Bauwerk

Neugestaltung der Silberkammer in der Wiener Hofburg
Alfred Brandstätter - Wien (A)
Neugestaltung der Silberkammer in der Wiener Hofburg, Foto: Vera Purtscher
Neugestaltung der Silberkammer in der Wiener Hofburg, Foto: Vera Purtscher

Am Ende einfach ausgespuckt

Nobel, zurückhaltend - oder ein starkes künstlerisches Gegengewicht? Alfred Brandstätters Gestaltung der Silberkammer in der Wiener Hofburg ist weder das eine noch das andere. Eine Enttäuschung.

8. Juni 1996 - Vera Purtscher
Endlich Frühlingserwachen, saftiges Grün der Bäume. Allerorts keimt die Lust aufs Bummeln und Flanieren. Die Zeit ist wieder reif für einen Ansturm der Touristen. Das Millenniumsjahr bietet zahlreiche Attraktionen, und Österreich wird sicher zu Recht 1996 sehr gefragt sein. Zwischen das temporäre Aktuelle schiebt sich aber auch seit einem Jahr die Neugestaltung der Silberkammer in der Wiener Hofburg. Schon der Name klingt verlockend, und doch fristete die Silberkammer seit ihrer Eröffnung, 1914, ein Schattendasein neben der „Konkurrenz“ der Kaiserappartements.

Die Sammlung historischen Küchen- und Tafelgeräts aus kaiserlichem Besitz ist als Bestand der Bundesmobilienverwaltung dem Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten unterstellt. Nur ein Teil des Bestandes konnte in sechs Räumen des Michaelertraktes der Hofburg ausgestellt werden - diese Sammlung ist bis heute fast unbekannt geblieben. Aus der ersten „Museumsmilliarde“ wurden die Sanierung der Silberkammer und gemeinsame Kassen, WC-Anlagen, das Entree und der Museumsshop für beide Schaustellungen - Hoftafelkammer und Kaiserappartements - finanziert.

Die imperialen Gerätschaften werden im nördlichen Teil der Hofburg gezeigt: in einem unregelmäßigen, kleinteiligen Gefüge barocker und späthistoristicher Räumlichkeiten. Drei quadratische Höfe, ein betont länglicher Hof und die neobarocke Kaiserstiege ließen nicht viel Platz. So hat man sich für die Überdachung von Spitz-, Kaiser- und Marschallhof und einer Passage entschieden. Mauern wurden verlegt oder neu errichtet.

Der Zugang führt vom Inneren Burghof zum Kaisertor. Hier fällt eine - als Museumsblickfang sattsam bekannte - architektonische Lösung ins Auge: eine Glaspyramide, sehr viel weniger gekonnt als die in Paris, dafür aber verdoppelt. En miniature dient sie als Glassturz für Ludwig Baumanns Modell des Kaiserforums. In die Tür- oder Fensterlaibungen des pyramidal gedeckten Kaiserhofes wurden Vitrinen eingebaut, die Kupferformen, kleines Porzellan und Gläser zeigen. Die entstehenden Durchblicke machen neugierig. Eine Steinbank mit ausgeprägter Fehlproportion läßt man gerne hinter sich, um den Besichtigungsobolus zu entrichten.

Die Homogenisierung der bestehenden, großteils gewölbten Räume durch den Umbau - gleiche Höhen und Fußbodenniveaus, einheitlicher Bodenbelag, durchgehend weiße Farbgebung - beraubt das Gebäude der Spuren seiner Baugeschichte und nimmt ihm Spannung. Außerdem vermißt man eine klare Raumabfolge, die den Ausstellungsbesuch erleichtern würde.

Nun muß anerkennend erwähnt werden, daß Umbauten viel Mühe und Ärger und nur selten Dank bringen. Die Aufgabe, in heruntergekommenen, historisch bedeutsamen Räumen alle sicherheits- und haustechnischen sowie die musealen Erfordernisse unter einen Hut zu bringen und dabei behindertengerecht zu verfahren, zwingt den Planer in ein starres Korsett. Der Großteil der Unsummen verschlingenden baulichen Maßnahmen bleibt dem Auge verborgen: Architekt Alfred Brandstätter hat eine undankbare Aufgabe übernommen.

Er hat auch jenen Vitrinentyp entwickelt, der sich in allen Räumen findet: Egal, ob die Vitrinen freistehend oder mit der Wand verbunden, hoch oder niedrig, tief oder seicht sind - sie sind weiße Behälter auf einem mühsam gefügten Stabkonvolut. Viertelkreisförmig angeschnittene Rundhölzer nehmen zuoberst auf dem Gestänge die Vitrine selber auf. Der Abschluß ist immer halbkreisförmig ausgebildet - laut Architekt inspiriert durch die Linienführung der Gewölbe. Stehlampen in weißen Röhren geben sich unscheinbar, verschwinden nahezu. Manchmal findet sich eine kleine Apsis, in der, halbkreisförmig angeordnet, größere Objektgruppen gezeigt werden. Tatsächlich spürt man, daß es sich um übriggebliebene Nischen handelt.

Kein Bezug der Schaustücke zueinander ist erkennbar, die Aufstellung erscheint völlig beliebig. Wer hat denn nur die herrlichen Stücke angehäuft? Das kostbare Gut, haufenweise aufgetürmt, läßt dieses billig erscheinen. Weniger wäre mehr gewesen! Es scheint so schwer gewesen zu sein, eine Auswahl zu treffen, daß zu allem Überfluß mancherorts auch noch große Spiegel die zahlreichen Exponate optisch verdoppeln.

Der Mailänder Tafelaufsatz von 1838 endet halbrund - ein Anlaß, auch den Raum halbrund münden zu lassen. Da treppt sich nun, sakral anmutend, eine Apside in die Höhe und stellt, von oben mit ausreichendem Licht versehen, vielerlei aus. Man fragt sich dennoch ratlos, weswegen für das Glasdach solch postmoderne Formen aufgegriffen werden mußten.

Dieser kleine, neu überdachte Lichthof wird ringsum von Fenstern begleitet. Diese sind bemerkenswert, handelt es sich doch um die einzigen originalen Hildebrandtschen Fenster mitsamt den ursprünglichen, verzinnten Beschlägen. Aus Mooreiche gefertigt, überlebten sie, mehrfach überstrichen, bis ihre Einzigartigkeit vom Architekten entdeckt und ans Tageslicht geholt wurde. Durch diese Fenster darf der Besucher, allerdings behindert durch die Barriere einer Vitrine, auf den berühmten Tafelaufsatz blicken. Wieder das Thema des seltsam anmutenden Gestänges. Brandstätter sieht darin die „barocke Allüre des geschwungenen Tischbeins“. Sein Motiv war das „Rohr“: Die gesamte Ausstellung ist eine Deklination des „Rohres“. Brandstätters Interpretation erscheint eher mutwillig modisch und kaumnachvollziehbar.

Im Raum E häufen sich jene Steinbänke, die schon beim Zugang Bestürzung ausgelöst haben. Darf es denn sein, daß Design dieser Qualität an so prominentem Ort aufgestellt wird? 20 Zentimeter hohe Steinbalken ruhen auf stählernen T-Trägern, an die je ein Röhrchen geschweißt wurde. Der spaltbare Stein - die beigegrauen Kehlheimer- Platten tun am Boden ihren Dienst - wird bei der Bank zu einem massiven Stück: im Mittelteil gerundet, am Ende scharfkantig und leicht ornamentiert. Instinktiv spürt man die Vergewaltigung des Materials.

Im Raum G atmet man auf. Hier wird, in altväterischer Weise den Wänden entlang, gezeigt, was man hat. Die ursprüngliche Silberkammer, ein Geheimtip für Insider, wurde generalsaniert. Unter Linoleum moderte zuvor Parkettboden, die alten Vitrinen waren teilweise desolat. Architekt Brandstätter übte sich hier in Zurückhaltung, und die Sanierung kann als durchaus geglückt gelten.

Dieser auf der Seite der Schauflergasse gelegene Trakt repräsentiert viel mehr Großzügigkeit und Nonchalance als der überfrachtete, zuvor beschriebene Teil. Konventionelle museale Präsentation - nicht aufregend, aber aufschlußreich, nicht spektakulär, aber angemessen. Ich rede nicht einer ausschließlich konservativen Auffassung von Ausstellungsgestaltung das Wort - nur läßt sich an Hand der Wiener Tafelsilbersammlung geradezu exemplarisch eine falsch verstandene Überinszenierung mit einer traditionellen Schaustellung vergleichen. Der Gast, der auch die Kaiserappartements besucht, wundert sich über die museale Wegführung. Am Ende begleitet ihn und das Treppenhaus bewegt fließender Stuck. Mir nichts, dir nichts findet er sich im Freien wieder - auf den Ballhausplatz „ausgespuckt“, muß er verdutzt feststellen.

Ein Staatswesen präsentiert sich in vielfältiger Weise. Museen dienen der Selbstdarstellung. Es gilt also, ihrer Gestaltung besonderes Augenmerk zu schenken. Im Umgang mit prachtvollen Exponaten muß der Entwerfer eine deutliche formale Lösung bieten - subtil, nobel, zurückhaltend - oder mit starkem gestalterischem Gegengewicht antworten. Beides ist in der Silberkammer nicht geschehen. Glanz und imperiale Pracht werden nicht reflektiert, die Anordnung der Exponate ist dekorativ, zufällig, jeder Zusammenhang wird vermißt. Ein bitterer Nachgeschmack bleibt.

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