Bauwerk

Hotel Zürichberg - Erweiterung
Burkhalter Sumi Architekten - Zürich (CH) - 1995
Hotel Zürichberg - Erweiterung, Foto: Heinrich Helfenstein

Spanschachtel am Zürichberg

Das Zürcher Architektenpaar Marianne Burkhalter und Christian Sumi befaßt sich seit über zehn Jahren mit den tonischen Spannweiten des Holzbaus. Ihre Arbeiten können derzeit im „Architektur Zentrum Wien“ beurteilt werden.

9. November 1996 - Walter Zschokke
Holz ist geduldig. Das zeigt sich daran, daß es sowohl über Jahrtausende dem ländlichen Bauen als Hauptmaterial diente als auch im 19. Jahrhundert, bereits weitgehend industriell und hochorganisiert, zu „Schwyzer-Hüsli“ im Laubsägestil verarbeitet wurde, die, in halb Europa verteilt, als frühe industrielle Fertighäuser erstmals in größerem Maßstab die ländliche Baukultur karikierten. Die Exponenten der Moderne waren in der Folge pathetisch bestrebt, die „richtigen“ zeitgenössischen Formen für industriell produzierte Häuser zu finden. Dabei spielte das Holz eher eine Nebenrolle, weil der Stahlbau, auch wenn er seinen Zenit schon überschritten hatte, nach wie vor als Sinnbild der Industrialisierung galt, während der neu aufgekommene Stahlbeton als Innovation schlechthin gesehen wurde.

Trotz der vermeintlichen Unaktualität hat das Holz bei der Modernisierung des Bauens immer wieder Freunde gefunden, die das Material für Bauwerke mit zeitgenössischem Ausdruck einsetzten, sei es wegen seiner leichten maschinellen wie handwerklichen Bearbeitbarkeit, dem geringen Gewicht bei hoher Festigkeit oder der Möglichkeit einer weitgehenden Vorfertigung in großen Teilen.

Aber auch wenn Holz geduldig sein mag, es verzeiht weder konstruktive Dummheiten noch mangelnde Erfahrung. Die relativ schmale Spur, die entlang von modernen Holzbauten durch unser Jahrhundert verfolgt werden kann, weist zahlreiche interessante und lehrreiche Beispiele auf. Frank Lloyd Wright, Konrad Wachsmann (mit Walter Gropius), Jean Prouvé mit Pierre Jeanneret und Arne Jacobson heißen einige Großväter des modernen Holzbaus.

Bei diesen Arbeiten setzten auch die Forschungen von Marianne Burkhalter und Christian Sumi an, dem Zürcher Architektenpaar, das seit Mitte der achtziger Jahre der Geschichte des modernen Holzbaus nachgespürt und mittlerweile selber ein Fortsetzungskapitel dazu verfaßt hat. Ihr Beitrag kann anhand einer Ausstellung, die am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich von Burkhalter und Sumi zusammengestellt wurde, bis 24. November im „Architektur Zentrum Wien“ nachvollzogen werden. Es handelt sich dabei nicht unbedingt um eine leicht konsumierbare Ausstellung. Wie ein Wald - oder eine Stadt - bieten sich die stelenartig aufgestellten Holzwerkstoffplatten vom einige Stufen höher liegenden Zugang her dar. Sie sind von Photographien und Plänen, zuweilen ist auch ein Modell angebracht.

Dennoch muß man sich näher mit den gezeigten Inhalten befassen, muß sich einlassen und das Bauwerk vor dem geistigen Auge selber erzeugen. Dabei sind die sorgfältigen Aufnahmen des Zürcher Architekturphotographen Heinrich Helfenstein eine große Hilfe. - Der in Österreich durch die Salzburger Sommerseminare vertraute Name Konrad Wachsmann ist auch für Burkhalter und Sumi eine erste Adresse. Es geht ihnen keineswegs um formale Anleihen, sondern um den Nachvollzug gedanklicher Prinzipien. Darauf aufbauend haben die beiden über die Jahre ein Werk geschaffen, das sich sehen lassen darf.

Ausgehend von exakten konstruktiven Überlegungen, in die auch die reichhaltigen Erfahrungen Marianne Burkhalters von einem längeren Aufenthalt in den USA einflossen, stießen sie zu Material- und Raumwirkungen vor, die sich sowohl von Mario Bottas mittlerweile fad gewordenen Selbstzitaten unterscheiden als auch von einer leicht provinziellen Detailverliebtheit und formalen Scheinradikalität, wie sie in der deutschen Schweiz in der mittleren Leistungsstufe Platz gegriffen hat. Burkhalter und Sumis Bauten sind weder hermetisch noch langweilig, aber sie referieren auch nicht an jeder Ecke, wie sie gemacht sind. Eher denke ich, daß sie eine architektonische Stimmung hervorrufen - analog einem Klang oder einem Akkord in der Musik.

Die Erweiterung des Hotels Zürichberg mag ihre Arbeitsweise beispielhaft verdeutlichen. Zwar beginnen die meisten Erklärungen dieses Bauwerks mit dem Unterbau, mir scheint es aber wesentlicher, daß neben das bestehende alte Hotel des Zürcher Frauenvereins ein autonomer Baukörper gestellt wurde, der einen elliptischen Grundriß und von außen die Form einer übergroßen Spanschachtel hat. Mit diesem selbständigen Baukörper gelingt es, dem Altbau, der bisher allein in der abfallenden Wiese vor dem Waldrand stand, seinerseits die Autonomie zu bewahren. Die eigenständige Form des Neubaus, der relative Abstand und der Verzicht auf eine Eingangssituation - der Zugang erfolgt unterirdisch - lassen eine Konkurrenz gar nicht erst aufkommen.

Hier spielt auch die äußerste Haut, eine Bespannung mit dünnen Brettern aus Redwood, ein Rolle. Im Verhältnis zum Bauwerk sind die Bretter spandünn. Im Verein mit den breiten, Durchblicken teilweise offenen Fugen und der geringen Dimension führt dies nach einer Bewitterung zu raschem Trocknen, was die Lebensdauer dieser Außenhaut erhöht. Die äußerste Schicht, die mit Klappläden, auch über die Loggien hinweg, dichtgemacht werden kann, ist jedoch für die gefühlsmäßige Wahrnehmung wichtig; sie wirkt weich, trotz der Spannung im Material, und sie vermeidet das architek hermetische Pathos, wie es derzeit bei zahlreichen Hüllenbauern beliebt ist. Eher ist diese horizontale Verschalung mit einem Schleier vergleichbar. Sie verdeckt und läßt durchscheinen und kann an strategisch wichtigen Stellen gänzlich weggefaltet werden. Diese materialmäßige und konstruktive Verbindlichkeit bildet die Grundlage für das versöhnliche Verhältnis von Neu- und Altbau.

Das Innere ist nun, entgegen den ersten Vermutungen von außen, entlang einer ansteigenden Spirale organisiert. Immerhin, wenn man genau hinschaut, erkennt man zwischen den Balkonöffnungen den Höhenversatz um ein oder zwei Bretter. Um den ebenfalls elliptischen Lichthof verläuft in Form einer sanft ansteigenden spiraligen Rampe ein Gang, an dem nach außen die Zimmertüren liegen. Dort, wo diese Folge im Boden verschwindet, werden die Hotelzimmer durch Autoabstellplätze ersetzt, die sich entlang der Rampe in den Untergrund schrauben. Dieses notwendige Zusammenpassen von oberirdischer und unterirdischer Organisation - wobei die Garagenspirale der primäre Gedanke war - bildete die Schlüsselerkenntnis im Entwurfsverlauf und stellte die Weichen für eine ganze Reihe von Detailproblemen, etwa bei den Türschwellen, die aber alle unaufgeregt gelöst wurden.

Und hier liegt vielleicht eine Erklärung für die unprätentiöse Wirkung des Gebäudes, das doch eine ungewohnte Form aufweist: Die Abgeklärtheit der Details, die schlicht gelöst, nicht zelebriert sind, läßt das Bauwerk ganz selbstverständlich dastehen.

Obwohl die Fassade nicht in einem landläufigen Sinn regelmäßig ist, denn die Balkonöffnungen sind gegeneinander versetzt, vermittelt sie Kontinuität. Dies rührt daher, weil die Gespanntheit der Form, trotz der großen Öffnungen, im Verlauf der Rundung gewahrt bleibt. Der Charakter des Bauwerks wird bewußt mit subtilen architektonischen Mitteln präzisiert. Das Ziel, eine klare, aber dennoch nicht aufdringlich wirkende Form zu schaffen, wurde erreicht.

Weder getarnt noch angeglichen, sondern paradoxerweise in verschleierter Form wurde das Verhältnis zum Altbau geklärt. Damit sind wir wieder einmal bei der klugen Bauerntochter, die im Fischernetz - weder bekleidet noch nackt - vor den mächtigen König trat. Da scheint jene „Schlagfertigkeit“ auf, von der Christian Sumi spricht, wenn er um seine Antwort zu den veränderten Bedingungen des Architektenberufs gefragt wird. In der Ausstellung füllt das Credo des Architektenpaars die eine Stirnwand - das Mittel der Wahl gegen Wiener Zweckpessimismus und Raunzertum im Hinblick auf europäische Bedingungen: „Die ständigen Anpassungen unserer Profession an das sich stets wandelnde Umfeld sind kein Symptom der Schwäche, sondern der Stärke. Wie Roland Barthes Argonauten, welche ihr Raumschiff im Flug ständig erneuern, bauen auch die Architekten kontinuierlich ihr Theoriegebäude um, ohne ,Zwischenlandung und Unterbruch‘. “

Und weiter: „Das scheinbar Unvereinbare der verschiedenen den Entwurf generierenden Parameter - institutionelle Ansprüche einer Bauaufgabe versus Möglichkeiten eines Ortes beispielsweise - bildet das Grunddispositiv jeglicher Entwurfsarbeit. Nicht das Eliminieren dieser Widersprüche, sondern der schlagfertige Umgang mit diesen Konflikten, das Zentrieren der zentrifugal auseinanderdriftenden Ansprüche und damit das Freilegen eines verborgenen Kerns ist die vorrangige Aufgabe unserer Profession und unterscheidet diese grundlegend vom Ingenieur und vom Soziologen, aber auch vom Medienfachmann.“

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at