Bauwerk

Wohnbau am Leberberg
Otmar Hasler - Wien (A)
Wohnbau am Leberberg, Foto: Walter Zschokke

Die Spannung am Blockrand

Im Stadterweiterungsgebiet Leberberg, Wien-Simmering, hat die Bautätigkeit den Zenit überschritten. Erste Bauten sind fertiggestellt. Erfreuliches Beispiel: der Wohnbau von Otmar Hasler.

12. Oktober 1996 - Walter Zschokke
Sonntag am Leberberg, Simmering: Soeben sind die Mieter in ihre Wohnungen eingezogen und machen, nachdem der Regen aufgehört hat, einen kleinen Spaziergang durch das Quartier, um einen Eindruck der sich noch täglich ändernden Umgebung zu gewinnen, die zumeist noch aus ungleich fortgeschrittenen Baustellen besteht.

Das etwa zwei Jahrzehnte alte städtebauliche Konzept für dieses ausgedehnte Stadterweiterungsgebiet wurde primär von einer Straßenplanung bestimmt. Die dazwischen verbliebenen Flächen sollten mit einer Blockrandbebauung gefüllt werden, für die im Konzept reichlich graphisch anmutende Varianten vorgesehen waren. Das Prinzip der Blockrandbebauung, aus dem 19. Jahrhundert stammend, bei dem mehr oder weniger große Höfe entstehen, findet unter zeitgenössischen Architekten und Städtebauern nicht ungeteilte Zustimmung. Doch wie bei allen städtebaulichen Konzepten kommt es auch hier darauf an, was man im Zuge der architektonischen Durchbildung daraus macht.

Die meisten der für die architektonische Durchbildung beigezogenen Architekten haben sich mit der Frage befaßt, wie die geschlossene Form des Blocks relativiert werden kann. Je nach gestalterischem Vermögen der Entwerfer und der Flexibilität des Bauträgers ergaben sich unterschiedliche Konkretisierungen. Neben eher schematisch abgewickelten Großformen und Fassaden, für die der Planer des städtebaulichen Konzepts eigenhändig verantwortlich zeichnet - ihr Anteil an der gesamten Bebauung ist nicht gering -, finden sich interessante Ansätze, an denen mit architektonischen Mitteln erzeugte Identität und Differenzierung ablesbar werden.

Der kürzlich fertiggestellte zweite Hof im Bauteil eins, südöstlich der neuen Schule an der Svetelskygasse, gehört zu dieser Gruppe. Zwei Ateliers mußten sich die Aufgabe teilen: Den nordöstlichen Winkelbau, fünf Geschoße hoch, hat Architektin Margarethe Cufer entworfen, der südwestliche Teil, eingeschlossen ein Kindergarten und ein Kindertagesheim, stammt von Otmar Hasler.

Sozialer Wohnbau ist gewiß nicht zuvorderst ein architektonisches Problem. Da geht es um Grundrißökonomie, um Zimmergrößen und robuste Materialien; nach außen sollen einige strukturierende Elemente die große Masse gliedern, und es ist angenehm, wenn der Bereich im Stiegenhaus, vor den Wohnungen, möglichst ansprechend und nicht zu eng wirkt.

Margarethe Cufer hat im einen Flügel des Winkelbaus an drei nordseitig gelegenen Stiegenhäusern jeweils zwei Dreizimmerwohnungen angeordnet, die an der Südseite breite Balkone aufweisen, deren geregelt unregelmäßige Anordnung das Bild der Süd- und zugleich Hoffassade bestimmt. Der andere Gebäudeflügel - ostwestorientiert - enthält sowohl Vierzimmer- als auch Ein- und Zweizimmerwohnungen, die von einem Stiegenhaus sowie von einem Winkelgang vom anderen Gebäudeteil her zugänglich sind.

Mit diesem Eckbau wird der Baublock klar markiert. Otmar Hasler hat nun einen nordsüdorientierten Längstrakt solcherart an den Winkel angelehnt, daß eine zum westseitig gelegenen Park offene, schlichte U-Form entsteht, die aber durch zwei Besonderheiten unverwechselbar gemacht wird. Mit einem kleinen, auf Pfeilern aufgestelzten Stichtrakt wird der Hauptzugang zum Hof überbaut und zugleich eine spannungsvolle Nähe zum Kopf des einen Winkelflügels eingegangen. Der kleine und der große Baukörper schieben leicht aneinander vorbei, sodaß eine Reiche von der Breite der halb eingeklemmten Balkone entsteht. Diese besondere Unstetigkeit wird nach außen mit roter Farbe markiert, während die großen Baukörper in blassem, zu weiß tendierendem Lila eingefärbt sind.

Zwischen den Schenkeln des U befindet sich das kreuzförmig gegliederte Bauwerk des Kindergartens - rot verputzt -, dem ein gerader Trakt mit fünf Maisonettes in gedecktem Weiß aufgesetzt ist. Ein brückenartiger Zugang im dritten Obergeschoß bindet diesen Bauteil an Stiegenhaus und Lift im südlich anschließenden Längstrakt an.

Diese beiden Maßnahmen, das aufgestelzte Eingangshaus und die Maisonettezeile am „Skywalk“, verleihen dem Hof fast lapidar Klarheit und Unverwechselbarkeit. Es sind Gebäudeteile, groß genug, eine oder mehrere Wohnungen zu enthalten, aber nicht so groß, daß sie zu den primären, das U bildenden Trakten in Konkurrenz treten würden. Stellvertretend für viele Wohnungen in der Zeile stehen sie für Individualität, von der jeder Bewohner dieses Hofes ein wenig auf sich beziehen kann. Dies wird erreicht mit deutlicher Proportionierung, relativer Nähe und relativer Ferne, mithin dezidierten räumlichen Beziehungen.

Der Kindergarten weist vier Gruppenräume auf, die mit Garderoben und Toilettenanlagen jeweils eine Einheit bilden. Ihre individuelle Anbindung, die Anordnung auf zwei Geschoßen mit Treppen und Rampen machen aus dem Gebäude bereits eine winzige Stadt, mit Durchgangs- und Verweilräumen, großen und kleinen, ja kleinsten Zimmern - bis zum Spielhaus - und zahlreichen Ausgängen ins Freie.

Die Wohnungen im Längstrakt gruppieren sich an drei Stiegenhäuser. Jeweils ein gerader Treppenlauf und der Lift stehen in einer rechteckigen Halle. Die großzügige Dimensionierung dieser gemeinsamen Zugangsräume läßt in keiner Weise Enge aufkommen und gibt jeder Einheit einen eigenen Bereich vor der Wohnungstür. Die Normalwohnung mit drei Zimmern, großer Küche und Nebenräumen weist ein teilbares Wohnzimmer sowie vom Vorraum aus mittels Gang einen direkten Zugang zum Schlafteil auf. Der zwingende Durchgang durch das Wohnzimmer wird damit vermieden. Die fünf Maisonettes werden auf der Wohnebene betreten. Noch vom Vorraum führt die Treppe ins darunterliegende Geschoß mit vier Schlafzimmern, Mitteldiele und Bad. Vom Wohnzimmer mit Eßplatz und großzügiger Küche führt eine Treppe hinauf zu einer teilweise gedeckten Dachterrasse. Die Lage dieser fünf Maisonettewohnungen über dem Kindertagesheim mutet vielleicht etwas spleenig an, doch wird auch hier die Position genützt für eine individuellere Ausbildung qualifizierter Fami-lienwohnungen.

Otmar Hasler hat nicht nur für jene Wohnungen im Regelverband gut organisierte und flexible Grundrisse entwickelt, sondern auch eine größere Anzahl Ausnahmefälle erzeugt, die den Bedürfnissen nach individuell ausgebildeter Wohnatmosphäre entgegenkommen. Damit entsteht auch für die einzelne Wohnung ein hohes Maß an Identität, die durch die individuelle Möblierung nur noch genützt werden muß.

Wenn man nun bedenkt, daß als Bauträger die Wiener Magistratsabteilung 24 wirkte, wird die Leistung Haslers umso deutlicher. In der Schere zwischen vielfältigen Ansprüchen und engem Kostenrahmen muß man sich auf robuste Details einstellen, das heißt, das Bauwerk ist so zu entwerfen, daß eine einfache Detaillierung möglich wird. Gegenüber dem nicht übermäßig wendigen Apparat der MA 24 gerät man als Architekt mit einem innovationsbefrachteten Projekt rasch ins Hintertreffen, weil es am gegenseitigen Verstehen mangelt. Dagegen ist eine Art Judotaktik angezeigt: mit der Grundbewegung des Gegenübers rechnen und deren Richtung in die eigenen Überlegungen einbauen. Wenn man jedoch als Architekt gegen eingespielte, fixe Positionen ankämpft, wirkt sich dieser Clinch auf das gesamte Projekt aus: In gestalterischer Hinsicht verliert man die Kontrolle, und jede Korrekturmaßnahme kostet viel Kraft.

Volkswirtschaftlich gesehen wächst dann der Planungsaufwand steil an; während die wirklichen Kosten bei der öffentlichen Hand nicht explizit aufscheinen, schlagen oftmalige und endlose Sitzungen, mehrmaliges Umplanen und fruchtlose Auseinandersetzungen mit der Zeit im privaten Architekturbüro auf die Buchhaltung und aufs Gemüt von Chef und Mitarbeitern. Otmar Hasler vermochte sinnlose Streitereien hintanzuhalten und damit die Kontrolle über den architektonischen Ausdruck zu wahren.

Ein Blick auf die Fassaden zeigt, daß auch hier ein spannungsreiches Spiel von Proportionen, Wand und Öffnung, Rhythmus, Reihung, Fläche und Volumen möglich geworden ist. Dies konnte nur gelingen, weil mit den architektonischen Zielen auf die strukturellen Möglichkeiten des Bauträgers eingegangen wurde. Beim Gemeindewohnbau die neueste Mode publizierter Architekturentwürfe exekutieren zu wollen entspricht weder der Gangart der amtlichen Bauträger noch dem Formbewußtsein der späteren Bewohner. Mit dieser Ungleichzeitigkeit ohne Zynismus und Überheblichkeit umzugehen ist Otmar Hasler am Leberberg architektonisch überzeugend gelungen.

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