Bauwerk

Haus Tugendhat
Ludwig Mies van der Rohe - Brünn (CZ) - 1930

„Dass ich dich wiederseh!“

Zwei Jahre lang wurde die Villa Tugendhat saniert und restauriert. Am Mittwoch wurde das wohl berühmteste Einfamilienhaus der Moderne wiedereröffnet.

3. März 2012 - Wojciech Czaja
Es riecht nach Linoleum und frischem Lack. Die Türklinken sind poliert und funkeln, als hätte man sie gerade erst ausgepackt. Und die Badewannenarmaturen aus Chrom und Keramik, ein Entwurf des Bauhaus-Architekten Walter Gropius, sprühen vor einer derart zeitlosen Eleganz, dass man sich sofort die Kleider vom Leib reißen und ein Bad in der Geschichte dieses Hauses nehmen will.

Am Mittwoch wurde die Villa Tugendhat, eines der Schlüsselwerke des deutschen Architekten Ludwig Mies van der Rohe, errichtet in den Jahren 1928 bis 1930, wiedereröffnet. Nach zweijähriger Bauphase befindet sich das Juwel der Moderne, von dem aus man einen fantastischen Ausblick auf die Brünner Altstadt hat, endlich wieder in einem herzeigbaren Zustand. Insgesamt wurden rund 174 Millionen Kronen (knapp sieben Millionen Euro) in die Sanierung und Restaurierung investiert. Den Großteil davon steuerte die EU bei.

Der Architekt hätte sich ob dieses Bildes wohl köstlich amüsiert: „High Heels verboten“, hieß es auf der Einladungskarte. Journalisten und Fotografen kamen aus ganz Europa angereist, schlüpften daraufhin in hellblaue Überzieher und rutschten mit ihren raschelnden Plastikschuhen im Watschelgang über den frisch verlegten Gummiboden. Die Geräuschkulisse war spektakulär. Lediglich den Ehrengästen auf dem Podium, allen voran dem Brünner Bürgermeister Roman Onderka sowie den beiden Töchtern des Bauherrenehepaares, Daniela Hammer-Tugendhat und Ruth Guggenheim-Tugendhat, war es vergönnt, etwas festlicher aufzutreten. „Natürlich wird hier nie wieder der Zustand eines bewohnten und belebten Hauses einkehren“, sagte Daniela Hammer-Tugendhat, die heute als Kunsthistorikerin in Wien lebt. „Aber es ist gelungen, jenen Charakter wiederherzustellen, der das Haus zu dem macht, was es ist. Und das freut mich sehr, denn das ist in seiner Schönheit und meditativen Atmosphäre, wie ich sie sonst nur aus Kirchen kenne, einer der überwältigendsten Innenräume der Moderne.“ Ein Besuch vor Ort sei unumgänglich, erklärte die Tochter des Hauses. Allein anhand von Fotos und Grundrissen könne man sich von diesem Raum keinen Eindruck machen. Man müsse ihn in der eigenen Bewegung erleben, man müsse ihn physisch erkunden.

„Ein absolutes Highlight“

„Ich bin mit dem Resultat sehr zufrieden“, bestätigte auch Ana Tostões, Präsidentin von Docomomo International, die sich mit der Dokumentation und dem Erhalt von Bauwerken der Moderne beschäftigt. „Der Zustand des Hauses war eine Katastrophe, die Substanz war ziemlich zerstört, und das Projekt war extrem kompliziert. Aber man kann den Wissenschaftern und dem tschechischen Planungs- und Ausführungsteam nur gratulieren. Was diese Leute daraus gemacht haben, ist ein absolutes Highlight historischer Bestandssanierung.“

Rückblende. Noch vor wenigen Jahren drohte die Villa Tugendhat abzurutschen. Die Fundamente hatten dem Hangwasser nachgegeben, die Risse im Putz und in den seitlichen Außenwänden waren nicht zu übersehen. Hinzu kamen Beton- und Steinoberflächen, die im Laufe der Zeit durch den Eintritt von Wasser und anschließende Eisbildung regelrecht abgesprengt wurden. Das Mauerwerk war durchfeuchtet, die Anschlüsse zwischen Stahlbauteilen und Beton waren völlig korrodiert. Auch der Umstand, dass das Gebäude 1995 zum Nationalen Kulturdenkmal und 2001 zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt wurde, konnte daran nichts ändern.

„Es ist erstaunlich, dass die Villa Tugendhat selbst in diesem ruinösen Zustand eine unglaubliche architektonische Qualität hatte“, erinnert sich Ivo Hammer, Gebäuderestaurator und Vorsitzender des Tugendhat House International Expert Committee (Thicom). „Aber der Zeitpunkt war längst überfällig. Wir mussten dringend etwas tun.“

Die ersten Gespräche mit der Stadt Brünn seien nicht besonders zufriedenstellend verlaufen, erinnert sich Hammer. „Am Anfang meinte der Finanzstadtrat, dass nur ein bestimmtes Sanierungsbudget zur Verfügung stehe und dass man auf jeden Fall damit auskommen müsse. Aber darauf wollten wir uns nicht einlassen. Entweder man macht es ordentlich, oder man lässt es gleich bleiben.“ Nach längerem Tauziehen fiel die Entscheidung zugunsten der umfassenden Sanierung - allerdings mit einem Wermutstropfen: „Leider wurde das Komitee erst nominiert, nachdem die Bauarbeiten schon längst im Gange waren“, so Hammer. „Aber immer noch besser zu spät als gar nicht.“

Wo ist die Ebenholzwand?

Ein Expertenbeirat aus acht ausländischen und sieben tschechischen Denkmalpflegerinnen und Kunsthistorikern beurteilte den Zustand des Hauses, dokumentierte jedes einzelne Detail, stöberte in Archiven nach Originalplänen und alten Fotografien, forschte in schriftlichen Aufzeichnungen zwischen Mies van der Rohe und dem Brünner Textilindustriellen Fritz Tugendhat sowie seiner Frau Grete, suchte nach alten Materialien in der ganzen Stadt, stöberte die berühmte gebogene Wohnzimmerwand aus Makassar-Ebenholz im Keller des ehemaligen Brünner Gestapo-Sitzes aus, ließ Möbeln nach alter handwerklicher Tradition rekonstruieren und experimentierte mit unterschiedlichen mineralischen Putzen, Spachtelmassen und Injektionen fürs Mauerwerk.

„Schauen Sie sich nur diese Wände aus Stuccolustro an“, sagt Ivo Hammer, als er nach der Pressekonferenz einsam und allein im alten Herrenzimmer steht und mit der Hand nachdenklich über die neu verputzte Wand streicht. „Wir haben ziemlich lang mit unterschiedlichen Sanden aus der Gegend geforscht, bis wir endlich eine ganz feine Körnung gefunden haben, mit der der Innenputz dann genauso schön matt und samtig geworden ist, wie wir das wollten.“ Die Holzoberflächen - Fingerzeig in Richtung Kastenwand - habe er sogar eigenhändig von alten Lackschichten befreit. Ein sogenannter pneumatischer Mikromeißel half dem Restaurator dabei.

Open-Air-Salon auf Knopfdruck

Freilich, all die Anstrengungen der letzten 24 Monate wird kaum ein Besucher dieses Hauses je wieder nachvollziehen können, geschweige denn mit bloßem Auge erkennen. Die Summe der vielen kleinen Miniaturen, die die Thicom in Zusammenarbeit mit dem Generalplaner Unistav a.s. mit großer Detailliebe kreierte, schlägt sich jedoch in einem perfekten, vielleicht sogar zu perfekten Gesamteindruck nieder.

Alles an diesem seinerzeit teuersten Einfamilienhaus der Welt funktioniert wie am ersten Tag. Die Gegensprechanlage ist wieder in Betrieb, die Klimaanlage bläst einwandfrei kühle Frischluft in die Aufenthaltsräume, der Speisenlift fährt fröhlich auf und ab, und die riesige Glasfassade im Wohnzimmer lässt sich auf Knopfdruck im Boden versenken. Innerhalb einer Viertelminute sitzt man in einem Open-Air- Salon der Moderne. Berauschend.

„Meine Eltern haben das Haus 1938 fluchtartig verlassen“, sagte Daniela Hammer-Tugendhat bei der Pressekonferenz. „Und ich erinnere mich, wie ich mit meiner Mutter das erste Mal nach der Emigration zur Internationalen Konferenz 1969 ins Haus hineingekommen bin. Das war für sie sehr emotionalisierend und aufregend.“ Sie sei zur berühmten sieben Zentimeter dicken durchscheinenden Onyxwand gegangen und habe sie gestreichelt wie man sonst nur einen Menschen streicheln kann. Mit einem tiefen Seufzer habe sie daraufhin gesagt: „Dass ich dich wiederseh!“ Letzten Mittwoch schlossen sich die Fachleute und Ehrengäste dieser Meinung an.

Die Villa Tugendhat befindet sich heute in Besitz der Stadt Brünn. Sie wird vom Museum der Stadt Brünn betrieben und ist ab sofort wieder öffentlich zugänglich.

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