Bauwerk

Reichstag
Foster and Partners - Berlin (D) - 1999
Reichstag, Foto: Barbara Staubach / ARTUR IMAGES
Reichstag, Foto: Jochen Helle / ARTUR IMAGES
Reichstag, Foto: Jochen Helle / ARTUR IMAGES

Wie man Bedeutung vermeidet

Gedanken zum neuen Berliner Reichstag

28. April 1999 - Werner Oechslin
Ein Symbol des wiedervereinigten Deutschland sollte es werden. Die Politiker hatten sich was vorgenommen und sich, das kann man nicht bestreiten, auch sehr um das Gebäude gekümmert. Was vorerst als Umbau «im geringst möglichen Umfang» anvisiert wurde, geriet zu einem 600- Millionen-Projekt, ohne dass sehr viel mehr als eine gewöhnliche Renovierung vorgenommen worden wäre. Das scheint jetzt - unabhängig vom Preis - auch der Architekt so zu sehen. Sie, die Architekten, seien gebeten worden, «einen Bus zu entwerfen, und plötzlich sollte es nur noch ein Kleinwagen sein - ein wichtiger Kleinwagen, aber eben kein Bus».

Gleichwohl durfte Norman Foster eine Kuppel bauen, die andere vorgeschlagen hatten. Die Politiker, genauer die architektonisch allein kompetenten Alt-Funktionalisten unter ihnen, forderten nur, dass sie von aussen wie innen und auch von unten sichtbar sei. Da zeigte sich die feste, durch nichts zu erschütternde Überzeugung, dass (fast- oder halbdurchsichtiges) Glas ganz unmittelbar auf politische Transparenz schliessen lasse. «Demokratie als Bauherr!» Das Konzept sollte sich einmal mehr bewähren, und der Architekt quittierte, sie hätten jetzt «so etwas wie einen Leuchtturm für den demokratischen Prozess gebaut», womit nun offensichtlich ganz präzis der Symbolgehalt des teuren Unternehmens beschrieben war.

«Dem deutschen Volk!» Jetzt dürfen die Bürgerinnen und Bürger, aber auch andere Besucher, per Aufzug in den Kuppelraum fahren und das Berliner Panorama geniessen. Man profitiert vom Ausblick (wie beim Centre Pompidou) und vom Raumerlebnis im Innern, das mit dem riesigen halbverspiegelten Konus Nouvels gläsernes Experiment in den Galeries Lafayette in den Schatten stellt, ein grandioser «Cloud Club» à la Chrysler Building mit der imposanten Mittelstütze eines mächtigen englischen Chapter House, oder eben doch nur die Umsetzung eines Bildes von Poelzig, das auf dem Umschlag eines bekannten Buches zur «Architektur des Expressionismus» abgebildet ist. Die Nachwelt mag darüber staunen, was alles dieser demokratischen Transparenz-Idee zu entlocken ist.

Diese luftige Vorstellung hat sich so sehr eingeprägt, dass man jetzt einfach nicht mehr erinnern will, dass hier am protzigen Reichstag - und natürlich nicht in der Kuppel, die als blosses Glas-Eisen-Dach funktional gedacht war - im November 1918 die Republik ausgerufen wurde. Jetzt zeigt sich der Reichstag frisch restauriert. Man hat ihn entkernt, archäologisch seziert und - so scheint es - freigelegt von aller störenden Geschichte. Nicht der Zustand von 1894, als der Reichstag sein Haus bezog, auch nicht derjenige von 1918, als die Republik ausgerufen wurde, ist wiederhergestellt. Auch gegenüber dem Umbau von Baumgarten (1960-73) galt kein Respekt. Ihm hatte man vorgeworfen «ein historisches Denkmal zu erhalten» und «Hoffnung auf Einheit zu dokumentieren», jedoch nicht ein funktionierendes Parlamentsgebäude konzipiert zu haben. Nun ist die Einheit da und Baumgartens Einbau weg. Was ist denn noch vom steinernen Monument Wallots geblieben? Fein säuberlich renoviert, zeigt sich der Zustand von 1945, ein Zustand der Zerstörung, den die Sowjetarmee hinterliess, nachdem sie hier gegen das vermeintliche Symbol der Hitler-Herrschaft gewütet hatte. Da sind sie nun zu sehen, die Graffiti - wie in der Domus Aurea und in Pompeji und von ähnlich gewichtigem Gehalt. Die zufällig zurückgelassenen Kritzeleien sind jetzt, denkmalpflegerisch präpariert, zum geschichtlichen Gehalt des alten neuen Reichstags promoviert worden. Hier hat sich die Idee der «Demokratie als Bauherr», so scheint es, in eine unmonumentale Demutsgeste verwandelt. Das mahnmalgeschüttelte Berlin will von solchen Gesten offensichtlich nicht lassen.

Man stelle sich vor, man hätte einfach den alten Reichstag wieder hergerichtet, ohne Kuppelerlebnis, ohne museale Nebentöne, ohne die konservierten Einschusslöcher! Ganz einfach als Parlamentsgebäude, das sich im Wallot-Bau im internationalen Vergleich - auch ohne die teuren Rechtfertigungsmassnahmen - durchaus als solches zu erkennen gegeben hätte. «Dem deutschen Volk!» Was hat man nicht alles getan, um den Geruch des Monumentalen, um alles Pathos-Verdächtige abzustreifen. Eine Reihe von neuen Begriffen wie «Arbeitsparlament», «Werkstatt des Parlaments», «moderate Würde» sind erfunden worden. Nur das Naheliegendste durfte es wohl nicht sein: ein repräsentatives, historisches Gebäude, das bei allen Einschränkungen seine Eignung unter Beweis gestellt hat, funktionstüchtig und - ganz normal eben - repräsentativ.

Statt dessen hat man wieder einmal Öffentlichkeit mit Rummel vertauscht. Und da die Symbole und Bedeutungen im medialen Zeitalter ohnehin von ihren Inhalten abgelöst, frei verfügbar durch den Äther gleiten, kann man besser als je zuvor Graffiti als Geschichte und Glas als Demokratie verkaufen. Die Beliebigkeit ist längst verinnerlicht. Und Berlin, das dem zugegebenermassen schwierigen Test ausgesetzt ist, eine neue Hauptstadt zu begründen, stolpert von einer Peinlichkeit zur andern, von Gedenkstätte zu Mahnmal und umgekehrt. Die Angst vor der Geschichte geht um! Da war wohl Norman Forster die richtige Wahl. Von Lloyds und Hongkong kommend, sollte er unbefangen die «grand manner» in die mufflige Provinz bringen. Berlin braucht Stars! Auch wenn es bloss um einen «Kleinwagen» geht!

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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