Bauwerk

Reichstag
Foster and Partners - Berlin (D) - 1999
Reichstag, Foto: Wagner Biró

Shopping Mall, Parlament?

Eine äußerst heikle, weil symbolträchtige Bauaufgabe: Der Berliner Reichstag war für das Parlament des wiedervereinigten Deutschland zu adaptieren. Norman Fosters transparente Lösung ist eine Aussage zur Idee der Demokratie.

13. März 1999 - Christian Kühn
Unter all den Bauaufgaben im wiedervereinigten Deutschland ist der Umbau des Berliner Reichstags wohl die symbolträchtigste. Die Entscheidung, keinen Neubau zu errichten, sondern aus dem leichten Glashaus in Bonn in das wilhelminische Gemäuer im Zentrum Berlins, einen Bau von Paul Wallot aus dem Jahr 1894, zu übersiedeln, ist dem deutschen Bundestag nicht leicht gefallen. Bis 1932 hatte hier das demokratisch legitimierte Parlament getagt. Der Brand des Reichstags im Jahr darauf war für Hitler Anlaß, die Weimarer Republik endgültig auszulöschen und durch Notverordnungen die Grund- und Freiheitsrechte in Deutschland außer Kraft zu setzen. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude beschädigt und von der Roten Armee gestürmt. Eine Sanierung in den sechziger Jahren beschränkte sich es wieder nutzbar zu machen.

Diesen historischen Ort für das Parlament der jungen „Berliner Republik“ zu adaptieren führte zwangsläufig zur Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte unter den Gesichtspunkten von Kontinuität und Differenz. Sir Norman Foster, von dem die Planung für den Umbau stammt, hat sich vordergründig an eine Metaphorik gehalten, die jeder Politiker versteht: Weil Transparenz einer Demokratie gut ansteht, sollen auch ihre Gebäude transparent und vom Licht der Aufklärung durchflutet sein. So hingeschrieben, ist das natürlich reinster Kitsch. Als gebaute Hoffnung hat es vielleicht eine gewisse Berechtigung. Aber schon Günther Behnischs gläserne Kiste in Bonn hatte mehr zu bieten. Ihre Qualität lag vor allem in der Zerbrechlichkeit, die sie ausstrahlte und die der Vorläufigkeit des geteilten Deutschland entsprach. Daß die Gläser in Wahrheit granatensicher waren, änderte nichts an der Botschaft.

Hätte sich Foster in Berlin darauf beschränkt, die schweren Massen des Altbaus einfach durchsichtiger und lichter zu machen, wäre kaum mehr herausgekommen als eine Konzernzentrale für die wiedervereinigte Deutschland AG. Seine große Leistung besteht darin, mit der vertikalen Sequenz von Plenarsaal und Kuppel einen der ungewöhnlichsten und irritierendsten Räume geschaffen zu haben, die je gebaut wurden. Wer hier nach der Einweihung am 19. April eine Politik des reinen Pragmatismus betreibt, muß es zumindest mit schlechtem Gewissen tun.

Foster gelang es, seinen Bauherrn von der anfangs gewünschten Rekonstruktion der alten Kuppel abzubringen und von einer Lösung zu überzeugen, bei der Plenarsaal und Kuppel zu einer über 40 Meter hohen vertikalen Sequenz zusammenfaßt sind. Diese Lösung ist auf den ersten Blick simpel: Der Plenarsaal wird mit einem Glasdach gedeckt, darüber sitzt die Kuppel als leichter, verglaster Stahlkorb. An dessen Innenseite entlang führen zwei öffentlich zugängliche Rampen zu einer Aussichtsplattform, die frei in den Kuppelraum gehängt ist – eine Anordnung von einigem symbolischen Witz: Wenn das Volk über die Rampe zur Aussichtsplattform aufsteigt, ist es für die Parlamentarier stets präsent und kann ihnen umgekehrt durch die Glasdecke bei der Arbeit zusehen.

Seine besondere Qualität bekommt der Kuppelraum erst durch zwei Einbauten, die ihre ästhetische Bestimmung hinter äußerst vernünftig-funktionellen Bezeichnungen verbergen: einen Lichtkonus und einen Sonnenschutz. Der Lichtkonus, ein spitz zulaufender Rotationskörper, bildet das räumliche Gegengewicht zur Schalenform der Kuppel. Seine Außenseite ist mit Hunderten von Spiegeln verkleidet, die einerseits die Besucher auf den Rampen in ebenso vielen Facetten reflektieren und andererseits Licht in den Plenarsaal leiten. Der Lichtkonus durchdringt die Glasdecke über dem Plenarsaal und schwebt so wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Parlamentarier. In seinem Inneren befindet sich eine Lüftungsanlage für den Plenarsaal, die über Öffnungen in der Kegelspitze die warme Luft von dort absaugt. Der Sonnenschutz, ein blattförmiges, organisch anmutendes Gebilde, ist ebenfalls frei von der Plattform abgehängt. Angetrieben von kleinen Elektromotoren, bewegt er sich in einer langsamen, dem Sonnenstand folgenden Bewegung die Innenseite der Kuppel entlang.

Diese Einbauten machen die Kuppel zu einer beinahe surrealistischen Inszenierung: ein dichtes Geflecht aus konkaven und konvexen Kurven, ein Spiegelraum mit eingebautem Chronometer, zugleich ein Augapfel, in den der Keil des Lichtkonus bedrohlich hineinragt.

Hanno Rauterberg hat in der „Zeit“ kritisiert, daß dieser Raum zu sehr den spektakulären Innenräumen der Shopping Malls gleiche, daß er wie sie um die Aufmerksamkeit der Schaulustigen buhle und damit die Demokratie zu einem Dienstleistungsbetrieb degradiere. Nicht Bedeutung, sondern Erlebnis präge die neue Kuppel. Vom geheimnisvollen Zukunftsversprechen, das sich hinter Christos und Jeanne-Claudes Verhüllung des Reichstags verborgen habe, seien nur Show und Spektakel übriggeblieben. Aber diese Kritik wird dem Kuppelraum nicht gerecht: Während die Inszenierung der Shopping Mall nichts anderes leisten soll, als den Besucher zu blenden, ist er hier ein Beobachter, der in ein gigantisches Meßinstrument einsteigt – und sich dann plötzlich selbst in einer der spiegelnden Facetten wahrnimmt. Mit den beschränkten Mitteln, die der Architektur zur Verfügung stehen, um eine abstrakte Idee auszudrücken, macht Foster hier eine überzeugende Aussage zur Idee der Demokratie.

Die Implantation einer neuen Aussage in einen historisch brisanten Altbestand: damit ist in Berlin ein Schritt zur kulturellen Identitätsfindung mit den Mitteln der Architektur gelungen, der in Wien sowohl beim Ronacher als auch bei den Redoutensälen (um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen) verweigert wurde. Immerhin gibt es in Berlin einen österreichischen Beitrag: Die Ausführung der Kuppel stammt vom Wiener Stahlbauunternehmen Waagner-Biró, das in Berlin auch die technisch noch weit komplexere Überdachung des Sony-Centers baut. Daß Waagner-Biró beim Reichstag zum Zug gekommen ist, liegt vor allem an der Fähigkeit, dem bedingungslosen Qualitätsanspruch des Büros Foster folgen zu können. Die surrealistische Wirkung des Kuppelraums lebt von der Qualität im Detail, von der Art, wie alle Elemente voneinander abgesetzt sind und zu schweben scheinen. Rampen, Lichtkonus und Plattform sind mit dünnen Verbindungselementen von den Stahlrippen der Kuppel abgehängt, und auch das große Blatt des Sonnenschutzes ist nur mit seinem oberen Ende an der Plattform befestigt und dreht sich ansonsten frei im Raum.

Dieses Freispielen der Elemente stellte höchste Anforderungen an Konstruktion und Ausführung. Komplizierte, für jede horizontale Position eines Kuppelsegments unterschiedliche Guß- und Strangpreßteile stellen die Verbindungen her. Als höchst komplex erwies sich auch die Ausführung der beiden Spiralrampen, in deren schlan-ken Querschnitten sowohl die Entwässerung als auch die Leitungen für die Klimatechnik geführt werden mußten.

Wer sich die Photos vom Bauablauf ansieht, ist fasziniert davon, wie zwischen Computern, Schweißrobotern und hydraulischen Bühnen immer noch die Archaik des Bauens spürbar wird. Die Kuppel, die Brunelleschi im Florenz des frühen 15. Jahrhunderts für den Dom errichtete, hat konstruktiv mit jener des Reichstags nur wenig gemein (obwohl sie ihr ziemlich exakt in den Dimensionen entspricht); als zugleich künstlerische wie konstruktive und organisatorische Leistung aber sehr viel. Daß auch das Werk eines „Stararchitekten“ zu einem großen Teil darin besteht, einen Qualitätsanspruch an eine große Zahl von möglichst kongenialen Partnern zu vermitteln, hat schon Brunelleschi erkannt. Seine legendäre Auseinandersetzung mit den zünftig organisierten Baumeistern und Steinmetzen hatte das Ziel, diese auf „Innovationskurs“ zu bringen.

Im heutigen globalisierten Wettbewerb wird diese Qualität immer entscheidender. Der gute Ruf, den Waagner-Biró sich mit den Berliner Projekten erworben hat, lohnt sich: Derzeit arbeitet dieselbe Projektgruppe unter der Leitung von Johann Sischka, die schon den Reichstag betreut hat, an einem neuen Projekt nach dem Entwurf von Foster Associates, der Überdachung des Innenhofs im British Museum in London. Der Entwurf sieht ein gekrümmtes Stahltragwerk vor, das eine Fläche von 6000 Quadratmetern bedeckt. Unter den rund 5000 Knoten gibt es über 1800 unterschiedliche Typen, die nur mit computerunterstützten Produktionsverfahren erzeugt werden können. An Innovation wird es auch dort nicht fehlen.

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