Bauwerk

Wohnbau Spittelau
Zaha M. Hadid - Wien (A) - 2005
Wohnbau Spittelau © SEG

Gedrängel auf der Warteliste

Bauten aus der architektonischen Champions League sind kein Wagnis und keine Extravaganz, sondern ein Konsumartikel. Die Marke Zaha Hadid, der Pritzker-Preis, Wiens Spittelau und die Verantwortung der Architekturkritik.

27. März 2004 - Andrea Nussbaum
Es gibt sie: die Modeworte. Jede Branche hat die ihren, auch das Architekturfeuilleton. Und dort dreht sich seit kurzem vieles um ein Wort: Architekturvermittlung. Kritiker sind keine Kritiker mehr, denn ihre Aufgabe ist es neuerdings - eben - zu vermitteln, behutsam den Lesern Tag für Tag, Sonntag für Sonntag die Vorzüge der Architektur vor Augen zu führen. „Er spricht, er schreibt, er vermittelt, er publiziert - obschon ohne nennbaren Erfolg und scheinbar widersinnig - dennoch weiter“, meinte unlängst der deutsche Kritiker Ulrich Conrads über sich und seine Berufskollegen. Doch wozu das Ganze, ist man verleitet zu fragen, wenn es letztlich für die Architektur trotz allem keine wie auch immer geartete Aussicht auf Erfolg gibt? Ist die Architekturkritik tatsächlich ein Quotenkiller, überblättert und ohne Marktpotenzial - weder im Feuilleton noch im realen Leben?

Nehmen wir einmal den kleinen, aber exquisiten Wohnbau an der Spittelauer Lände in Wien, der im Sommer 2005 fertig gestellt werden soll. Das Besondere daran, der Apartmentkomplex mit Geschäfts- und Gastronomieflächen, der sich im Modell selbstbewusst über die ehrwürdigen Stadtbahnbögen von Otto Wagner erstreckt, ist so gut wie verkauft: 700 Vormerkungen liegen bereits vor. Ist es die Lage? Sind es die Grundrisse der Wohnungen? Oder ist es ein Name? Denn dieses kecke Zickzack am Donaukanal, das so lange auf sich warten ließ, stammt von keiner anderen als Zaha Hadid, der Pritzker-Preisträgerin 2004.

Bauten aus der architektonischen Champions League sind kein Wagnis mehr, kein Abenteuer und auch keine Extravaganz, sondern ein Konsumartikel, zugegebenermaßen in den besseren Fällen ein höchst ästhetischer, aber Konsum und Ästhetik gehören auch in der hohen Kunst des Bauens zusammen. Die Shop-Architektur hat es vorgemacht, jetzt folgt der Wohnbau.

Die Lage des neuen Apartmenthauses der Luxusklasse von Zaha Hadid ist außergewöhnlich: ein kleiner Fleck zwischen Donaukanal und Spittelauer Lände, der streng genommen in die Kategorie „unbebaubar“ fällt. Das Umfeld: eine städtebauliche Wüste, umringt von der von Hundertwasser behübschten Müllverbrennungsanlage, der Wirtschaftsuniversität und einem Bundesamtsgebäude, die allesamt keine Highlights städtischer Architektur sind, sieht man von den Stadtbahnbögen einmal ab, die lange unter ihrem Wert genutzt wurden.

Alles zusammen also ideale Voraussetzungen für die Meister der Oberliga, für solche wie Zaha Hadid. Hinzu kam, dass der Wiener Stadtplanung der Donaukanal und sein städtebauliches Potenzial schon einige Zeit am Herzen lag. Wenn schon die Kernstadt Wien nicht an der Donau liegt, dann sollte das doch wenigstens mit dem Donaukanal wettgemacht werden. Neue Projekte wurden erkoren und dabei auch jener Fleck an der Spittelauer Lände entdeckt.

Fast zehn Jahre sind nun vergangen, seit Zaha Hadid im Dezember 1994 mit dem damaligen Planungsstadtrat Hannes Swoboda die kantigen Volumina präsentierte, die sich um die Stadtbahnbögen wickeln - ohne die denkmalgeschützten Relikte einer Jahrhundertwende-Architektur zu berühren oder auf der Oberkante der ehemaligen Stadtbahntrasse aufzusetzen. In typischer Hadid-Manier schweben sie. „Wohnen am Wasser“ lautet das für Wien seltene Motto. 18 Wohneinheiten werden verkauft, 16 werden als „temporäre Wohnungen“ zeitlich begrenzt vermietet, alle haben Blick auf den Donaukanal: ein besonderer Ort mit außergewöhnlichen Perspektiven - wie geschaffen für die expressive Architektursprache der von London aus agierenden Architektin.

Dem Bauvorhaben schien nichts mehr im Weg zu stehen, doch die Realisierung blieb aus. Das Projekt verschwand aus der Tages- und schließlich auch aus der Architekturpresse. Die Stadtverwaltung vertröstete. Dass der Hadid-Bau jetzt mit einem solchen Erfolg (siehe Warteliste) ganz ohne unmittelbare Medien- oder Vermittlerhilfe aufwartet, scheint auf den ersten Blick für sich zu sprechen - und für die Architektur. Architektur - ein Verkaufsschlager! Das Wien der Zukunft: eine ganze Stadt als Architekturausstellung?

Szenenwechsel: G-Town, die Wiener Gasometer. Vier ungewöhnliche Denkmäler der Industriearchitektur, umgebaut zu Wohnungen und mit einem markanten Aushängeschild versehen. Ein überaus erfolgreiches Unternehmen für Bauträger wie die Stadterneuerungs- und Eigentumswohnungs-GmbH (SEG), die sowohl die Gasometer von Jean Nouvel und Coop Himmelb(l)au als auch das Spittelau-Projekt von Zaha Hadid umsetzt.

Und was beim Bau von Zaha Hadid die Warteliste ist, sind beim Gasometer-Projekt die Verkaufszahlen: In der bewährten Dreierkombination von Stararchitekten, Lage und Preis haben sich die Gasometer-Wohnungen der SEG erfolgreich verkauft.

Was bedeutet das nun für die Architektur? Nicht jeder Jean-Nouvel-, Coop-Himmelb(l)au- oder zukünftige Zaha-Hadid-Wohnungsbesitzer ist ein empfänglicher Architektur-Connaisseur, der sich jahrelang durch die Lektüre von Architekturmagazinen auf dem Laufenden hielt, um schließlich seine Wohn-Entscheidung zu treffen. Aber geprägt vom aus der Mode gelernten Markenbewusstsein, erfüllt es so manchen offenkundig mit beträchtlichem Stolz, dass gerade er in einem „Marken“-Wohnbau lebt, einem Wohnbau, über den geschrieben, diskutiert und der in Zeitschriften abgebildet wird.

Die Stararchitektur ist ein nobler Markenartikel geworden. Und hier schließt sich der Kreis, denn dass es so weit kam, dass die Stararchitektur als „Marke“ auffällt und ihre Nachfrage steigt, ist letztlich Verdienst - und gleichermaßen Verantwortung - der (wie man sieht nicht immer überblätterten) Architekturkritik.

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