Bauwerk

Travel Europe Reiseveranstaltung
Oskar Leo Kaufmann, Albert Rüf - Stans (A) - 2004

Alle auf einen Blick

Hier das T-Center in Wien, ein Raumgedicht, übersetzt in die harte Prosa des Büroalltags. Dort ein Bürogebäude im Tiroler Stans, mit einem Innenraum, der einer Landschaft gleicht. Was sie gemeinsam haben: Sie teilen sich den Staatspreis für Architektur.

9. Juli 2006 - Christian Kühn
Unterschiedlicher könnten die bei den Projekte kaum sein, die sich heuer den Staatspreis für Architektur teilen: Das T-Center in Wien St. Marx, Sitz der Großunternehmen T-Mobile und T-Systems, geplant vom Architektenteam Domenig/Eisenköck/Peyker, und das Verwaltungsgebäude des Reiseveranstalters Travel Europe in der kleinen Tiroler Gemeinde Stans, geplant von den Vorarlberger Architekten Oskar Leo Kaufmann und Albert Rüf. Auf der einen Seite eines der größten Bürogebäude Österreichs mit einer Länge von über 250 Metern und einer Nutzfläche von rund 120.000 Quadratmetern, eine monumentale Skulptur, die eine Höhe von 60 Metern erreicht. Auf der anderen Seite ein eingeschoßiges, ruhiges Gebäude für 120 Mitarbeiter, das auf schlanken Stahlstützen ganz selbstverständlich über dem Gelände zu schweben scheint.

Das T-Center muss an dieser Stelle nicht lange vorgestellt werden: Es ist das Produkt einer höchst individuellen Architektursprache, eine Übertragung von Günther Domenigs Steinhaus vom Ossiacher See nach Simmering, vom empfindsamen Raumgedicht in die harte Prosa des Büroalltags. Die Ausnüchterung hat dieser Sprache durchaus nicht geschadet. Was an Poesie verloren geht, macht das Projekt durch Dimension und Dramatik mehr als wett. Sicher: Es gibt gemütlichere Bürohäuser, in denen sich besser Sonntagsreden darüber halten lassen, dass der Mensch im Mittelpunkt stünde. Hier ist es das System. Menschen sind in dieser Umgebung auf der Durchreise, vielleicht in die Chefetage, vielleicht zum nächsten Job. Den Architekten ist es geglückt, diesen Bedingungen nicht mit einem neutralen, im besten Fall adrett eingekleideten Hochhaus zu begegnen, sondern mit einem einzigartigen Baukörper, einigen der stärksten Innenräume Wiens und mit einer trotz aller Monumentalität sensiblen Anbindung ans lokale Umfeld mit seinen denkmalgeschützten Markthallen.

Ganz andere Bedingungen haben das Gebäude von Travel Europe in Stans geformt. Es symbolisiert einen Wendepunkt in der Geschichte eines mittelständischen Unternehmens. Noch unter dem Namen „Tirol Hotels“ hatte Travel Europe vor 20 Jahren mit der Vermittlung von Reisen nach Tirol begonnen. Innerhalb weniger Jahre gelang es den Firmeneignern, den Brüdern Anton und Helmut Gschwentner, die Aktivitäten des Unternehmens auf ganz Österreich und in der Folge auch auf die Nachbarländer, allen voran Tschechien und Ungarn, auszudehnen. Inzwischen bietet Travel Europe Reisepakete in ganz Mittel- und Osteuropa sowie in Südosteuropa an und verfügt außer der Zentrale in Stans über acht weitere Büros in verschiedenen europäischen Ländern. Die neue Firmenzentrale sollte diesen Aufbruch auch räumlich vermitteln, nicht zuletzt an die Mitarbeiter. Deren Geschäftspartner - zum überwiegenden Teil andere Reiseveranstalter, denen Travel Europe komplette Pakete von Fernreisen zum Weiterverkauf anbietet - sind in europäischen Großstädten angesiedelt. Um mit diesen Kunden auf einer Augenhöhe verhandeln zu können, sollte die Atmosphäre der neuen Firmenzentrale den neuesten Bürostandards in Paris oder Hamburg entsprechen, eingebettet allerdings in eine Erholungslandschaft, von der man in der Großstadt nur träumen kann.

Die Brüder Gschwendtner entschieden sich für einen Architekturwettbewerb mit einer kleinen Zahl von geladenen Büros. Bei der Auswahl der Büros und der Fachpreisrichter in der Jury ließen sie sich vom Architekten Andreas Orgler beraten, besichtigten aber auch selbst Referenzprojekte, unter anderem das Gebäude der „Montfort Werbung“ in Klaus in Vorarlberg von Oskar Leo Kaufmann. Im Wettbewerb, zu dem sechs Architekten geladen waren, setzte sich Kaufmann mit einem Entwurf durch, der die Ideen dieses Referenzprojekts weiterführt. Alle Büroräume liegen auf einer Ebene, darunter ein offenes Parkgeschoß für die PKWs der Mitarbeiter, darüber ein Dachgarten als Erholungszone. Der annähernd quadratische Grundriss von rund 50 mal 40 Metern ist von drei Lichthöfen durchbrochen,

Was auf den ersten Blick wie ein neutraler Großraum aussieht, ist in Wirklichkeit eine fein abgestufte, aber dennoch flexibel nutzbare Raumfolge. Das Dach folgt mit einem leichten Knick dem Gefälle des Hangs, wodurch sich im Inneren größere Raumhöhen im Eingangsbereich und eine zusätzliche Belichtungsmöglichkeit durch ein Lichtband ergeben. Weil auch die Niveaus im Inneren leicht differenziert sind, kommt nirgendwo das Gefühl auf, in einer einfachen Glaskiste zu sitzen. Der Raum gleicht eher einer Landschaft, ein Eindruck, der durch die Innenwände und Fassaden aus Glas verstärkt wird. „Wenn ich morgens das Büro betrete“, berichtet ein Mitarbeiter, „sehe ich sofort die ganze Firma, alle Kollegen auf einen Blick.“ Die Glaswände schließen wenige Einzel- und viele Gruppenbüros ab und bieten dazwischen noch genug Freiräume für informelle Besprechungen.

Kaufmann und Rüf, 1969 beziehungsweise 1968 geboren, haben mit diesem Projekt nicht zuletzt ihre Meisterschaft als Konstrukteure unter Beweis gestellt. Nach seinem Studium an der Technischen Universität Wien ist Kaufmann mit innovativen, präfabrizierten Holzbauten bekannt geworden. Seine jüngeren Projekte sind nicht mehr auf ein Material fixiert und haben auch die strengen Raster der konventionellen Vorfertigung elegant hinter sich gelassen. Im Travel-Europe-Gebäude finden sich mehrere präzise getaktete Achsmaße. Konstruktiv handelt es sich um eine Mischung aus einem Stahlbau mit einer neuartigen Betondecke, in die große Kunststoffbälle als verlorene Schalung eingelegt sind, um die Konstruktion leichter zu machen und die Wärmedämmung zu erhöhen. Man darf gespannt sein, ob es Kaufmann und Rüf bei ihrem ersten Wiener Projekt, einem „Boarding House“ für die Lenikus Bauträger Ges.m.b.H. in prominenter Lage am Hohen Markt, für das sie 2005 den Wettbewerb gewannen, gelingen wird, dieses Niveau zu halten.

Sicher hätte in Stans auch ein weniger anspruchsvolles Gebäude ausgereicht, um Büroraum für Travel Europe zu schaffen. In einer Branche, deren wichtigstes Kapital kompetente und motivierte Mitarbeiter sind, dürften die vergleichsweise geringen Mehrkosten aber gut angelegt sein. In diesem Gebäude signalisiert jedes Detail, dass die Menschen, die hier arbeiten, ihr Bestes geben, um ganz vorne mitzuspielen. Weniger kann man sich im globalen Wettbewerb wahrscheinlich gar nicht mehr leisten.

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