Bauwerk

Hotel Messe Wien
Hermann Czech - Wien (A) - 2005

Kein großes, weißes Rauschen

Meistens denkt er, manchmal schreibt er, selten baut er: Hermann Czech und der Versuch, das Wiener Messehotel zu verstehen.

23. Juli 2005 - Wojciech Czaja
Auf ins Büro von Hermann Czech, eine kleine Weltreise im Herzen Wiens. Man hastet durch einige verwinkelte Stiegenhäuser, steht irgendwann einmal keuchend vor einer Metallpforte im obersten Geschoß und dringt ein in einen würdevoll angestaubten Mikrokosmos von Wissen und Walten. Als sarkastisch, distanziert und gelassen beschreibt Friedrich Achleitner seinen praktizierenden Kollegen, und in der Tat zählt er unter den stillen sicherlich zu den lustigsten. Gemächlich gestikulierend, wozu denn auch der ganze Stress? Während sich in Wien die Generation der etwa 70-Jährigen eher im Schuttkegel ihrer nicht enden wollenden Karrieren suhlt, verschwindet Czech ganz subtil hinter der Silhouette seiner Bücherstapel, als wolle er einen seiner alten Aussprüche ganz wörtlich nehmen: „Architektur ist nicht das Leben. Architektur ist Hintergrund. Alles andere ist nicht Architektur.“

Nicht von ungefähr findet man sich hie und da an einem Ort wieder, von dem man gar nicht annimmt, dass je ein bestrebter Architekt, geschweige denn Hermann Czech, seine Hand über der Bauaufgabe hatte ruhen lassen: So unscheinbar und auf den ersten Blick höchst uninteressant ist auch das neueste Produkt aus dem Atelier Czech, selbst dessen Nutzung als Messehotel der Austria-Trend-Kette lockt uns nicht hinter dem Ofen hervor. Noble Zurückhaltung? „Die Tageszeitungen und Lifestyle-Magazine zwingen einen ja förmlich dazu, Wirbel zu machen. Aber wenn alle einen Wirbel machen, sind wir wieder an einem Punkt der Kapitulation angelangt. Das ist dann das große, weiße Rauschen. Die Rolle der Architektur ist missverständlich, wenn die Leute glauben, dass Architektur immer Grimassen schneiden muss.“

Still und leise, schön ist es zwar nicht, Czechs Hotel, und dennoch - mit dem richtigen Architektur-Riecher bleibt man irgendwie hängen. Was soll man von diesem Hotel nur halten? Ein geladenes Gutachterverfahren anno 2002, die Ausnützung des Grundstücks und die städtebauliche Einbettung in den zerfledderten Genius Loci rund um das Messegelände scheinen Czech damals den Sieg eingebracht zu haben. Aus dem Jury-Protokoll: „Das gegenständliche Projekt ermöglicht einen harmonischen Übergang von der Messe in den Prater, der Baukörper überzeugt durch markante Ausformulierung ohne überzogene Geste“. Mit Letzterem ordnet sich das Hotel als Adapter gefügig in die Umgebung ein. Auf der einen Seite taumelt in luftiger Höhe das blinkende Unterhaltungsleben des Praters, auf der anderen Seite - ganz nach dem Motto, wo ein Zipferl, da auch eine Messe - ragt das rot-weiß eingedrehte Zuckerstangerl von Peichls zu kurz geratenem Messeturm in den Himmel.

Hartes Pflaster also, doch auch beim so „markanten“ Messehotel hat das Auge zu kämpfen. Die Perspektive an diesem Eck der Stadt scheint zerquetscht, ehe man merkt, dass das gesamte Gebäude leicht aus der Kurve kippt. Vier Grad sind es, gerade so viel, dass man sich kräftig die Augen reiben muss. „Diese Kurve - im Prater an dem Ort durchaus zulässig - ist eine nette Geste, die irritiert und die dazu beiträgt, dass man die Gesamtsituation unbewusst vielleicht etwas besser im Gedächtnis behält.“ Dass sich dann noch fünf Streifen auf sieben Geschoßen tummeln - 5:7, in der Musik wäre das ein quietschendes Prélude von Schostakowitsch - raubt einem den letzten Nerv. Da versteht man, dass sich schon so mancher Architekturkritiker über die „Ästhetik des Hässlichen“ ausgelassen hat. Der Architekt indes, schmunzelnd, sachlich: „Ja, bei der Gestaltung der Fassade habe ich an Loos gedacht.“

Auch sonst scheint beim Entwerfen in der Kiste der älteren und jüngeren Architekturgeschichte herumgewühlt worden zu sein: Das Sockelgeschoß ist - technisch ganz banal - schwarz-weiß kariert, es ist ein Zitat der Münchner Glyptothek von Leo von Klenze. Immerhin hat diese Musterung beinahe zwei Jahrhunderte auf dem Buckel. Czech meint, es wären nicht „paukenschlagartige Überraschungswirkungen gefordert, sondern eine profunde Eigenart, an die man sich erinnert, wenn man das Gebäude einmal gesehen hat - und wenn man einmal darin war“.

Nun denn: Eine Hotellobby sei halt nur eine Hotellobby, möchte man annehmen. Doch dem ist nicht so. Man hätte es ahnen können: Die wirklich eigenwilligen Zitate beginnen hier an der Schwelle. Das Bauwerk ist weder außen noch innen genau datierbar. Eigentlich könnte es bereits seit zehn Jahren da stehen, wäre da nicht der Duft eines fabrikneuen Automobils in der Luft. Es riecht nach Kunststoff und nach viel, viel Leder. Das kommt von den herumstehenden Fauteuils. Im Hinterkopf klingelt's, es ist der LC2 von Le Corbusier, genauso bequem oder unbequem - das muss der eigene Körper mit der Architekturgeschichte ausstreiten - wie das Vorbild, nur an der Farbe scheitert's ein wenig.

Das Original mag schön sein, doch wenn man das Rohrgestell eines so berühmten Polstermöbels in Pistazieneis-Farbe taucht, kann ganz einfach nichts Gutes dabei herauskommen. Czech wäre nicht Czech, wenn er trotz respektvoller Hommage nicht noch ein klitzekleines Detailchen addiert hätte. Und so warten zwei hölzerne Griffe darauf, vom messeermüdeten Businessmenschen ergriffen zu werden, damit sich dieser leichter erheben kann. Interessant? Praktisch allemal. Man muss ja nicht immer der abgeschleckten Allerwelts-Architekten-Ästhetik den Vortritt lassen.

Ein Feature von Welt gibt es auch in den Zimmern. Soweit es die stringente und erwartungsvolle Klientel eines Messehotels zulässt, hat sich der Architekt auch hier intellektuell ausgetobt. Ein Kasten? Kein Kasten, denn der ist ohnehin nur der überflüssig verschlossene Ort, an dem die Socken einer viel zu kurzen Verweil vergessen werden. Czech stellt das häusliche Konzept des Kleidungsbehälters daher auf den Kopf und bietet eine offene Variante an. Der Schatten des sakkogekleideten Gentleman ergibt eine stille Metapher in der Kontur des Möbels - der Tischler hatte viel Arbeit mit der Produktion, der Gast ist für die Dauer seines Aufenthalts zur aufmerksamen Rezeption herausgefordert.

„Ich will keine Menschen verstören. Das passiert ja sowieso automatisch“, erklärt Hermann Czech. Doch trotz des guten Willens ist der Mensch wieder einmal arm dran. Gänzlich verstört blickt man auf das soeben fertig gestellte Gebäude, das so altbacken dasteht. Man greift sich an den Kopf - die Verwirrung des Intellekts wird ja tatsächlich angezettelt - und man greift sich auch aufs Herz, denn das gebaute Biotop des beinahe Bewährten schafft wohliges Behagen.

Dass hier kein Trendhotel für eine einmalige Rezension im Hochglanz-Architektenporno geschaffen wurde, erweist sich hinter dem Dickicht unserer absehbaren Erwartungshaltungen als ein architektonisches Juwel.

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