Bauwerk

UFA Kinopalast
Coop Himmelb(l)au - Dresden (D) - 1998
UFA Kinopalast, Foto: Gerald Zugmann
UFA Kinopalast, Foto: Gerald Zugmann

Flimmerndes Freizeitvergnügen

Es ist kein Innenraum, es ist kein Außenraum, es ist etwas dazwischen, etwas Flüssiges, das auf den Punkt der Kristallisation gebracht wurde: der Dresdner UFA-Kinopalast von „Coop Himmel- b(l)au“ - ein Raumspektakel mit kleinen Mängeln.

27. Juni 1998 - Liesbeth Waechter-Böhm
Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky, haben endlich einmal wirklich gebaut. Nichts Kleines, nichts Feines, sondern einen „Kinopalast“, der zwar nach außen gläsern-kristallin auftrumpft, aber drinnen und an der Straßenfront auch eine ganz schön rauhe Sprache spricht. Sagen wir es trotzdem gleich vorneweg: Dieser Bau ist ihnen tatsächlich gelungen. Es ist den beiden gelungen, ihren publizistisch und strategisch überaus geschickt erkämpften internationalen Ruf durch ein richtiges Bauwerk zu bestätigen. Und das ist etwas, was man anerkennen muß.

Schauplatz Dresden: Die Baukräne ragen hoch in den Himmel, die budgetären Ressourcen sind längst tief im Keller. Aber es wird immer weiter gebaut, obwohl die Bürohäuser leer stehen und die kilometerlangen neuen Geschäftszonen ungenutzt sind. Wer möglicherweise verdient, das ist die dritte Garnitur von Bauträgern und Architekten aus dem Westen. Die zieht hier eine grauenvolle Burg nach der anderen hoch, der Mut könnte einen verlassen.

Ganz unpolemisch gesprochen: Außer einer Schule von „Behnisch & Partner“ gibt es an zeitgenössischer Architektur derzeit so gut wie nichts in Dresden, das sich zu besichtigen lohnt. Wollte man die interessanten zeitgenössischen Bauten an einer Hand abzählen, man bräuchte sicher nicht alle fünf Finger. Und dann, in diesem Umfeld, der neue UFA-Kinopalast der „Coop Himmelb(l)au“, dieses unleugbar einprägsame, spektakuläre Bauwerk: ein Monument des Dekonstruktivismus, wenn man so will; man kann es aber auch anders sehen, man kann es als die einzig legitime Form einer qualitativ, einer künstlerisch ernstzunehmenden Alternative zur verkitschten Erlebnisarchitektur von Hundertwasser und Konsorten werten.

Der neue UFA-Kinopalast in Dresden ist tatsächlich ein aufregender, ein emotional aufgeladener Ort. Man merkt es an den Kids, die dort bis spät in die Nacht unterwegs sind. Aber man spürt es, davon ganz abgesehen, auch am eigenen Leib. Es ist einfach viel spannender, die Passage durch die „Vorhalle“ zu den Kinos zu durchqueren als den Weg entlang der bestehenden Straße zu nehmen.

Im Wettbewerb vor rund fünf Jahren war das überhaupt die städtebauliche Königsidee der „Coop“. Damals ging es um eine Neuordnung des Bereichs um die maßstablose Prager Straße herum, eines öffentlichen Raums, gesäumt von gigantischen Einkaufspalästen und Hotels und dimensioniert nach den sattsam bekannten Aufmarschmustern der ehemaligen DDR; und in diesem Zusammenhang ging es auch um die Standortbestimmung für einen weiteren, den neuen UFA-Kinopalast, dessen Wahlverwandtschaft mit dem bestehenden „Rundkino“ vom Anfang der siebziger Jahre aber nicht geleugnet werden sollte. Es hat wenig Sinn, Straßennamen ins Treffen zu führen, um den raffinierten Vorschlag des „Coop“-Projekts damit zu legitimieren; den Stadtplan von Dresden haben hierzulande nur die wenigsten im Kopf. Tatsache ist: Der Bau steht in Sichtweite des „Rundkinos“ an der vielbefahrenen Petersburger Straße auf der einen Seite, zu der der ziemlich geschlossene Kinoblock Front macht; auf der anderen, der kristallinen Seite ist ein unglaublich gewaltiger Wohnblock zwischen den neuen Kino-Vorplatz und die stark frequentierte Prager Straße geschoben.

Prix spricht vom „Hinterhof“ der Prager Straße, wenn er vom Standort des Kinozentrums redet. Und er spricht davon, daß es auf künftige städtebauliche Maßnahmen ankommen wird, um die Bedeutung des Neubaus als urbane Drehscheibe weiterzuentwickeln. Das wäre tatsächlich mit einer relativ einfachen Maßnahme zu bewerkstelligen: Der Wohnblock, der den Kinostandort von der Prager Straße isoliert, steht auf Pilotis; darunter sind Einbauten, etwa eine Post, geschoben. Hier könnte man ganz leicht öffnen und damit für Durchlässigkeit zur beliebtesten Einkaufsstraße der Dresdner sorgen. Und das würde diesem städtischen Bereich sicher guttun.

Das Kino: Es ist eigentlich nach einem simplen Strickmuster organisiert. Der Petersburger Straße wendet es einen sehr langen und extrem schmalen Betonblock zu, der gerade so tief wie ein Kino ist. Acht solche Kinos unterschiedlicher Größe - mit 600 bis 200 Sitzplätzen - sind hier übereinander gestapelt, jeweils in direkter Verbindung mit den Vorführkabinen.

Dem Sichtbetonblock vorgeblendet ist eine Streckmetallhaut, hinter der die Fluchtstiegen verborgen sind. Diese Fluchtstiegen erfüllen gleichzeitig eine zweite Funktion: An „starken“ Tagen können die Besucher auch auf diesem Weg, jeweils durch die verglaste Box einer räumlichen Schleuse, die Kinosäle verlassen. Daß die Art, wie diese Stiegen fast diagonal über die Fassade geführt sind, deutliche Züge der himmelblauen Kunst des Fabulierens trägt, sollte kein Nachteil sein.

Der Kinoblock ist nicht nur simple Box. Denn an der einen Schmalseite kragt er weit aus, darunter ist er „aufgerissen“ wie ein Trichter: Und damit wird er zur gebauten Einladung an die Passanten, den Weg durch den kristallinen Teil des Gebäudes zu nehmen, die spektakulär verglaste Halle als Passage zu nutzen. Prix nennt sie einen „transitorischen Raum“. Das Haus hat somit zwei Eingänge: einen an der Schmalseite, wo sich darüber die Gebäudeauskragung in den Luftraum wuchtet, einen, nennen wir ihn den Haupteingang, an der anderen Schmalseite, von wo man hinüber zum „Rundkino“ sieht.

Wer hier in die Halle tritt, dem eröffnet sich das Raumspektakel in seiner vollen Wirkung. Da durchschneiden Stiegen und Brücken den rundum verglasten, mehrfach gebrochenen Raum, geknickte, gedrehte Betontürme (für Projektionen, für den Lift) ragen auf; ganz oben ist der Doppelkegel eines Cafés in den Raum gespannt, und eine Stiege führt schräg weiter hinauf - nach nirgendwo. Prix, nicht ohne Selbstironie: „Die Stiege der Architekten.“

Der kristalline, verglaste Teil des Gebäudes hat also in erster Linie die Funktion des Verteilers und Foyers beziehungsweise im Erdgeschoß auch der gedeckten Passage. Während der Kinoblock klimatisiert ist, herrschen hier fast Bedingungen wie in einem Außenraum, nur eben wettergeschützt. Es gibt keine Rolltreppen, was mit den rigorosen Kostenbeschränkungen zu tun hat: Mehr als ein „normales“ Kino durfte der Bau nicht kosten. Deshalb gibt es auch nur sehr einfache Materialien: viel Sichtbeton, verzinktes Blech, Asphalt - und natürlich Glas.

Bei der Materialgüte waren die Architekten übrigens eher schnoddrig: Der Sichtbeton hat wahrhaftig keine Tadao-Ando-Qualität, und die verzinkten Stiegenwangen und Brüstungen - die sind manchmal auch aus Glas, damit man ungehindert bis hinauf sieht - , die spielen ein schlieriges Farbspiel der besonderen Art. Auch sonst ließe sich allerhand bemängeln: Wenn man zum Beispiel auf einem der Brückenzugänge zu den Kinos steht, und die Besucher einer Vorstellung kommen gerade heraus, dann ist man mitunter versucht, sich an der Brüstung festzuhalten, weil diese Stege so sehr vibrieren. Prix: „Reine Absicht.“

Besser, man unterläßt es, solche Details zu hinterfragen. Besonders da doch die Raumqualität für sich spricht. Es ist kein Innenraum, es ist kein Außenraum, es ist etwas dazwischen, etwas Flüssiges, das auf den Punkt der Kristallisation gebracht wurde. Etwas im höchsten Maß Urbanes. Auch etwas Dynamisches. Gebauter emotionaler Mehrwert. Wenn man als Wiener in diesem Dresdner Kinopalast steht, dann kommt man unweigerlich ins Sinnieren: Auch wenn es eigentlich nie eine gute Idee war, „Coop Himmelb(l)au“ den Umbau eines alten Wiener Theaters planen zu lassen - aber was hätte aus dem Ronacher werden können? Man fragt sich allerdings auch: Ist die Idee gut, „Coop Himmelb(l)au“ mit gefördertem Wiener Wohnbau zu beauftragen?

Die Qualität des Dresdner Hauses besteht darin, daß es in eine architektonische Sprache übersetzt, worum es drinnen geht: flimmerndes Freizeitvergnügen für den Städter. Die Kinos selbst sind dabei ganz uninteressant, nichts als UFA-Standard. Was vorher passiert, darauf kommt's an. Man kauft Karten, man wartet auf die Vorstellung und schaut sich um, man konsumiert etwas. Genau dafür hat „Coop Himmelb(l)au“ eine Bühne geschaffen, die ihresgleichen sucht.

Freizeit im ausgehenden 20. Jahrhundert, bevor die Wirklichkeit aus- und der Breitwandfilm eingeblendet wird, ein Raumerlebnis, wie man es davor nie hatte. Das können sie, Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky, und das können sie auch überzeugend mit dem Stadtgefüge verweben. So außergewöhnlich das Haus ist, jetzt steht es ganz selbstverständlich da. Die alteingesessenen Dresdner mögen vielleicht schimpfen, die Kids haben es längst in Besitz genommen.

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