Bauwerk

Forum 3
Diener & Diener Architekten, Gerold Wiederin, Helmut Federle - Basel (CH) - 2005
Forum 3, Foto: Hans Ege
Forum 3, Foto: Hans Ege

Die Fassade als Aquarell

Roger Dieners faszinierendes Tor zum Novartis-Campus in Basel

Am westlichen Rheinufer in Basel Nord realisiert der Chemieriese Novartis einen Forschungscampus. Als erster Neubau konnte nun das Verwaltungshaus von Diener & Diener vollendet werden, dessen von Helmut Federle gestaltete Glashülle fast schon sakral wirkt. Diesem Meisterwerk widmet das Architekturmuseum eine sehenswerte Schau.

14. Juni 2005 - Lutz Windhöfel
Das Ende liegt im Dunkeln. Warum die Menschen im Jahr 50 v. Chr. einen Ort verliessen, den die Archäologen als «eine der ersten grossen stadtähnlichen Siedlungen nördlich der Alpen» bezeichnen, bleibt ein Rätsel. Rund 30 Kilometer östlich der namenlosen Keltenstadt am Oberrhein gründeten die Römer 44 v. Chr. Augusta Raurica. Damals begann auch die Geschichte Basels. Mehr als 1800 Jahre später wurde vor den gerade geschliffenen Mauern im Westen der Stadt das Firmengelände des Chemieunternehmens Sandoz bebaut. Als man 1911 neben der Sandoz eine Gasfabrik realisieren wollte, stiess man auf die 2000 Jahre alte Keltenstadt, dank der man die Stadtchronologie um rund 100 Jahre vordatieren konnte.

1996 fusionierte der Sandoz-Konzern auf der linken Rheinseite mit der rechtsrheinischen Ciba zum Chemiegiganten Novartis. Zwei Jahre zuvor hatte man mit dem Bau der Nordtangente begonnen. Diese 3,18 Kilometer lange Stadtautobahn ist die - unterirdisch geführte - Verbindung zwischen den französischen und deutschen Schnellstrassen. Während der Planungszeit wurde das Bauwerk nicht zuletzt deshalb zu einem Politikum, weil viele Basler in ihm ein «urbanistisch- zerstörerisches, typisch kapitalistisches» Unternehmen sahen. Gewiss, das urbanistische Megaprojekt der Basler Nordtangente kann man als «typisch kapitalistisch» bezeichnen. Aber es ist alles andere als «urbanistisch-zerstörerisch». Obwohl die unterirdische Stadtautobahn erst in zwei Jahren ganz vollendet sein wird, ist sie schon jetzt eine Wohltat für die Stadt. Die Quartiere, die wegen des Durchgangsverkehrs zu verkommen drohten, blühen plötzlich auf. Kleine Park- und Grünanlagen werden gerade eingerichtet, Alleen gepflanzt.

Ein Campus am Volta-Boulevard

Der rechtsrheinische Teil der Nordtangente wurde mit der neuen, doppelstöckigen Rheinbrücke im vergangenen Jahr fertiggestellt und beschäftigt gerade die Landschaftsplaner. Auf der linken Seite des Rheins herrscht hingegen noch städtebauliche Gründerzeit. Hier stehen öffentlichrechtliches Projektieren und Bauen mit privatwirtschaftlicher Zukunftsplanung im Dialog. Die Voltastrasse, wie die oberirdische Fahrspur der Nordtangente hier heisst, wird von der kantonalen Strassenplanung bis ins Jahr 2009 in einen repräsentativen Boulevard verwandelt, der im Chaos der heutigen Baustelle nur erahnbar ist. Am Ende der insgesamt 1,7 Kilometer langen Strassenachse liegt der Bahnhof St. Johann. Zwei kreisrunde Plätze (Lothringerplatz und Vogesenplatz) sind in Planung, wobei der Wettbewerb für den Vogesenplatz im September entschieden wird. Für das grosse Novartis-Grundstück nördlich der Voltastrasse am Rhein gab Daniel Vasella 2001 bei Vittorio Lampugnani den Masterplan für eine Life-Sciences-City in Auftrag.

Der Professor für Städtebaugeschichte an der ETH Zürich legte ein Grundrissgitter über die bisherige Firmenstadt, in der die Architektur lange Zeit nach pragmatischem Bedarf und im luftigen Gewand des Zeitgeistes realisiert wurde. Lampugnanis Masterplan beruft sich auf altgriechische Vorbilder in Kleinasien (insbesondere Milet), Sizilien und Kalabrien. Dieses antike Strassenraster mit leicht lesbarem orthogonalem Grundriss, einladenden Strassenräumen und normierten Gebäudehöhen erlebte seine letzte Blüte im Europa des 19. Jahrhunderts, als man die noch mittelalterlich geprägten Städte öffnete und grosszügig erweiterte.

Den Architekten, die nun einzelne Bauten in der neuen, additiven Firmenstadt des Novartis- Campus realisieren werden, wird vom Plan eine Arkade im Parterre (zumindest an den Hauptachsen) zur Vorschrift gemacht - allerdings nicht im Stil der Zähringerstädte Bern und Thun, sondern nach dem Vorbild von Turin und Bologna. Der Mailänder Lampugnani importiert hier eine norditalienische Urbanität an den Oberrhein, wie sie Aldo Rossi mit seinen Wohnbauten in Gallatarese (1969-73) in die jüngere Architekturgeschichte einschrieb. - Den Auftakt des Novartis-Campus macht nun das meisterhafte Forum-3-Gebäude des international tätigen Basler Architekturbüros Diener & Diener - ein schlanker Gebäuderiegel, der eine Art Novartis-Visitenkarte an der Voltastrasse werden könnte. Als dessen Pendant (auf der anderen Seite der Fabrikstrasse) soll bald eine analoge Kubatur des japanischen Architektenduos Sanaa (Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa) entstehen. Roger Diener, so scheint es, wurde bei der Planung von seinem im Herbst in die Realisierungsphase gehenden Projekt eines Anbaus für die Galleria Nazionale d'Arte Moderna in Rom atmosphärisch inspiriert. Der fünfgeschossige Verwaltungs- und Repräsentationsbau des Chemiemultis hat seine Arkade auf der Seite des campusinternen Platzes in Form einer eleganten stützenfreien Auskragung in der ganzen Gebäudelänge von 85 Metern. Wenn die archäologische Bodenforschung beendet ist, soll der Platz mit Wasserbecken und Birkenwäldchen gestaltet werden.

Der schwebende, fast immaterielle Ausdruck, den das neue Haus ausstrahlt, entsteht durch eine hochkomplexe Glasfassade, die der Schweizer Maler Helmut Federle mit dem österreichischen Architekten Gerold Wiederin entwarf und installierte. In der Fernsicht und bei klarem Sommerhimmel ist das Fassadenbild eine strenge, aber sinnliche geometrische Abstraktion. Im diffusen Licht eines spätherbstlichen Tages werden die Farbfelder, die sich häufig überlappen und dann Mischtöne erzeugen, wohl an Aquarelle Paul Klees aus den späten Bauhaus-Jahren erinnern. Die Aussenfassade besteht aus 1200 asymmetrisch an vertikalen Stangen montierten Glastafeln, die in 21 Farben und mit 25 Formaten eine Fläche von 4300 Quadratmetern bedecken. Aufgeklappt würde das Glaswerk zu einem Monumentalformat von 22 Metern Höhe und 214 Metern Breite. Damit dürfte sich nun das grösste Kunstwerk der Schweiz in Basel befinden. - Die insgesamt fünf Geschossebenen des Neubaus haben Diener & Diener wie bei einem Sandwich aufeinander gelegt und an zwei Erschliessungskerne gehängt. Hinter der Gebäudehülle befinden sich balkonartige Laubengänge, die das Fassadenbild für die Angestellten zur begehbaren Plastik machen. An der südlichen Stirnseite haben Vogt Landschaftsarchitekten über vier Geschosse einen urwaldartigen Wintergarten mit grossen Ficus- Bäumen und Blütenpflanzen aus Thailand angeschoben. Eine oval-geschwungene, skulpturale Nussbaumtreppe verbindet die vier Büroebenen des Hauses, die von Sevil Peach aus London als Arbeitslandschaft des «telematischen» Zeitalters gestaltet wurden. Büromöbel von Charles und Ray Eames haben es der Designerin besonders angetan. Auch sonst hat Novartis bei diesem Vorzeigebau in Sachen Materialien und Ausstattung nicht gespart. Schwarzer griechischer Marmor bedeckt den Boden des vier Meter hohen Eingangsbereichs. Die «Pausenkantine» erweist sich als eine Art Lounge mit wenig bekannten Rietveld- Ledersesseln von zeitloser Eleganz. Zur platzseitigen Arkade hin kann das Parterre durch bodenlange Schiebetüren geöffnet und so nach aussen vergrössert werden.
Eine Ausstellung

Das Architekturmuseum Basel nutzt den baulichen Auftakt des Novartis-Campus, der im kommenden Jahr schon wieder mit zwei neuen Häusern (von Peter Märkli aus Zürich und Adolf Krischanitz aus Wien) aufwarten wird, zu einer ebenso sinnlichen wie informativen Ausstellung. In den vier Sälen des spätklassizistischen Hauses am Steinenberg präsentieren Ulrike Jehle und Isabel Halene ein Gesamtmodell des Campus sowie Pläne, Fotos, Modelle und Baumaterialien des Neubaus von Diener & Diener. Ein Computer- Terminal und ein Büchertisch machen mit Bauten des Basler Büros in Berlin, Paris, Amsterdam, Biel und Luzern bekannt. Linearität, Klarheit, Verständlichkeit und Sorgfalt - die abstrakten begrifflichen Koordinaten der Architektur von Diener & Diener - werden hier anschaulich sichtbar. Das Ende der alten Basler Keltenstadt mag im Dunkel liegen. Der stolze Anfang des neuen Campus (www.novartis.ch), der am gleichen Ort entsteht, ist nicht mehr zu übersehen.

[ Bis 14. August im Architekturmuseum Basel. Am 25. Juni findet im Museum die Vernissage zum Ausstellungsbuch «Novartis-Campus - Forum 3. Diener, Federle, Wiederin» statt. An diesem Tag werden auch Gruppenbesuche des Neubaus nach Voranmeldung (am@architekturmuseum.ch) angeboten. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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Hans Ege