Bauwerk

Photonikzentrum
Sauerbruch Hutton - Berlin (D) - 1998
Photonikzentrum, Foto: Jochen Helle / ARTUR IMAGES
Photonikzentrum, Foto: Jochen Helle / ARTUR IMAGES
Photonikzentrum, Foto: Jochen Helle / ARTUR IMAGES

Gläserne Amöben in der Vorstadt

1. Dezember 1998 - Roman Hollenstein
Berlin befand sich nach der Wende in einer Euphorie, an der die Baukunst grossen Anteil hatte. Doch nun erkennt die Stadt, dass all die eingeflogenen Architektenstars kaum Meisterwerke hinterlassen haben. Selbst am kürzlich mit viel Lärm eingeweihten, aber noch nicht vollendeten Potsdamer Platz vermag bisher nur Renzo Pianos Debis-Hauptquartier mit seinem fein proportionierten Turm verhaltene Begeisterung zu wecken. Wer nach wirklich Neuem sucht, wird sich deshalb auch nicht im Zentrum der Metropole, sondern an deren Peripherie umsehen: etwa in Adlershof. Dort, im Südosten Berlins, wird rund um den vor 90 Jahren eröffneten ehemaligen Flugplatz Johannisthal, einen frühen Hort der deutschen Luftfahrt, ein neuer Stadtteil gebaut.

Nun wird das von den Nazis und vom DDR-Regime einst streng abgeschirmte Hochsicherheitsgebiet mit seinen Forschungsbauten und Fernsehstudios zur Wohn- und Wissenschaftsstadt des 21. Jahrhunderts verdichtet. Dabei soll auch hier die in der Innenstadt erprobte Formel der Hofrandbebauung zum Tragen kommen, die allerdings - solange die soziale Infrastruktur fehlt - das Entstehen einer funktionierenden Stadt allein nicht garantieren kann. Obwohl die einengende urbanistische Auflage bis jetzt meist eingehalten wurde, sind einige interessante Bauten entstanden, das elegante Umwelttechnologiezentrum von Eisele & Fritz, der exzentrische Informatikbau des Delfter Büros Cepezed sowie eine Anlage, die aus dem Rahmen fällt: das Photonikzentrum der gut 40jährigen, in Berlin und London tätigen Architekten Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton.

Ihre beiden gläsernen Amöben kommen einer Absage an den strengen Hofrandraster gleich. Zudem erheitern sie mit ihrem Farbenspiel den historisch belasteten Ort. Der Doppelbau ist das Ergebnis eines Wettbewerbs, der - als Ergänzung der von Alfred Kraus um 1960 errichteten Forschungspavillons - vier neue Häuser vorschrieb. Der Auftrag wurde unter den bestrangierten Büros aufgeteilt, wobei für die beiden etwas dürr geratenen Kuben, die die kleine Anlage von Kraus abschliessen, das Wiener Büro Ortner & Ortner verantwortlich zeichnet. Sauerbruch & Hutton hingegen errichteten im angrenzenden Strassenzwickel zwei organische Baukörper. Deren auf den ersten Blick recht willkürlich anmutende Wellenfassaden erinnern stark an Norman Fosters frühes Bürogebäude in Ipswich und vermitteln zwischen den Kraftlinien, die hier der städtebaulichen Textur eingeschrieben sind.

Zwei gegeneinander abgewinkelte Rastersysteme prägen denn auch die beiden durch einen unterirdischen Gang miteinander verbundenen Bauten: die eingeschossige, für Grossversuche bestimmte Werkhalle und den dreigeschossigen, in seinen Dimensionen nur schwer zu fassenden Gewerbebau. Mit seiner amorphen Form nimmt letzterer Rücksicht auf den Baumbestand und erfüllt zugleich die an ihn gestellten funktionellen Anforderungen: Der eigenwillige Grundriss und die Anordnung der farbig bemalten Doppelträger in der zweischaligen Glashülle ermöglichen unterschiedlich grosse Räume mit vielgestaltigen Bereichen - vom völlig abgedunkelten Forschungslabor über die Werkstatt bis zum lichtdurchfluteten Büro. Damit können die Wünsche der hier auf dem Gebiet der Lichttechnik forschenden Jungunternehmen auf geradezu ideale Weise erfüllt werden.

Am Bau selbst wird der Forschungsgegenstand Licht gezielt thematisiert: etwa als Farbspektrum, das in der Art eines vielfach gebrochenen Lohse-Gemäldes die gläserne Aussenhaut dominiert. Vor allem aber triumphiert das Licht in der Eingangszone. Mit ihrer skulpturalen Inszenierung der frei angeordneten Pfeiler und des Schlangenbands der Treppe bricht sie kristallin aus der gekurvten Hülle aus. Von diesem hellen Bereich gelangt man in düstere Korridore, die gleichsam als Rückgrat des Gebäudes zu den einzelnen Mieteinheiten führen. Dabei quert man einen ovalen, durch schwebende Treppen erschlossenen Lichthof, der entfernt an die Kommandobrücke eines Raumschiffs erinnert. Diesem futuristischen Ambiente antwortet die Dachlandschaft: Dort nämlich bilden die von unten kaum sichtbaren Versorgungsinstallationen einen «Garten der Technik» mit Blick auf das einstige Flugfeld.

Dank seiner bildhaften Sprache wird der nach ökologischen Gesichtspunkten realisierte Bau zur Identifikationsfigur, der es gelingt, eine urbanistisch sensible Stelle in «eine Adresse» zu verwandeln. Mit seiner verspielten Ernsthaftigkeit und fortschrittlichen Technologie verweist das Gebäude auf ein weiteres Werk der Architekten: die im Bau befindliche Erweiterung der GSW-Verwaltung in Kreuzberg.

Beide Arbeiten zeugen davon, dass das von Koolhaas und den Smithsons inspirierte Team - das wohl interessanteste seiner Generation in Deutschland - viel von Städtebau und Kunst versteht. Das Photonikzentrum jedenfalls demonstriert eindrücklich, wie Sauerbruch & Hutton mit Form, Farbe, Licht und Transparenz dynamische Volumen zu schaffen wissen, die eine geistreiche Antwort darstellen auf den diskreten Charme der fünfziger Jahre, der von den restaurierten Nachbarbauten ausgeht.

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