Bauwerk

Gartensiedlung – Am Hofgartel
Geiswinkler & Geiswinkler - Wien (A) - 2003
Gartensiedlung – Am Hofgartel, Foto: Manfred Seidl

Schräg am Gartel

Wie man Licht und Sonne in Wohnungen und zugehörige Freibereiche bekommt und trotzdem Privatheit wahrt: Anschauungsbeispiel Leberberg von Geiswinkler & Geiswinkler Architekten.

27. April 2003 - Liesbeth Waechter-Böhm
Was da so silbrig schimmert am Rand der Leberberg-Bebauung in Wien, das ist eine Wohnanlage, der man auf den ersten Blick gar nicht ansieht, dass sie im Rahmen der herrschenden Baubestimmungen etwas Besonderes ist - nämlich Geschoßwohnungsbau (Bauklasse 3) in Holz-Leichtbauweise, wofür es in der Bundeshauptstadt einer Sondergenehmigung bedarf. Geiswinkler & Geiswinkler Architekten haben diese Sondergenehmigung (mit einigen Auflagen) bekommen und diese Chance auch genutzt: Sie führen höchst überzeugend vor, dass der industriell vorgefertigte Holzbau, die Tafelbauweise, eine Technologie der Zukunft ist.

In Vorarlberg müsste man das nicht mehr beweisen, da gibt es längst ausgetüftelte Systeme. Aber in Wien bedeutet ein solches Unterfangen Pionierarbeit. Die Geiswinklers haben schon vor Jahren, bei ihrem Kindergarten, auf diese Bauweise gesetzt. Dass sich der Bauträger am Leberberg, das „Neue Leben“, noch unter seinem früheren Direktor Klemen, darauf eingelassen hat, zeigt wieder einmal, was in den eingefahrenen Bahnen des geförderten Wohnbaus zu bewegen wäre, wenn auf Bauherren-Seite nicht gar so fest gefahrene Vorstellungen darüber herrschten, was ankommt und was nicht. „Gott sei Dank gibt es in der Architektur diese Regeln nicht“, geben sich die Geiswinklers erleichtert: „Es gibt nicht richtig oder falsch. Es stimmt auch nicht, wie das manche Bauträger behaupten, dass die Leute keine Maisonetten wollen. Man könnte sogar Turmhäuser bauen. Was wirklich zählt im Wohnbau, in der Architektur allgemein, das ist immer noch: Ist es gut oder schlecht.“

Ist es gut oder schlecht? Die Antwort, die Geiswinkler & Geiswinkler Architekten geben, hat eine feine Analyse zur Voraussetzung. Sie haben sich gefragt, was man bieten muss, um Menschen den Entschluss zu erleichtern, auf den Leberberg zu ziehen - schließlich ist das eines der problematischen Wiener Stadterweiterungsgebiete: unheimlich dicht bebaut, verkehrstechnisch ganz schlecht angeschlossen an das innere Stadtgebiet.

Die Antwort der Geiswinklers: Wenn ausnahmslos jeder Wohnung ein Freibereich zugeordnet ist, der mehr kann als der simple Balkon, die Terrasse, die Loggia. Es ging also um einen Freiraum-, einen Grünbezug, der nicht nur Alibifunktionen erfüllt. Bei den heutigen städtebaulichen Dichten ist das ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Man sieht es daran, dass das Grundstück ursprünglich einem anderen Bauträger gehört hat, der einen anderen Architekten beauftragt hatte. Und der hat über 9000 Quadratmeter Nutzfläche erzielt. Dann hat das „Neue Leben“ das Grundstück übernommen, und die Geiswinklers haben einen Vorschlag gemacht. Der umfasst allerdings nur 5400 Quadratmeter Nutzfläche - sicher ganz im Interesse der künftigen Bewohner.

Die Anlage umfasst einen quer stehenden Nord-Süd-Riegel und drei Riegel, die ost-westorientiert sind. Die Haupterschließung führt zu einem zentralen Anger - mit drei Brunnen des Vorarlberger Künstlers Fridolin Welte in Beton, Stahl und Holz und einer Obstbaum-Bepflanzung: Kirsche, Apfel, Birne, Zwetschke.

Was einem hier, am Anger, zum ersten Mal so richtig auffällt, das ist die Lösung der Gärten zu ebener Erde: Sie sind durch Mauern gefasst und haben auch einen direkten Eingang vom Seitenweg her. Er führt durch einen überdachten Bereich zum offenen Vorgarten. Das Niveau der Gärten ist etwas höher. Das heißt, man sieht hinaus, aber vom tiefer liegenden Weg draußen nicht hinein. Das nennt man Privatheit.

Dieses Gebot der Privatheit war überhaupt ausschlaggebend für die Gesamtlösung. Die Hausfassaden kippen um acht Grad nach hinten. Das ist kein modisches Aperçu im Zeichen der Schräge, sondern eine Maßnahme, die zur Folge hat, dass man im Garten steht und über sich nichts hat, dass man sich wie im Vorgarten eines Reihenhauses fühlt. Die Maßnahme ist übrigens doppelt codiert: Sie relativiert auch die ziemlich engen Abstände innerhalb der Bebauung.

Beim Städtebau der Geiswinklers geht es eindeutig darum: Wie kriege ich Licht und Sonne überall hin. Und es geht um das Thema Privatheit. Heute wird so viel über das Thema Flexibilität geredet, auch im Wohnbau. Es werden Wohnbauten errichtet, die es ermöglichen, dass man je nach Bedürfnislage auch einmal das eine oder andere Zimmer der einen oder anderen Wohnung zuschlägt. Hier geht das nicht, es würde das Konzept der „Privatheit“ zerstören. Denn wenn man plötzlich hergeht und ein Zimmer der Nebenwohnung einer anderen Wohneinheit anschließt, dann würde der Bewohner seinen Nachbarn ja in den Garten schauen. Also, das geht nicht. Die Geiswinklers haben dieses Problem trotzdem gelöst: Sie haben mit den überdachten Bereichen zu ebener Erde, auch mit den gedeckten Dachbereichen, alle durch einen eigenen Zugang erschlossen, potenzielle Erweiterungsmöglichkeiten geschaffen. Es geht ganz leicht, aus diesen zusätzlichen, auch jetzt schon „gedeckten“ Bereichen, winterfeste Räume zu machen. Apropos Tafelbauweise: Man muss nur die einzelnen Elemente abschrauben, eine Wärmedämmung hineingeben, und dann - voilà - braucht man die Raumeinheiten nur noch zu schließen, einen eigenen Eingang haben sie sowieso.

Das Wohnungsangebot ist in dieser Anlage hinsichtlich der Größe an den Möglichkeiten im sozialen Wohnbau orientiert. Die Mehrzahl der Wohnungen umfasst zirka 80 Quadratmeter. Wenige haben über 100. Aber die haben dann auch zwei Dachterrassen. Und im Nord-Süd-Riegel gibt es erdgeschoßig Behindertenwohnungen, die nur auf einem Level und natürlich barrierenfrei abgewickelt wurden. Das Haus darüber ist dann so zoniert: unten die Behindertenwohnungen, darüber Maisonetten mit Garten, noch darüber Maisonetten mit Dachgarten.

Von diesem Standort, vom Dachgarten des Nord-Süd-Riegels, überblickt man dann auch die unheimlich aufgeräumten Dachflächen der Geiswinklers: Jeder Wohnung ihr Schacht und ansonsten - eine glatte Fläche. Mehr nicht. Weniger nicht.

Es gäbe viel zu den verschiedenen Grundrissen anzumerken. „Wir haben nie auf schräge Wände, spitze Winkel und Rampen gesetzt“, stellen die Geiswinklers klar: „Wenn man nur 80 Quadratmeter zu Verfügung hat, dann muss man alles sehr genau einteilen, und man muss immer im Auge haben, dass es darum geht, größer zu wirken, als man tatsächlich ist.“

Kein Mensch würde auf die Idee kommen, dass, was da an der Wohnanlage auf dem Leberberg ziemlich silbrig schimmert, Holz-Tafelbau ist: die Laminatplatten an der Fassade. In Beton ist der Liftturm ausgeführt, der mit Röhren an den Nord-Süd-Riegel angekoppelt und die Queraussteifung für den ganzen Baukörper ist. Aber das sind konstruktive Details der profilierten Statiker Gmeiner & Haferl. Komischerweise wird bei den Statikbüros heutzutage am meisten gespart. Das ist ein Fehler. Geiswinkler & Geiswinkler Architekten konnten glücklicherweise „ihr“ Statikbüro einbringen, das war auch entscheidend.

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