttragende Außenwandverkleidung in Holzbauweise F30bb (F30 brennbar)
* Außenwandverkleidung grundsätzlich nichtbrennbar; im Bereich der Balkone Holz möglich, wenn Balkonuntersicht nichtbrennbar verkleidet
* Optimale Zufahrt für die Feuerwehr
* Ausreichende Löschversorgung und optimale Hydrantenstandorte
* Blitzschutzanlage für jedes Gebäude
* Haustechnikanlagen gemäß Brandschutzvorschriften

Neue Brandschutzvorschriften in der Schweiz
Bei der Bauteilklassierung wird dieses Jahr die europäische Klassierung nach den Kriterien Tragfähigkeit (R), Raumabschluss (E) und Wärmedämmung (I) auch in der Schweiz eingeführt. Holz-Außenwandverkleidungen sind deshalb neu auch bei mehr als dreigeschossigen Bauten (ohne Hochhäuser) mit entsprechenden Maßnahmen (z.B. Begrenzung der Holzflächen, Sprinklervollschutz, Maßnahmen im Hinterlüftungsbereich, Schürzen usw.) möglich. Daraus ergeben sich zwei Standardkonzepte für Holzbau in der Schweiz:

1. Brandschutz mit vorwiegend baulichen Maßnahmen
Für tragende und/oder brandabschnittsbildende Bauteile für Wohn-, Büro- und Schulbauten gilt:
* Eingeschossige Gebäude: R0/EI30 Holzbau
* Gebäude bis 3 Geschosse: R30/EI30 Holzbau
* Gebäude bis 4 Geschosse: R60/EI60 Holzbau
* Gebäude bis 6 Geschosse: R60/EI60 Holzbau mit nichtbrennbarer EI30 Verkleidung
* Gebäude über 6 Geschosse: nicht brennbare Bauweise, dh. kein Holzbau

2. Brandschutz mit vorwiegend technischen Maßnahmen
Wird in einem Gebäude in Holzbauweise eine Sprinkleranlage installiert, kann der oben festgehaltene Feuerwiderstand für tragende und / oder brandabschnittsbildende Holzbauteile auf bis zu 30 Minuten reduziert werden.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: zuschnitt

Ansprechpartner:in für diese Seite: Kurt Zweifelzweifel[at]proholz.at