Bauwerk

De-Young-Museum
Herzog & de Meuron - San Francisco (USA) - 2005

Parkpanorama und Stadtblick

Das de Young Museum von Herzog & de Meuron in San Francisco

Nach dem im Frühjahr eröffneten Walker Art Center in Minneapolis haben Herzog & de Meuron mit dem am Wochenende eingeweihten de Young Museum in San Francisco ihren zweiten, ungleich grösseren Museumsbau in den USA errichtet.

17. Oktober 2005 - Hubertus Adam
Unumstritten ist der Neubau des de Young Museum in San Francisco nicht: Zweimal scheiterte die Petition, das Bauprojekt durch die öffentliche Hand zu subventionieren, an fehlender Unterstützung durch die Bevölkerung. Es sei in San Francisco leichter, eine Parkgarage durchzusetzen als ein Museum, erklärte im Vorfeld der Eröffnung Dede Wilsey, die Präsidentin des Board of Trustees. Ohne das Engagement der energischen Dame, die sich seit Jahrzehnten für kulturelle und caritative Belange in der Bay Area einsetzt, gäbe es den Neubau nicht. Denn Wilsey gelang das so wohl nur in den USA vorstellbare Kunststück, das Projekt mit seinen Gesamtkosten von 202 Millionen Dollar rein privat durch Zuwendungen von Donatoren und Sponsoren zu finanzieren. Die Sammlung des de Young Museum befindet sich - wohlgemerkt - im städtischen Besitz und umfasst ein heterogenes Spektrum von amerikanischer Kunst vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, ethnographischen Beständen aus Afrika, den beiden Amerika und Ozeanien sowie eine Kollektion von Textilien und Kostümen. Seit 1972 ist das de Young mit dem auf europäische Kunst spezialisierten Museum of the Legion of Honor zu den «Fine Arts Museums of San Francisco» zusammengeschlossen.

Museum im Park

Der eigentlich strittige Punkt beim Neubau war die Frage des Standorts. Seit seiner Gründung 1895 liegt das Museum im riesigen Golden Gate Park, der sich nicht in der Nähe der gleichnamigen Brücke befindet, sondern einige Meilen südwestlich von Downtown San Francisco. 1870, als der junge Ingenieur William Hall die von Olmsteds Layout für den Central Park New York inspirierten Pläne entwarf, befand sich das zuvor unwirtliche Dünengelände noch weit ausserhalb des Siedlungsgebiets; heute ist das breite grüne Band, das mit seiner westlichen Schmalseite unmittelbar an die Pazifikküste stösst, durchaus noch der Innenstadt zuzurechnen. Die Idee für ein Kunstmuseum in diesem Park stammte von William de Young, dem Mitbegründer des «San Francisco Chronicle». Der Zeitungsverleger hatte sich stark für die nach dem Erfolg der Weltausstellung in Chicago 1894 im Golden Gate Park veranstaltete «California Midwinter International Exposition» eingesetzt, und auf seine Initiative hin wurde das ägyptisierende Fine Arts Building nach Ausstellungsende zum dauerhaften Museumsbau umgewidmet. Über die Jahrzehnte hinweg erfuhr das hinsichtlich seines Sammlungsprofils mehrfach neu programmierte Museum diverse bauliche Veränderungen, bis das Erdbeben des Jahres 1989 das Gebäudekonglomerat in Mitleidenschaft zog. Zwar liessen sich die Räumlichkeiten weiter museal nutzen, Leihgaben konnten aufgrund von nicht erfüllten Sicherheitsanforderungen indes nicht mehr ausgestellt werden. Zu dieser Zeit hätte die Möglichkeit bestanden, mit einem Neubau in die stärker frequentierte Downtown umzuziehen, doch am Ende entschied man sich - trotz der Kritik von Umweltschützern, die Baumassnahmen im Park verhindern wollten - für den angestammten Standort. Eine Findungskommission konzentrierte die Auswahl angefragter Architekten auf sechs Finalisten. Am Ende erhielten Herzog & de Meuron den Zuschlag - einzig sie, so Dede Wilsey, hätten bei ihrer Präsentation die Spezifik der Sammlung und den speziellen Standort berücksichtigt. Im Rennen geblieben waren zuvor noch Tadao Ando, Cesar Pelli, Antoine Predock und Rafael Viñoly.

Transparent und opak

Ohne Zweifel war die Entscheidung ein Glücksgriff, ist doch die Auseinandersetzung mit der Beziehung von Landschaft und Architektur, mit dem Verhältnis von Natürlichkeit und Künstlichkeit eines der Themen, das sich ostinat durch das Œuvre der Basler Architekten zieht. Am ovalen Gartenraum des Concourse, gegenüber der California Academy of Sciences, die derzeit von Renzo Piano weitgehend neu errichtet wird, erhebt sich das langgestreckte Gebäude des neuen de Young. Herzog & de Meuron organisierten das Raumprogramm in drei parallelen Streifen, die wie bei einer Ziehharmonika leicht auseinander gezogen, aber weiterhin miteinander verbunden sind. Bleibt das Äussere auch von der orthogonalen Grundrissgeometrie bestimmt, so entstehen als Keile, Schlitze, Kerben oder Höfe ausgebildete Zwischenräume. Diese reagieren als negative mit den positiven Formen der umschlossenen Räume und führen dazu, dass sich die klar definierten Raumfolgen der Galerien stellenweise völlig auflösen. Durch verglaste Ausschnitte dringt der Park gleichsam in das Volumen ein.

Der längste der Einschnitte begrenzt das Foyer nach Norden und senkt sich entlang der Treppe zum Untergeschoss hin ab; man mag die Wellenform als Verweis auf die Dünenlandschaft verstehen, welche den Untergrund des Parks bildet. Auch für die Aussenhaut wählten die Architekten ein organisches Material: Kupfer. Das gesamte, konstruktiv als Stahlskelettbau errichtete Gebäude ist mit Kupferplatten verkleidet, die durch Perforationen und Prägungen modifiziert wurden. Kreisförmige Perforationen mit vier verschiedenen Lochdurchmessern zum einen, nach innen und nach aussen gewölbte Prägungen zum anderen überlagern sich in verschiedenen Rastern. Die Fassade übernimmt diverse Funktionen: Sie schützt als Filter vor Sonnenlicht, sie ermöglicht Ausblicke, aber natürlich ist sie auch dekorativ und lässt die Aussenhaut des Gebäudes lebendig werden. Hier erscheint sie transparent, dort eher opak. Und sie lässt das Museum trotz seinen Dimensionen wie einen Gartenpavillon wirken, wie ein Gewächshaus für die Kunst.

Auch die Dachlinie zeigt sich organisch. Von Ost nach West wölbt sie sich in einem einzigen grandiosen Schwung über das gesamte Gebäude, um dann in einer gewaltigen Auskragung zu enden, welche die der westlichen Stirnseite vorgelagerte Terrasse überdeckt. Als vertikale Dominante und optisches Gegengewicht zu dem fulminanten Dachüberstand im Westen fungiert ein 30 Meter hoher, tordierter Turm an der Nordostecke des Gebäudes. Seine Stockwerke sind gegeneinander versetzt: Das untere fügt sich in die Axialität des Museums ein, das oberste, um 40 Grad abgewinkelt, ist auf den Strassenraster von San Francisco ausgerichtet. Das Aussichtsgeschoss, ohne Eintritt für alle Besucher zugänglich, bietet ein grandioses Panorama bis hin zu den Hochhäusern der Downtown und zur Golden Gate Bridge - wenn nicht gerade die für San Francisco typischen Nebelschwaden von der Küste her aufziehen. Ohne Zweifel, der Turm ist das eigentliche, die Baumkronen überragende Wahrzeichen des Museums, und er leistet die formale und visuelle Verknüpfung von Park und Stadt.

Nebeneinander und miteinander

Betritt man das Museum über den vom Concourse aus zugänglichen Eingangshof, so steht man in einem opulenten Foyer, von dem aus alle wesentlichen Bereiche zugänglich sind. Über die doppelläufige Treppe hinter dem Empfangstresen erreicht man das Untergeschoss, mit einem dreischiffig organisierten, flexibel einteilbaren und künstlich beleuchteten Sonderausstellungssaal, in dem anlässlich der Eröffnung die Schau «Hatshepsut - From Queen to Pharao» zu sehen ist. Wendet man sich nach rechts, so gelangt man zum versenkten Auditorium oder in den Turm. Links hingegen führt der Weg in die zentrale Halle, welche von der speziell in Auftrag gegebenen Fotoarbeit von Gerhard Richter beherrscht wird. Die seriell repetierten Mikroskopaufnahmen eines Strontium-Moleküls erinnern an Richters von der Op-Art inspiriertes Frühwerk, sie harmonieren aber auch kongenial mit dem Interesse der Architekten für Fragen von Muster, Ornament und Dekoration.

Im Nordwesten des Museums liegen die zum Teil gebäudehohen Säle für amerikanische Gegenwartskunst, doch den interessanteren Raumsituationen begegnet man im Obergeschoss. Herzog & de Meuron konzipierten zwei unterschiedliche Präsentationsstrategien. Die historische amerikanische Kunst ist in eher traditionell inspirierten Räumen mit moderatem Zuschnitt untergebracht - Böden und Decken sind in Eukalyptusholz ausgeführt, die Wände farbig gestrichen, Licht fällt durch grosse zentrale Oberlichter ein. Die künstlich belichteten ethnographischen Sammlungen finden sich in den fliessenden Raumbereichen und sind durch leuchtende raumhohe Vitrinen gegliedert, die mit ihrer Einfassung aus Eukalyptusholz wie grosse Rahmen wirken. Bedingt durch das architektonische Konzept gibt es verschiedene Übergänge zwischen den Raumbereichen, die aber jegliche Hierarchisierung vermeiden. Gezielt wurde hier ein Nebeneinander gesucht, das zuweilen auch zum Miteinander werden kann - San Francisco versteht sich bekanntlich selbst als eine Stadt, in welcher das Zusammenleben heterogener Kulturen besser gelingt als in anderen Städten der Vereinigten Staaten.

Herzog & de Meuron haben ein komplexes, vielschichtiges und intelligentes Museum geschaffen, das sich spektakulär und sensibel zugleich zeigt. Es ist nicht manieriert, lässt aber eine Unzahl architektonischer Themen anklingen. So mag es nicht zuletzt das Nachdenken über Architektur anregen - und das ist in San Francisco besonders wichtig, das keine lebendige Architekturszene besitzt wie Los Angeles. Wie der «San Francisco Chronicle» zu Recht konstatierte, sind die letzten wirklich bedeutenden Bauten in der Bay Area mehr als dreissig Jahre alt: William Pereiras spitze Pyramide des Transamerica Building und der grandios in die Hügel nördlich von San Rafael eingebettete Komplex des Marin County Civic Center von Frank Lloyd Wright. Irgendwann sähen auch die Kritiker ein, dass die Metropole neben Golden Gate Bridge, Cable Car und Transamerica-Pyramide ein viertes Wahrzeichen erhalten habe.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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