Bauwerk

Wiener Werkbundsiedlung
Josef Frank - Wien (A) - 1932

CSI Mauerwerk

Es ist vollbracht: Diese Woche wurden die ersten vier Häuser der Wiener Werkbundsiedlung übergeben. Beinahe eine Sanierung wie aus dem Bilderbuch. Bloß, wo ist das Museum?

23. Juni 2012 - Wojciech Czaja
„Am Anfang hatten wir eine unglaubliche Ehrfurcht vor dem Projekt“, erinnern sich die beiden Architekten Azita Goodarzi und Martin Praschl vom Wiener Büro P.Good. „Darf man auf ein altes Haus von Gerrit Rietveld oder Josef Hoffmann denn überhaupt mit dem Presslufthammer einschlagen? Muss man die nicht viel eher streicheln?“

Nach rund zehn Monaten sind die massiven Streicheleinheiten beendet. Am Mittwoch luden Wohnbau-Stadtrat Michael Ludwig, Landeskonservator Friedrich Dahm sowie Josef Wiesinger, Geschäftsführer der Wiener Substanzerhaltungs GmbH & Co KG (Wiseg) zur feierlichen Eröffnung in die Wiener Werkbundsiedlung. In brütender Hitze, unter knallig bunten Sonnenschirmen zusammengepfercht, fanden sich Architekten, Journalisten und neugierige Nachbarn ein, um - rechtzeitig zum 80. Jubiläum der 1932 eröffneten Werkbundsiedlung - die Sanierung der ersten vier Häuser zu bestaunen.

„Es sind zwar nur vier Wohnungen, und das ist wahrscheinlich das kleinste Wohnbauprojekt, das ich je eröffnen durfte“, sprach Michael Ludwig ins Mikrofon. „Dennoch ist es einer der historisch bedeutendsten Gebäudekomplexe in unserer Stadt, aber auch weit darüber hinaus.“ Im Gegensatz zu anderen Werkbundsiedlungen in Stuttgart, Zürich, Brünn und Prag befindet sich jene in Wien nach Auskunft von Experten nämlich in einem außerordentlich guten Zustand.

„Natürlich war die bauliche Qualität der Werkbundsiedlung so wie bei fast allen Bauten aus dieser Zeit nicht besonders hoch, und das Projekt war dringend sanierungsbedürftig“, sagt Friedrich Dahm vom Bundesdenkmalamt (BDA) zum STANDARD. „Doch in keiner anderen Siedlung in Europa ist heute noch so ein hoher Anteil an originalen Bauteilen und originalen Materialien erhalten wie hier.“

Der Befund des BDA ergab: Rund 80 Prozent aller Türen und Fenster und der dazugehörigen Tür- und Fensterbeschläge sowie 50 Prozent aller Verputze befanden sich im Originalzustand. Und in einem der vier sanierten Häuser, in der Woinovichgasse 20 von Architekt Gerrit Rietveld, lag sogar noch der 80 Jahre alte Linoleumboden - Druckstellen, Kratzer und historische Rundsiegel-Firmenprägung in der Raummitte inklusive.

80 Jahre alte Linoleumböden

Die Handwerker und Denkmalschützer scheuten keinen Aufwand. Mühsam kratzten sie alle noch bestehenden Linoleumoberflächen des über mehrere Häuser verteilten Fleckerlteppichs zusammen, schabten vorsichtig ab, was abzuschaben war, transferierten die Preziosen von einem Haus ins andere und füllten damit hässliche, im Laufe der Zeit entstandene Lücken und Löcher.

„Das war eine ziemlich langwierige Angelegenheit“, sagt Dahm. Nachdem Linoleum ein homogener, fugenloser Holzmehlwerkstoff ist, mussten die unterschiedlichen Fundstücke sorgfältig miteinander verbacken und verschliffen werden. Das Endergebnis (Foto Mitte) ist ein dunkelgraues Etwas mit viel Patina und viel Geschichte, das gewiss nicht jedem gefällt. Doch schon gibt es die ersten Interessenten. Sie wollen just das Haus mit dem alten Linoleumboden und kein anderes.

„Die Arbeiten an den drei Rietveld-Häusern und an dem einen Hoffmann-Haus sind wirklich in die Tiefe gegangen“, meint Susanne Beseler, Restauratorin für Putz und Stein. „Wir hatten hier die Gelegenheit, Materialproben zu entnehmen und im Labor ganz genaue Schichtanalysen unter dem Mikroskop vorzunehmen. Das war wie in einer CSI-Krimiserie. Das passiert dir in diesem Beruf nicht jeden Tag.“

Gerade eine solche Detailtiefe sei dringend nötig, um den Bauten des 20. Jahrhunderts endlich jenen Respekt zu erweisen, den sie verdienen. „Bei Barockgebäuden ist es mittlerweile selbstverständlich, nicht nur das historische Erscheinungsbild zu bewahren, sondern auch die historischen Materialien und die historischen Fertigungsmethoden. Bei der Moderne ist dieses Denken noch wenig verbreitet.“ Mit der Sanierung der Werkbundsiedlung, so Beseler, habe man nun ein Exempel für die kommenden Jahrzehnte statuiert.

Nicht nur bei handwerklichen Belangen, auch in puncto Bauphysik ist die ehemalige Musterwohnsiedlung in Hietzing ein Paradebeispiel für den Umgang mit Bauten der Moderne. 20 Zentimeter dicke Daunenjacken aus Styrodur und Mineralwolle sucht man hier vergeblich. „Das hätte nur die Bausubstanz zerstört“, sagt Architektin Azita Goodarzi. „Stattdessen haben wir bewiesen, dass man mit der Summe vieler kleiner Einzelmaßnahmen thermisch genauso viel erreichen kann.“

Nur nicht zu Tode sanieren

Kellerwände, Fundament und Flachdach wurden traditionell gedämmt, außerdem wurden die Fenster abgedichtet, und eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung wurde eingebaut. Dadurch soll in Zukunft Schimmelbildung vermieden werden. In Summe wurde der Heizwärmebedarf von exorbitant katastrophalen 250 kWh/m2a auf etwa 100 kWh/m2a gesenkt. Goodarzi: „So ein Gebäude wird nie Niedrigenergiehaus-Standard erreichen, aber das ist auch nicht nötig. Man muss nicht jedes Baudenkmal thermisch zu Tode sanieren.“

Die brutalste Baumaßnahme betrifft den Einbau der etwas überambitionierten Absturzsicherungen im Fensterbereich sowie einer aufgedoppelten Glasfassade im Hoffmann-Haus. Als wären Hightech-Ingenieure, bewaffnet mit Thermoschutzglas und Edelstahl, durch das Haus marschiert, tauchen nun hie und da gestalterische Eingriffe auf, die so penetrant den Zeitstempel des herbeigesehnten 22. Jahrhunderts tragen, dass es schon wehtut. Da wurde der Genius Loci mit dem Architektenskalpell malträtiert. Patient tot.

„Gebürstetes Niro ist ein Fremdmaterial, das in der Werkbundsielung sonst nicht vorkommt“, erklärt Architekt Martin Praschl das gestalterische Konzept. Dabei hätte es auch bleiben können. „Doch so sind wir nun in der Lage, die beiden Bauphasen 1932 und 2012 deutlich voneinander zu trennen und dem Denkmal auf diese Weise den nötigen Respekt zu erweisen.“

Das sind Luxusproblemchen. In Summe ist der Stadt Wien nämlich - das verrät schon das Lächeln der Denkmalschützer und Konservatoren - ein beeindruckender Sanierungs-Kick-off gelungen. Rund eine Million Euro wurde in der ersten Bauphase investiert. Für die restlichen 44 Werkbund-Häuser der Stadt Wien, die bis 2016 saniert werden sollen, stehen weitere neun Millionen Euro zur Verfügung.

Wer die Presslufthämmer und CSI-Putz-Forensiker in sein Mietobjekt einlädt, muss allerdings mit einer Mieterhöhung von 1,50 Euro auf 6,20 Euro pro Quadratmeter rechnen. Und: Die Bewohner jener 22 Werkbund-Häuser, die sich in Privateigentum befinden, können sich der Sanierungsoffensive nach Absprache anschließen.

Fast vergessen hallt es aus der Vergangenheit: War da nicht mal von einem Werkbund-Museum die Rede? Wollte man das Denkmal der Moderne einst nicht auch einem öffentlichen Publikum zugänglich machen? „Ein Museum hätte keinen Sinn gehabt“, meint Stadtrat Ludwig. „Erstens sind die Häuser klein und eng und für größere Gruppen nicht geeignet, und zweitens wäre das nicht im Sinne des damals projektverantwortlichen Mastermind-Architekten Josef Frank gewesen. Er wollte keine Museumsanlage errichten. Er wollte ein belebtes Wohnviertel.“
Tipp: Ab 6. September wird im Wien-Museum die Ausstellung „Werkbundsiedlung Wien 1932. Ein Manifest des neuen Wohnens“ gezeigt. Zur Ausstellung wird ein Buch erscheinen (Verlag Müry Salzmann).

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